Sara Chiarini


Ἐγώ εἰμι ῾Ερμῆς

Eine dramaturgische Facette der antiken Zaubersprache*



1. Die quaestio

Auf dem Gebiet der Zauber- und parareligiösen Rituale der griechisch-römischen Antike kann man in den letzten Jahrzehnten sicher keinen Mangel an wissenschaftlicher Auseinandersetzung beklagen. Zahlreiche Studien haben unsere Kenntnisse zu den theoretischen und praktischen Grundlagen dieses weitverbreiteten gesellschaftlichen Phänomens maßgeblich erweitert. Jedoch tauchen immer wieder Aspekte auf, die bis­her unberücksichtigt geblieben sind. Besonders im Bereich der sprachlichen Merkmale von Zauberformeln bleiben noch zahlreiche Ausdrucksweisen und Formulierungen ungeklärt. Es genügt, an die vielen noch nicht gedeuteten voces magicae, die auf eine bestimmte etymologische Verbindung mit einer antiken Sprache hinweisen, aber oft noch als bedeutungslosesAbrakadabra behandelt werden, zu erinnern [1].

Gegenstand dieser Untersuchung ist jedoch kein geheimer oder unverständlicher Ausdruck, sondern ein ganz einfacher und dennoch merkwürdiger Befund im Hinblick auf die religiösen Vorstellungen der griechisch-römischen Antike. Konkret geht es um die aus der ägyptischen Ritualsprache stammende Formel, durch welche sich der oder die Ausübende eines Zaubers vorübergehend mit einer übernatürlichen Macht identi­fiziert. Dieser Satz findet sich in verschiedenen Quellen in der Formulierung ἐγώ εἰμι wieder, gefolgt vom Namen der verkörperten Gottheit bzw. des verkörperten Dämons. Damit setzt sich diese Untersuchung von der bisherigen Forschungsliteratur deutlich ab. Da letztere sich ausschließlich mit teilweise innerhalb von Erzählungen eingebet­teten direkten Reden beschäftigt, in denen ein Gott die eigene Identität kundtut, fiel das Problem der Aussprache der Formel durch einen menschlichen Dritten, wie in den magischen Quellen, nicht besonders auf [2].

Einerseits fällt es nicht schwer, die vermutliche Überzeugung der antiken Verfasser nachzuvollziehen, der Satz sei mit einer besonderen magischen Wirkung aufgeladen gewesen. Anhand des Glaubens an die ontologische Kraft der einfachen Namens­nennung ist die Steigerung der Wirksamkeit eines Zaubers durch die temporäre Über­tragung der übernatürlichen Eigenschaften eines Gottes oder Dämons auf die oder den Ausführenden einleuchtend.

Andererseits stößt man auf gewisse Assimilationsschwierigkeiten, sobald die im ägyptischen Priestertum verwurzelte Tradition dieser Formulierung der griechisch-römischen Göttervorstellung gegenübergestellt wird [3]. Die griechisch-römische Welt kennt kaum die Möglichkeit der Vergöttlichung eines Menschen, abgesehen von den Helden und Stamm- bzw. Kultusgründern des Mythos. Selbst wenn man die Vergött­lichungsphänomenologie der hellenistischen Herrscher in Betracht zieht, stellt man fest, dass solche Kulte keine allgemeine Akzeptanz, sondern eher moralische Miss­billigung und Ironisierung in den Quellen finden[4]. Eine Selbstidentifizierung mit einer olympischen Macht hätte als überhebliche Haltung — wohl als Ausbruch der ὕβρις — wahrgenommen werden können. Zwar konnte ein Gott in einen menschlichen Körper eindringen und diesen als Mittel zur Mitteilung bestimmter Wahrheiten nutzen. Dieser Vorgang wurde mit dem Begriff ἐνθουσιασμός bezeichnet. Gewiss hat er einige Gemeinsamkeiten mit der Selbstbezeichnung als überirdische Gestalt. Jedoch trennt ein grundlegender Unterschied die beiden Konzepte, wie in einem weiteren Abschnitt dieses Aufsatzes veranschaulicht wird.

Der treffendste Ansatz, durch welchen Funktion und Ausführung der „ich bin“-Formel sich am besten erläutern lassen, gehört nicht der ethischen, sondern der rheto­rischen Ebene an. Die Kernthese dieser Studie lautet, dass die Selbstnennung als über­natürliche Macht, wie sie von der „ich bin“-Formel ausgedrückt wird, von den Ver­fassern und Vortragenden von Zaubertexten nie als konkretes Ereignis, sondern als Fiktion erlebt und wahrgenommen wurde. Die Aufführung des Zaubers führte nämlich zur Anwendung schauspielerischer Verfahren: der Vortragende durfte sich in die Rolle einer Gottheit kurzzeitig hineinversetzt haben, um den Zauber von einem eintönigen Gebetsmonolog in eine dramatische Handlung umgestalten zu können.

2. Die Varianten der „ich bin“-Formel

2.1 Die Basisform

Die Zauberformel „ich bin + Name eines übernatürlichen bzw. mythischen Wesens“ findet sich in zwei der Quellengattungen zur antiken Zauberei: Sie taucht häufig in den magischen Papyri und gelegentlich in den Verfluchungstexten auf. Eine detaillierte Übersicht der einzelnen Okkurrenzen des Ausdruckes steht in den beigefügten Tabellen zur Verfügung. In diesem Absatz werden die Varianten der Formel anhand exem­plarischer Ausschnitte systematisch und nach steigender Erweiterung vorgestellt.

Die Basisform besteht aus dem bereits erwähnten einfachen Prädikatsnomen. Dieses wird nicht nur auf Griechisch, sondern auch teilweise auf Koptisch wiederge­geben, genauer mit der Verbform ⲁⲛⲟⲕ, gefolgt vom Eigennamen der übernatürlichen Kraft[5]. In den seltensten Fällen erfolgt die Identifizierung mit einer einzigen göttlichen Gestalt, viel häufiger tritt eine Reihung von Namen auf, bei denen es oft unklar bleibt, ob es sich um Namensvarianten derselben Gestalt oder um verschiedene Figuren des antiken magisch-religiösen Pantheons handelt.

Als Beispiel für die einfache Formulierung mit nur einem Namen sei PGM IV 2999 erwähnt. Im Rahmen einer Erklärung, wie eine Zauberpflanze aus dem Boden gehoben werden muss, soll sich der Grabende (ὁ ῥιζοτόμος) als Hermes vorstellen (ἐγώ εἰμι Ἑρμῆς). Es liegt nahe, dass diese Identifizierung dem Grabenden eine besondere Berechtigung für die Ernte der Wurzel gewähren soll. Fast neigt man dazu, die Wahl des Hermes als Identifizierungsobjekt in kausaler Verbindung mit dem Zauberzweck zu sehen. Die vorübergehende Aufnahme der alchemistischen und allgemein erfinderi­schen Fähigkeiten dieser olympischen Gottheit scheint für die oben erwähnte Aufgabe der Aneignung einer magischen Pflanze besonders geeignet. Sicherlich kann man eine gezielte Suche nach der übernatürlichen Kraft, mit der man sich identifizieren wollte, in Zusammenhang mit Art und Ziel des Zaubers in einigen Fällen mit guter Wahr­scheinlichkeit vermuten. Jedoch soll bereits jetzt klargestellt werden, dass eine solche Verbindung sich nicht verallgemeinern lässt [6].

Wie oben erwähnt, ist die Kombination mehrerer Namen von übernatürlichen Kräften nach der „ich bin“-Formel die meistverbreitete Variante dieses Zauber­spruches. Es scheint keine Obergrenze für die Anzahl der verkörperten Gestalten, die sogar über zehn hinausgehen kann, gegeben zu haben. Teilweise wird der Ausdruck „ich bin“ vor jedem Namen wiederholt, wie im PGM I 251–252 im Koptischen zu lesen ist: „Ich bin Anubis, ich bin Osir-phre, ich bin Osoth Soronuier, ich bin Usiris, der Set vernichtet hat“[7]. In diesem Fall soll der Zauber dazu dienen, sich unsichtbar zu machen. Nicht alle genannten göttlichen Gestalten sind deutlich einzuordnen, wobei Osir-phre als Zusammenschluss von Osiris und Phrê und Usiris als Schreibvariante für Osiris erkannt werden können.

Solche Fälle von mehrfacher Verkörperung werfen die naheliegende Frage auf, wie dieser Vorgang hätte konkret erfolgen sollen bzw. wie man ihn sich vorzustellen habe. Es ist schwer zu glauben, dass eine rasche und sukzessive Verwandlung — à la Proteus — in die einzelnen übernatürlichen Gestalten mit dieser Formel gemeint war. Vielmehr deuten solche Okkurrenzen auf eine verstärkende Funktion der „ich bin“-Formel anstelle der einfachen Anrufung einer übernatürlichen Macht hin.

In einem knappen Einwurf zur in einem römischen Wettkampffluch gegen Wagen­lenker[8] enthaltenen „ich bin“-Formel fragt Jordan, ob der sechsmal wiederholte Satz ἐγώ εἰμι mit ebenso vielen unterschiedlichen Appellativen als quasi schizophrene Behaup­tung des Verfluchenden, sechs verschiedene Dämonen zu verkörpern, zu inter­pretieren sei[9]. Da aber neben Abrasax und Ananke auch mehrere Zauberwörter nach ἐγώ εἰμι folgen, zieht Jordan eine weitere Möglichkeit in Betracht, und zwar, dass alle Bezeich­nungen verschiedene Aspekte derselben Gestalt bedeuten könnten. Abgesehen davon, dass eine Gleichsetzung von Abrasax und der griechischen Personifizierung des Schicksals nirgendwo anders belegt ist, so dass zumindest zwei Selbstidentifizierungen vorauszusetzen sind, gibt es genügend andere Quellen, bei denen die unabhängige Iden­tität der verkörperten Gestalten nicht bestritten werden kann. Also bleibt das Problem der Mehrfachidentifizierung mit verschiedenen übernatürlichen Mächten innerhalb des­selben Rituals bestehen. Im Rahmen der abschließenden Diskussion zu den dramaturgischen Eigenschaften der „ich bin“-Formel wird diese Frage unten nochmals ange­gangen. [10]

Schließlich sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass die „ich bin“-Formel sich so sehr in das Zauberformular integrierte, dass sie irgendwann zu erstarrter Formu­lierung wurde. Damit ist gemeint, dass die „ich bin“-Formel teilweise sogar ohne Prä­dikativ in einem Zauber hinzugefügt werden konnte, wie beispielweise in PGM IV 723–724 und 765–767. An beiden Stellen folgen Zauberworte, die nicht als Eigen­namen eingestuft werden, dem Satz mit ἐγώ εἰμι, der dadurch verabsolutiert wird („es gibt mich“, „da bin ich“) [11]. Diese „Entwicklung“ kann — und braucht — nicht chrono­logisch belegt werden. Allerdings lässt sich der logische Übergang von der Prädikats­form zur absoluten Form viel besser als der umgekehrte Prozess nachvollziehen.

2.2 Die Erweiterungen

Die Ungewissheit hinsichtlich der Interpretation von manchen Prädikativen, die der „ich bin“-Formel folgen, wurde bereits angeführt. In der Tat lassen sich einige Wörter klar als Bei- oder Alternativnamen von bereits genannten Gestalten deuten, wie im Segensgebet von PGM XII 73–75:

παραγγέλλ[ω τῷ] ἐπὶ τούτων <τῶν> τεταγμέ[νω]ν λεγομένῳ | Ἔρωτι, ὅ[τ]ι <ἐγώ> εἰμι θεὸς θεῶν ἁπάντων Ἰάων Σαβαὼθ Ἀδωναὶ Ἀ[βρασὰ]ξ Ἰαραββαι | θω̣υριω θανακερμηφ πανχοναψ.

„Ich gebe Befehl dem für diese Aufträge angerufenen Eros, weil ich bin der Gott aller Götter, der Iaô, Sabaôth, Adônai, A[brasa]x (ZW).“

(Übersetzung von K. Preisendanz)

Der „Betende“ vertraut seine Schutz- und Segenswünsche dem Gott Eros an. Eros wiederum darf den Befehl nicht übersehen, weil dieser direkt vom „Gott aller Götter“, d.h. dem monotheistischen Gott der jüdisch-christlichen Religion, kommt. Der größte aller Götter wird dann durch drei übliche Bezeichnungen namentlich erwähnt, und zwar als Iaô, Sabaôth und Adônai. Auch das Appellativ Abrasax, das in der gnostischen Philosophie eben das höchste göttliche Wesen bezeichnet, kann auf den θεὸς θεῶν bezogen werden. Weniger verständlich scheinen die abschließenden Worte: Durch die Wiedergabe von Ἰαραββαι mit beginnendem Großbuchstaben erweckt Preisendanz den Eindruck, dass man es mit einem weiteren Eigennamen zu tun hat, obwohl er alle nach Adonai vorkommenden Termini in der Übersetzung als Zauberworte fasst.

Auch Vokalreihen können innerhalb der „ich bin“-Formel auftauchen: im PGM III 457 gehen sie sogar den Prädikativen voran: ἐγώ εἰμι ιε̣η̣ ιοεη ιε Ἰάω Ἶσι[...], „ich bin IEÊ IOEÊ IE Iaô, Isis...“. Der anaphorische Klang zwischen den Vokalreihen und dem Namen Iaô ist eindeutig, so als ob die Vokale die Erwähnung von Iaô einführen würden.

Die häufigste Erweiterung der „ich bin“-Formel geschieht allerdings durch die Angabe von Epitheta der verkörperten Gestalten — die sich zu ganzen Relativsätzen ausdehnen können. Solche Ergänzungen enthalten Auskünfte über bestimmte Merk­male oder legendäre Taten der personifizierten Wesen. Im aus Ägypten stammen­den Liebesfluch des Ailourion für Kopria endet die Tafel wie folgt[12]:

Auch hier erfolgt die Identifizierung mit dem göttlichen Herrscher des antiken Kosmos, der in diesem Fall die jüdische und die griechisch-heidnische Tradition durch seine zahlreichen Appellative in sich verbindet. Die jüdisch-christlichen Bezeich­nungen Adônai und ihre Varianten Barbadônaiai und Barbadônai sowie Sabaôth, werden nämlich in einem synkretistischen Ansatz mit Zeus, der Haupt­gottheit des griechischen Pantheons, gleichgesetzt. Außerdem wird der Gott durch eine Klimax von drei partizi­pialen Bezeichnungen in seiner Erhabenheit gekenn­zeichnet: nicht nur kann er die Sterne auslöschen, sondern er herrscht auch über den Himmel und über die ganze kosmische Ordnung.

Dieser Text wirft besonders deutlich die Frage auf, ob seine Aussage nicht Gefahr laufen könnte, als hybristischer Akt wahrgenommen zu werden [13]. Hier identifiziert sich ein gemeiner Sterblicher mit der höchsten Gottheit, die über die ganze Schöpfung dominiert, und dies nicht einmal als extreme Maßnahme infolge einer lebensbe­drohlichen Situation, sondern mit dem Ziel, sich die Liebe einer Frau zu sichern. Zweifelsohne kann man sich diese Worte als von einem Spezialisten der Zauberei im Auftrag von Ailourion ausgesprochen vorstellen. Denkbar wäre aber auch, dass eine mündliche Vorführung des Zaubertextes nicht vorgesehen war, da die Quelle eine beschriftete Bleitafel ist. Diese Bemerkungen lösen aber nicht das Problem der moralisch-religiösen Haltung gegen­über solchen Ausdrücken in der griechisch-römischen Kultur. Darauf ist in den Schluss­bemerkungen zurückzukommen.

Eine seltene, aber bemerkenswerte Variante bei der Angabe von Attributen ist der Verzicht auf die explizite Nennung des Eigennamens, so dass dieser oder die Epitheta nicht einer namentlich erwähnten Gestalt zuzuordnen sind, sondern eben direkt nach ἐγώ εἰμι folgend ihren Namen ersetzen. Dies ist der Fall von PGM IV 185–194, bei dem der heutige Leser Schwierigkeiten hat zu erahnen, welche göttliche Figur gemeint ist. Innerhalb eines langen Briefes eines gewissen Nephotes an einen Psammetichos, in dem es um Rituale zur Wahrsagung mittels eines Gefäßes geht, trifft man auf ein magisches Gebet. Dabei spricht man Typhôn — dem der ägyptische Gott Seth gleich­gesetzt wurde — an, um sich eine erfolgreiche Begegnung mit den heraufbeschworenen Gottheiten zu sichern. Der Vorführende der Invokation stellt sich nun als göttlicher Verbündeter Typhôns vor:

ἐγώ εἰμι ὁ σύν σοι | τὴν ὅλην οἰκουμένην ἀνασκαλεύσας καὶ ἐξευ|ρὼν τὸν μέγαν Ὄσιριν, ὅν σοι δέσμιον προσή|νεγκα. ἐγώ εἰμι ὁ σύν σοι συμμαχήσας τοῖς θεοῖς | (οἱ δέ· πρὸς τοὺς θεούς)· ἐγώ εἰμι ὁ κλείσας οὐρα|νοῦ δισσὰς πτύχας καὶ κοιμίσας δράκοντα τὸν | ἀθεώρητον, στήσας θάλασσαν, ῥεῖθρα, ποταμῶν | νάματα, ἄχρις οὗ κυριεύσῃς τῆσδε τῆς σκηπτου|χίας. ὁ σὸς στρατιώτης ὑπὸ θεῶν νενίκημαι, | πρηνὴς ῥέριμμαι μηνίδος εἵνεκεν κενῆς.

„Ich bin es, der mit dir die ganze Erde durchsucht und den großen Osiris aufge­funden hat, den ich in Fesseln dir zuführte. Ich bin es, der im Bunde mit dir kämpfte mit den Göttern (andere: gegen die Götter); ich bin es, der des Himmels doppelte Falten schloß und einschläferte die Schlange, die man nicht anschauen kann, der zum Stehen brachte Meer, Fluten, der Ströme Gewässer, bis du Herr wurdest über dieses Reich. Ich, dein Krieger, bin besiegt von den Göttern, zu Boden geworfen bin ich um eiteln Zornes willen.“ (Übersetzung von K. Preisendanz)

Ein ganzer Mythos, der Typhôn-Seth — begleitet von seinem anonymen Verbün­deten — und Osiris betrifft, wird hier ziemlich detailliert aufgegriffen. Die berühmte Rivalität zwischen Seth und seinem Bruder Osiris wird durch eine Jagd mit anschlie­ßender Gefangennahme des göttlichen Zivilisation- und Kulturverbreiters geschildert. Der anonyme und „sprechende“ Gott teilt mit seinem Genossen Typhon-Seth die Charakterisierung als Herrscher über Naturphänomene, aber er bezeichnet sich auch als Soldat (στρατιώτης). Die Formel endet in verdüsterten Tönen mit der Erinnerung an eine schwere Niederlage, was manchen Lesern in Anbetracht des Zwecks der „ich bin“-Formel unpassend scheinen könnte. Dies fällt umso mehr auf, wenn man die empha­tischen Töne des Schlusssatzes berücksichtigt (νενίκημαι, πρηνὴς ῥέριμμαι, „ich bin endgültig besiegt, zu Boden bin ich geworfen worden“). In der Tat stellt sich die ver­körperte Gestalt üblicherweise in ihrer ganzen Macht vor, wie selbst noch im vorher­gehenden Text dieser Quelle zu lesen ist. Andererseits hält sich das Zaubergebet an den traditionellen Ausgang des Mythos der Gegnerschaft von Seth und Osiris, nach dem die Rolle Seths im Kampf gegen Osiris de facto die des Verlierers ist. Dieses Detail wurde also — möglicherweise aus religiösem Respekt — nicht aus der Erzählung getilgt. Demzufolge müsste unser Verbündeter des Seth die Folgen der Niederlage — ebenso wie sein Genosse — erleiden. Es bleibt aber die Frage bestehen, warum man den Versager und nicht die Siegesfigur für die Selbstidentifizierungsformel gewählt hat. Ohne eine vollständige Antwort auf diese Frage geben zu können, kann man vermuten, dass diese Entscheidung des Verfassers mit einer besonderen kultischen Ver­ehrung Seths zusammenhängen könnte.

Eine der Quellen, die die „ich bin“-Formel mittels Anhäufung von Namen und Epi­theta am weitesten ausdehnen, ist PGM XII 228–236. Im Rahmen eines Rituals zur Weihung eines Zauberringes soll Folgendes vorgetragen werden:

ἐγὼ ἡ Πίστις εἰς ἀνθρώπους εὑρεθεῖσα καὶ | προφήτης τῶν ἁγίων ὀνομάτων εἰμί, ὁ ἀ<εὶ> ἴσος, ὁ ἐκπεφυκὼς ἐκ τοῦ Βυθοῦ, ἐγώ εἰμι ὁ Χρά|της ὁ πεφυκῶς ἐκ τοῦ οὐατίου, ἐγώ εἰμι ὁ θεός, ὃν οὐδεὶς ὁρᾷ οὐδὲ προπετὼς ὀνομάζει, | ἐγώ εἰμι τὸ ἱερὸν ὄρνεον Φοῖνιξ, ἐγώ εἰμι ὁ Κράτης, ὁ ἅγιος, προσαγορευόμενος Μαρμαραυώθ, | ἐγώ εἰμι ὁ Ἥλιος ὁ δεδειχὼς φῶς, ἐγώ εἰμι Ἀφροδείτη προσαγορευομένη Τῦφι, ἐγώ εἰμι | ὁ ἅ[γ]ι[ο]ς ἐπίβολος ἀνέμων, ἐγώ εἰμι Κρόνος ὁ δεδειχὼ<ς> φῶς, ἐγώ εἰμι μήτηρ θεῶν ἡ κα|λ[ου]μένη οὐρανός, ἐγώ εἰμι Ὄσιρις ὁ καλούμενος ὕδωρ, ἐγώ εἰμι Ἶσις ἡ καλουμένη δρόσος, | ἐγώ εἰμι Ἠσενεφυς, ἡ καλουμένη ἔαρ, ἐγώ εἰμι Εἴδωλος τοῖς κατὰ ἀλήθειαν εἰδώλοις ὡμοι|ωμένος, ἐγώ εἰμι Σοῦχος <ὡμοιωμένος> κορκοδείλῳ.

„Ich bin der als Glaube unter den Menschen erfundene und Prophet der heiligen Namen, der unveränderliche, der aus dem Bythos geborene, ich bin Chratês, der vom Auge gezeugt ist, ich bin der Gott, den niemand sieht oder vorwitzig nennt, ich bin der heilige Vogel Phönix, ich bin Kratês, der heilige, genannt Marmarauôth, ich bin Hêlios, der das Licht gezeigt hat, ich bin Aphrodite, benannt Typhi, ich bin der heilige Ausströmer der Winde, ich bin Kronos, der das Licht gezeigt hat, ich bin die Mutter der Götter, genannt Himmel, ich bin Osiris, genannt Wasser, ich bin Isis, genannt Tau, ich bin Êsenephys, genannt Frühling, ich bin Eidôlos, der den Gebilden wahrhaftig gleicht, ich bin Souchos, der dem Krokodil gleicht.“

Ein Gemisch aus Personifikationen von abstracta, griechischen und ägyptischen Göttern, sowie mythischen Gestalten wie dem Phönix, bevölkert diese besonders elaborierte „ich bin“-Formel. Die Vielfalt spiegelt sich auch in der Mischung der Geschlechter der verkörperten Wesen wider. Dieser ganze Abwechslungsreichtum ver­mittelt den Eindruck einer Aneinanderreihung von vorübergehenden Erscheinungen, die nur im Rahmen einer dramatischen Fiktion vorstellbar ist, d.h. als ein „Sich-augen­blicklich-in-eine-Rolle-Einversetzen“, dem in einem folgenden Abschnitt dieser Schrift nachgegangen wird [14].

Was die rhetorische Gestaltung der Stelle betrifft, wechseln sich für jede Figur die Angaben von Name und Epitheton in ihrer gegenseitigen Anordnung ab. Außerdem werden Zusatz- bzw. Alternativnamen von einer aus den Verben καλεῖν oder προσ­αγορεύειν bestehenden Partizipialform, die das Zusammenspiel und die Wechsel­wirkung zwischen „sein“ und „heißen“ in der gesamten Auffassung der „ich bin“-Formel erkennen lässt, eingeführt.

Dieser Aspekt steht auf der Grundlage einer weiteren verstärkenden Ergänzung, mit welcher der Überblick des rhetorisch-stilistischen Aufbaus der „ich bin“-Formel endet. Es handelt sich um eine Wiederholung der Identifizierungsaussage mittels eines alter­nativen Prädikatsnomens, nämlich ὄνομα (μοι), „mein Name (ist)“. Dadurch wird das Konzept des ontologischen Wertes der Benennung, nach welchem die Aussprache eines Namens die physische Präsenz des Genannten unmittelbar erzeugt, besonders spürbar. Zwei Beispiele können die möglichen Anwendungen dieser Ergänzungsformel gut ver­anschaulichen. Im PGM III 145–146 begegnet man der intensivierenden Wiederholung des Namens der verkörperten Gestalt erst in der „ich bin“- und dann in der ὄνομα-Formel: ἐγώ [ε]ἰ|μι Ἀδὰ[μ προγε]νής ὄνομα μοι Ἀδά[μ] („Ich bin Adam der Erst­ge­borene, mein Name ist Adam“). Sonst erscheint der Name erst in der ὄνομα-Formel, während die „ich bin“-Formel von Epitheta, die die Identität der übernatürlichen Figur nur ahnen lassen, vervollständigt wird, wie im PGM IV 1019: ἐγώ εἰμι ὁ πεφυκὼς ἐκ τοῦ οὐρανοῦ, ὄνομά μοι Βαλσάμης („ich bin der aus dem Himmel entstandene, mein Name ist Balsamês“).

Selbstverständlich können all diese rhetorischen Elemente innerhalb einer „ich bin“-Formel verschiedentlich kombiniert und mehrfach verwendet werden, so dass sich daraus auch lange, mehrzeilige Zaubersprüche ergeben können. Ein Beispiel dafür ist die oben wiedergegebene Passage aus PGM XII.

3. Die Vorführung der „ich bin“-Formel

Bisher wurde die „ich bin“-Formel so behandelt, als ob sie nur im Mund einer lebenden Person, die einen Zauber anwenden möchte, denkbar sei. Zweifelsohne sind Mündlichkeit und Performativität zwei Haupteigenschaften dieser Zauberformel, wie die mehrfachen Hinweise auf mündlichen Vortrag in Zusammenhang mit der „ich bin“-Formel beweisen [15]. Jedoch wäre das Bild nicht vollständig, wenn diese Studie die schriftlich-gegenständliche Dimension der „ich bin“-Formel nicht ausführlicher betrachten würde. Tatsächlich sind einige der Texte, in denen die „ich bin“-Formel vor­kommt, keine vorzutragenden Zaubergebete, sondern befinden sich auf dem dem Zauberritual zugehörigen instrumentum. Um beispielsweise einen die Zukunft ent­hüllenden Traum zu erregen, liest man im PGM XII 110, dass der Satz κεῖμαι, κεῖμαι, ἐγώ εἰμι ὁ μέγας, ὁ ἐν [στόμα]τι κείμενος μομμου Θώθ κτλ. („Ich liege, ich liege, ich bin der Große, der im [Maul] liegende mommou Thôt“) auf einem Täfelchen (πιττάκιον) niedergeschrieben werden soll. Interessanterweise soll aber das Täfelchen ins Maul eines schwarzen (lebenden?) Katers gesteckt werden, so dass die orale Aus­führung der „ich bin“-Formel, selbst wenn nicht praktisch, zumindest symbolisch dar­gestellt wird.

Weniger deutlich ist der Fall einer weiteren Okkurrenz der Formel in einer liebes­anziehenden Zauberanleitung, wonach der Verliebte nichts aussprechen, sondern eine ungebrannte Scherbe mit einem Bronzestylos beschriften soll. Der einzuritzende Text endet mit einem „ich bin“-Satz in der etwas ungewöhnlichen Formulierung Συνκου­τουὴλ ἐγώ (PGM XXXIII 200). Jedoch kann eine anschließende mündliche Ausfüh­rung des niedergeschriebenen Textes nicht gänzlich ausgeschlossen werden, da die Ein­leitung des Zaubers sehr knapp ist [16]. Manche Experten gehen sogar davon aus, dass der Zauber in jedem Fall ausgesprochen werden musste [17].

Im allgemeinen kann man also festhalten, dass die inhärente Dimension der „ich bin“-Formel die der mündlichen Ausführung ist, die eine lebende Person, die sich wie ein Schauspieler in eine fremde Rolle hineinversetzen soll, voraussetzt[18].

4. Die inhaltlichen Merkmale der „ich bin“-Formel

Wenn man die rhetorischen Merkmale der „ich bin“-Formel vorübergehend aus­blendet und sich auf die inhaltlichen Aspekte konzentriert, stellt sich unmittelbar die Frage, mit welchen unterschiedlichen Gestalten die Identifizierung erfolgt und ob gewisse Tendenzen oder Vorlieben für bestimmte Figuren zu bemerken sind.

Aus einem schnellen Blick auf die beigefügten Tabellen lässt sich die Vielfalt ver­körperter Gestalten sofort erkennen. Eine herausragende Rolle spielen erwartungs­gemäß die Götter des ägyptischen Kultes, unter denen Anubis, Horus, Isis, Osiris und Thoth mehrfach auftauchen. Auch die Götter der griechisch-römischen Tradition können vom Zaubernden verkörpert werden: Neben Kronos, Hermes, Aphrodite und der zivilisationsübergreifenden Figur der Göttermutter kann man sich auch in abstrakte Personifizierungen wie Aletheia (Wahrheit), Charis (Gnade), Ananke (Zwang) oder Pistis (Glaube) verwandeln. Am häufigsten erfolgt jedoch die Identifizierung mit dem mono­theistischen Gott der jüdisch-christlichen Religion und seinen verschiedenen Appel­lativen von Iao, Adonai, Sabaoth usw. Es scheint also keinen Skrupel gegeben zu haben, sich auf eine Stufe mit den höchsten Mächten des antiken Glaubens zu stellen.

Auf einer niedrigeren Ebene stehen die vielen Dämonen, die zum Teil hinter den für uns wenig verständlichen Namen stecken, wie beispielweise der nicht weiter bekannte Dämon Xanthis von PGM XII 463–464.

Nicht nur in göttliche und dämonische Gestalten, sondern auch in legendäre Menschenfiguren wie Adam oder Moses versetzt man sich teilweise hinein. Sicherlich genossen solche Helden ein besonderes Ansehen, das es ihnen nach der antiken mythisch-religiösen Auffassung ermöglichte, wie eine übernatürliche Macht vom Jenseits aus ihren Einfluss auf irdische Ereignisse auszuüben[19].

Schließlich trifft man auf allgemeine Selbstbezeichnungen wie „Prophet“, bei denen der moderne Leser nicht mehr sicher ist, ob auch dort eine Verwandlung des Zauber­verfassers gemeint ist oder ob der Satz gar keine bezaubernde Kraft besitzt [20]. Im letz­teren Fall wäre von einer „ich bin“-Formel nicht mehr die Rede, da man vor einem im wörtlichen Sinne anzunehmenden Satz, in dem der Sprecher des Zaubers sich in seiner wahren Identität vorstellen würde, stünde. Selbst dann würde die Funktion des Satzes jedoch nicht zu sehr von derjenigen der „ich bin“-Formel abweichen, insofern die Selbstbestimmung als auserwählter Mensch mit überdurchschnittlichen Kennt­nissen und Fähigkeiten eine erhöhte Wirksamkeit des Zaubers gewährleisten sollte. Dies ist besonders deutlich, wenn man auf Aussagen zu einer exklusiven und privile­gierten Beziehung des Sprechenden zur Götterwelt stößt, wie PGM XII 94–95:

ἐγώ εἰμι, ᾧ συνήντησας ὑπὸ τὸ ἱερὸν ὄρος καὶ ἐδωρήσω | τὴν τοῦ μεγίστου ὀν<όματός> σου γνῶσιν, ἣν καὶ τηρήσω ἁγνῶς μηδενὶ μεταδιδούς, | εἰ μὴ τοῖς σοῖς συνμύσταις εἰς τὰς σὰς ἱερὰς τελετάς ...

„Ich bin es, dem du begegnet bist unter dem heiligen Berge und geschenkt hast die Kenntnis deines größten Namens, die ich auch bewahren werde, rein, sie keinem mit­teilend, außer deinen Miteingeweihten für deine heiligen Weihen ...“

(Übersetzung K. Preisendanz)

Hier nimmt die Exklusivität der Beziehung zwischen dem Gott und dem Sprecher durch den punktuellen Hinweis auf ihr Treffen an einem heiligen Berg (ἱερὸν ὄρος) eine realistisch-historische Grundlage an. Obwohl der Name Moses im Text nicht auf­taucht, ist man unmittelbar an die berühmte Begegnung auf dem Horeb, während derer Gott seinen „wahrhaftigen“ Namen offenbart, erinnert (Ex 3, 1–4, 17) [21]. Ein wesent­licher Unterschied zwischen der biblischen Erzählung und seiner magischen „Adaption“ besteht jedoch darin, dass der „große Name“ des Gottes hier nicht öffent­lich verbreitet, sondern heimlich aufbewahrt werden soll, im Gegensatz also zum Befehl Gottes an Moses im Exodus.

Wie das Spektrum der verkörperten Gestalten durch seine Vielfalt gekennzeichnet ist, so erstreckt sich auch das Anwendungsgebiet der „ich bin“-Formel über zahlreiche Zaubergattungen. Dies stimmt mit der Multifunktionalität und Anpassungsfähigkeit der magischen Sprache, die den verschiedensten Zwecken dienen kann, überein [22]. Von der Wahrsagung durch verschiedene Mittel und der allgemeinen Erfüllung von Wünschen bis hin zu spezifischeren Zwecken wie Unsichtbarkeit, Liebesanziehung, Verfluchung und sogar einem Krokodilritt konnte die „ich bin“-Formel in allen Bereichen der Zauberei eingesetzt werden. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich also keine Beson­derheit dieser Formel im Vergleich zum Rest des antiken Magieformulars erschließen.

5. Das Verbreitungsgebiet der „ich bin“-Formel

Es bestehen wenige Zweifel, dass die „ich bin“-Formel aus der magisch-religiösen Lehre Ägyptens in die Zauberpraxis der griechisch-römischen Kultur übernommen wurde [23]. In jener Gesellschaft, in der Magie und Religion praktisch untrennbar waren und die Priester ein so hohes Ansehen genossen, dass sie auch zu Lebzeiten als über­menschliche, fast göttliche Wesen verehrt wurden, lässt sich die Entstehung unserer Formel gut nachvollziehen [24]. Dass sie sich in der magischen Praxis der späteren Jahr­hunderte durchsetzen konnte, wurde von der gnostischen Lehre begünstigt.

Obwohl die große Mehrheit der Okkurrenzen der „ich bin“-Formel aus ägyptischen Quellen stammt, fand sie auch in anderen Gebieten der antiken Welt Verbreitung. Das ist anhand einiger defixiones belegbar. Die berühmte Bleitafel aus Rom mit dem Fluch gegen Anhänger der factio veneta wurde bereits oben vorgestellt. Noch bemerkens­werter ist in dieser Hinsicht ein silbernes Amulett, gefunden an der Südküste des Schwarzen Meeres, genauer in der Nähe der antiken Stadt Amisos, dem heutigen Samsun in der Türkei [25]. Diese Quelle bezeugt nicht nur die Ausbreitung der „ich bin“-Formel bis zu einer von Ägypten und seiner Kultur weit entfernten Region, sondern auch einen erstaunlich frühen Zeitpunkt für diese Übernahme. Das Silber­täfelchen wurde nämlich von Kotansky aus paläographischen Gründen auf den Zeitraum zwischen dem 1. Jhdt. v.Chr. und dem 1. Jhdt. n.Chr, mit einer größeren Wahrschein­lichkeit für das vorchristliche Jahrhundert, eingeordnet [26].

Der eingeritzte Text besteht zu mehr als der Hälfte aus einer elaborierten „ich bin“-Formel, die zum Schluss als Ringkomposition nochmals wiederholt wird:


Es ist Kotanskys Verdienst, die Lesart und das Verständnis dieses Textes maß­geblich verbessert zu haben. Der Träger des Amuletts bezeichnet sich mit göttlichen Attributen wie dem Sitz im Himmel und den göttlichen Namen Arsenophrephrês[27], Agathos Daimon, Kmêph[28] und Seth. Außerdem taucht das Epitheton „Herrscher über die Herrschenden“ zweimal, in den Varianten ὁ βασιλεύων τῶν βασιλέ̣ων und βασιλέα βασιλέων, auf. Anstatt diese Ausdrücke als weitere Epitheta der verkörperten Gott­heiten zu verstehen, führt Kotansky die Selbstbestimmung als „König der Könige“ auf die königlichen Bezeichnungen in den offiziellen persischen Inschriften zurück[29]. Ohne der Brisanz dieser Kombination nachgehen zu wollen, muss konstatiert werden, dass der magische Kontext und die zahlreichen Bezüge auf die ägyptische Götterwelt zweifelsohne auf eine Übernahme der „ich bin“-Formel aus der ägyptischen Zauber­tradition hinweisen. Selbst wenn βασιλεύς βασιλέων kein göttliches Epitheton, sondern eine Herrscherbezeichnung wäre, ist es viel wahrscheinlicher, dass die Aussage ἐγώ εἰμι eher aus dem Formelrepertoire der Zauberei als aus dem institutionellen Lexikon des persischen Königreiches stammt.

Das bedeutet, dass die „ich bin“-Formel spätestens um die Zeitenwende in einem vom Kerngebiet der Zauberlehre entfernten Ort angewendet wurde. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass bereits in der helle­nistischen Zeit ein großer Beitrag zur Verbreitung der ägyptisch geprägten Zauber­praxis in der antiken Welt geleistet wurde. Die von Kotansky betonte Prägung der hellenistischen Kultur im Pontus-Gebiet im Hinblick auf die Herrschaftsdarstellung gilt also auch in Bezug auf die Magielehre.

6. Ist das ὕβρις?

In seinem Kommentar zu einem Zauberpapyrus (Pap.Colon. 3323 = TheDeMa 112), in dem die beschworenen Gottheiten im Falle einer Vernachlässigung der Gebetserfüllung mit der Sperrung des Sonnenkurses und der totalen Verwirrung des Kosmos bedroht werden, hebt Wortmann die unbescheidene Haltung des Betenden hervor, wie diese in zahlreichen magischen Quellen belegt ist. In diesem Zusammen­hang erwähnt er auch die „ich bin“-Formel als weiteres Beispiel einer überheblichen Haltung in der Zaubersprache[30].

Die griechisch-römische Kultur kennt sowohl das demütige und flehende als auch das teils überhebliche Verhalten gegenüber ihren Göttern. Es mangelt nicht an histo­rischen sowie mythisch-literarischen Beispielen der Respektlosigkeit gegenüber Göttern und ihren Heiligtümern. Jedoch gelten solche Verhalten üblicherweise als negative und daher bestrafte Beispiele [31]. Die begrüßte oder wenigstens nicht verurteilte Selbsterhebung zur göttlichen Natur kennt kaum Parallelen in der historischen Über­lieferung. Die beinahe göttlichen (Selbst)darstellungen von hellenistischen Herrschern und römischen Kaisern erreichten nicht den Punkt der Identifizierung mit einer Gottheit des traditionellen Kultes[32].

Nur eine Persönlichkeit der hellenistischen Geschichte ist uns überliefert, die behauptete, die Verkörperung von Zeus zu sein: der Arzt Menekrates von Syrakus[33]. Um seine göttliche Erscheinung besser zu inszenieren, ließ er einige seiner Anhänger die Rolle anderer Olympier interpretieren: Nikagoras, Tyrann von Zeleia oder Zela, verkleidete sich als Hermes; Alexarchos, Bruder des Kassandros, als Helios; der General Nikostratos von Argos als Herakles; ein nicht weiter bekannter Astykreon als Apollon und ein fünfter, nicht namentlich erwähnt, als Asklepios[34]. Jedoch scheint Menekrates von seinen Zeitgenossen nicht besonders ernst genommen worden zu sein, wenn wir uns an Athenaeus’ Erzählung halten: Als Gast beim Bankett des Königs Philipp II. von Makedonien wurde Menekrates gemäß seinem göttlichen Status nicht mit den vielen zubereiteten Delikatessen, sondern „nur“ mit einem Trankopfer und ver­branntem Weihrauch bewirtet. Sein Appetit angesichts der ihm verweigerten Speisen wurde so heftig, dass er den Raum beschämt verlassen musste [35]. Um auf gewisse Skepsis und Verspottung gegenüber solchen Ausbrüchen von Megalomanie zu treffen, braucht man also nicht nur unter Intellektuellen wie Lukian zu suchen. Immerhin ver­bindet eine entscheidende Gemeinsamkeit das Verhalten des Menekrates und die magische „ich bin“-Formel, nämlich die Theatralisierung. Aus diesem Grund wird es nochmals die Gelegenheit geben, auf die unterhaltsame Geschichte des Syrakusaner Arztes zurückzukommen [36].

Der Begriff aus dem griechisch-römischen Kulturkreis, der dem Akt der Selbstver­göttlichung am nächsten kommt, ist ἐνθουσιασμός. Auch bei dieser religiösen Er­fahrung erfolgt eine Art göttlicher Umwandlung des Menschen, der für kurze Zeit aus seinem natürlichen Zustand heraustritt, um in einen göttlichen hineinzutreten. Ein ent­scheidender Unterschied trennt diese Praxis jedoch von jener der Selbstidentifizierung: wie das Wort ἐνθουσιασμός und die verwandten Begriffe andeuten, handelt es sich dabei um ein „besessen werden“ von der Gottheit, die in den Körper der Zielperson ein­dringt[37]. Der ἐνθουσιασμός gestaltet sich daher als gottgegebenes Phänomen (vgl. Herakl. fr. 22 B 92–93 DK), bei dem der Mensch nicht mehr als ein passiver Empfänger ist.

Es zeichnet sich also der tiefe Kontrast zwischen der ägyptischen Zauberpraxis der aktiven und bewussten Verkörperung einer übernatürlichen Macht und der griechi­schen [38] Erfahrung des Empfanges eines göttlichen Geistes ab. Obwohl der Besessene für kurze Zeit über übermenschliche Fähigkeiten verfügt, ergibt sich dies nur dank des göttlichen Willens, während im Falle der „ich bin“-Formel der Praktizierende des Zaubers sich aus eigener Kraft auf göttliche Ebene erhebt. PGM IV 88–93, ein Orakel­zauber mittels eines Knaben veranschaulicht diesen Kontrast in besonderem Maße: Während Iaô angerufen wird, damit er in den Körper eines Knaben hineintritt, stellt sich der Zauberaufführer unmittelbar als der Gott Barbariôth vor [39].

7. Zur Dramaturgie der „ich bin“-Formel

Viel mehr als der Einfluss des griechisch-römischen Begriffes der Besessenheit könnte ein entscheidendes Merkmal den Erfolg der „ich bin“-Formel in hellenisierten Gesellschaften gefördert haben, nämlich die dramatische Aufführung. Die in der griechischen Kultur tief verwurzelte Theatertradition könnte zur Übernahme der „ich bin“-Formel außerhalb der altägyptischen Weltanschauung beigetragen haben. In Folge der Analogie zwischen der „ich bin“-Formel und der dramatisch-fiktionalen Rede konnte dieser Ausdruck auch von jemandem, der mit der in Ägypten herrschenden religiösen Vorstellung nicht besonders vertraut war, verstanden und aufgenommen werden. Es reichte, sich bei der Betrachtung der Formel mehr auf ihre darstellerische Fiktionalität zu konzentrieren, um die unmittelbare Unangemessenheit ihres Inhaltes zu dämpfen. Auf diese Weise musste der Zauberaussprechende nicht in voller Über­zeugung behaupten, wirklich ein bestimmter Gott zu sein, da ja er „nur“ in der Rolle jenes Gottes auftrat.

In dieser Hinsicht stimmt die „ich bin“-Formel mit der Performativität, die auch andere antike Kultrituale kennzeichnete, vollkommen überein. Wie Versnel vor kurzem zeigte, gehörte Bühnenkunst zu den Hauptmerkmalen der kultischen Herrschafts­dar­stellungen der hellenistisch-römischen Zeit [40]. Dabei — so Versnel — griffen nicht nur die Akteure dieser Kulte, sondern auch seine Zuschauer auf die dem Theater inhä­rente Semantik des Sinnbildes zurück [41]. Um auf den bereits erwähnten Fall des Menekrates alias Zeus zurückzukehren, berichten unsere Quellen, dass der Arzt sich nicht nur mit Purpurgewändern, goldenem Kranz und Zepter verkleidete, sondern er trug auch Kothurne, die hohen Bühnenstiefel der tragischen Schauspieler. Die Distan­zierung von der Dinglichkeit der Alltagserfahrung, die der Theaterraum schaffen konnte, wurde also auch im Rahmen der religiösen Performativität gesucht. Anhand von Zaubersprüchen wie der „ich bin“-Formel kann man diese Behauptung auf das Gebiet der antiken Magie ausweiten. Auch wenn nicht vor so sorgfältig aufgebauten Kulissen, war nämlich das „Spielen einer Rolle“ seitens der Aufführenden gemein­samer Nenner von Zauber- und Kultritualen.

Ein weiteres rhetorisches Verfahren, das das schauspielerische Wesen der „ich bin“-Formel bestimmt, besteht im ständigen und unmittelbaren Wechsel zwischen der 1. und der 2. Person Singular, so dass die im „ich bin“ inhärente Kategorie des dramatischen Spiels nie aus den Augen verloren gehen kann und die tatsächlichen Rollen von Betendem und Angebetetem dauernd wiederhergestellt werden können. Mithilfe eines Beispiels kann der Leser diese Abwechslungsmethode selber nachvoll­ziehen. Es handelt sich um den Mehrzweckzauber von PGM V 459–489, der mit einer langen Anrufung an den Iaô, Adônai und Zeus genannten Hauptgott, ergänzt von mehreren Epitheta, an­fängt. Der Übergang zwischen Anrufung und Rede des Gottes könnte nicht abrupter — und dadurch dramatischer — sein (Z. 471–479):

‘ἐπικαλοῦ|μαί σε, τὸν δυνάστην τῶν θεῶν,| ὑψιβρεμέτα Ζεῦ, Ζεῦ θύραννε, Ἀ|δωναί, κύριε Ἰάω ουηε· ἐγώ εἰμι | ὁ ἐπικαλούμενός σε Συριστὶ θεὸν | μέγαν ζααλαηριφφου. καὶ σὺ μὴ | παρακούσῃς τῆς φωνῆς. (Ἑβραϊστὶ·| αβλαναθαναλβα αβρασιλωα).’

‘ἐγὼ | γάρ εἰμι Σιλθαχωουχ Λαιλαμ βλα|σαλωθ Ἰάω ιεω νεβουθ σαβιοθ Ἀρ|βὼθ Ἀρβαθιάω, Ἰαὼθ Σαβαώθ, Πατουρη, Ζαγουρη βαρουχ Ἀδωναϊ κτλ.’

„Ich rufe dich an, Herrn der Götter, hochdonnernder Zeus, Zeus Herrscher, Adônai, Herr Iaô oyêe. Ich bin, der dich auf syrisch anruft als großen Gott (ZW). Und du laß nicht ungehört meine Stimme. (Auf hebraisch: Ablanathanalba. Abrasilôa.).

Denn ich bin (ZW, darunter: Iao, Arbathiaô Iaôth, Sabaoth, Patourê, Zagourê, gepriesen sei Adônai, ...).“ (Übersetzung K. Preisendanz)

Die graphische Trennung in zwei Absätze soll hier dem Leser helfen, die zwei Reden zu erkennen. Dies entspricht selbstverständlich nicht dem originalen Layout des Textes auf dem Papyrus, in dem die Du-Rede in die Ich-Rede übergeht. Jedoch handelt es sich hier offensichtlich um einen Dialog, dessen Besonderheit der Einsatz eines einzigen Darstellers ist. Der Ausführende des Zaubers beginnt also in seiner natürlichen Rolle des Bittstellers, um plötzlich in die des von ihm angerufenen und gepriesenen Gottes umzuschalten. Dabei wird die Künstlichkeit der zweiten Rolle besonders her­vorgehoben.

Der Wechsel zwischen der Anrufung des Gottes und der Selbsterklärung zum Gott, innerhalb desselben Zaubers, hat unseren bisherigen isolierten Blick der „ich bin“-Formel erweitert. Die Berücksichtigung der gesamten Struktur eines Zauberspruches, um Eingliederungsmuster der „ich bin“-Formel zu umreißen, bietet eine weitere Bestä­tigung des „dramaturgischen“ Ansatzes der Zaubersprache.

Nicht selten funktioniert die „ich bin“-Formel als einziger rhetorischer Bestandteil eines Zaubers, genauer in etwa 42% der Okkurrenzen in mündlich vorzutragenden Zaubern, deren Texte ausreichend erhalten sind [42]. In diesen Fällen nimmt der Zauber­spruch die Form eines reinen Monologs des in einer Götterrolle Auftretenden ein. Hier handelt es sich natürlich nicht um eine gebetsartige Rede, weil der dargestellte Gott oder Dämon die den Zauber betreffenden Befehle direkt erteilt. Daher trifft man üblicher­weise auf Aufforderungen in Imperativformen, wenn die „ich bin“-Formel mit genaueren Hinweisen auf die Zauberwirkung(en) ergänzt wird. Um dies durch ein Bei­spiel zu erläutern, kann auf PGM XXXVI 311–320, einen Zauber zur Öffnung einer verschlos­senen Tür, verwiesen werden (Z. 216–220):

ἀνοίγηθι, | ἀνοίγηθι, κλεῖσθρον, ὅτι ἐγώ εἰμι Ὧρος ὁ μέγας | ἀρχεφρενεψου φιριγχ, υἱὸ̣ς τοῦ Ὀσίρεως καὶ τῆς Ἴσιδος. | βούλομαι δὲ φυγεῖν τὸν ἄθεον Τυφῶνα, ἤδη ἤδη, ταχὺ | ταχύ.

„Öffne dich, öffne dich, Schloss; denn ich bin Hôros der Große, archephrenepsou phirinch, Sohn von Osiris und Isis. Ich will dem gottlosen Typhôn entfliehen, sofort, sofort, schnell, schnell.“

Um die Tür aufzuschließen, soll die betreffende Person sich als Hôros vorstellen, und nicht nur dies: Sie soll außerdem die eigene Flucht vom Feind Typhôn-Seth vor­spielen [43]. Die „Schauspielerei“ beschränkt sich also nicht auf die einfache Aussage zur versinnbildlichten Identität, sondern schließt auch eine Handlungskomponente ein, die auf die mythische Tradition Bezug nimmt.

Noch interessanter sind aber die komplexeren Zaubersprüche, die auf einer Kombi­nation von verschiedenen Sequenzen aufbauen. Neben der betenden Anrufung der übernatürlichen Kräften und der in einer oder mehreren übernatürlichen Kräften ver­körperten Rede gibt es keine weiteren Formen der dramatischen Darstellung in der Zauberei. Jedoch können eben diese Elemente zum einen verschiedentlich aufein­anderfolgen und zum anderen unterschiedliche übernatürliche Gestalten betreffen, wo­durch mannigfaltige dramatische Effekte erzeugt werden.

Die seltenste Variante sieht die Übereinstimmung der angerufenen mit der ver­körperten Gestalt vor (Typ 1) [44]. In diesem Fall beginnt der Zauber immer mit der Bitte (B), gefolgt von der „ich bin“-Formel (F), wie im oben wiedergegebenen PGM V 459–489 oder PGM XXXIII 23–24. Das in dieser Hinsicht elaborierteste Beispiel ist PGM XII 216–238. Der Zauber fängt mit einem Gebet an, in dem eine Götterschar in ihrer Gesamtheit angerufen und durch eine lange Reihe von Epitheta vom Bittsteller ge­priesen wird (Z. 216–227) [45]. In Z. 227 kommt plötzlich der Wechsel in die „ich bin“-Rede vor, in der die übernatürlichen Gestalten sich eine nach der anderen vorstellen. Durch diese rhetorische Stütze wird die Wirkung erzielt, die sukzessive Erscheinung der einzelnen Gestalten nach ihrer Invokation lebhaft zu machen [46]. Der Leser sieht fast vor seinen Augen, wie jede Figur durch die sukzessive Verkörperung eine nach der anderen herbeigezaubert wird. Die dramatische Gliederung dieser Variante ist die des Dialogs, der sich bis in eine Polyphonie entwickeln kann. Der Zauberausführende be­ginnt in seiner wahren Identität zu sprechen, um dann den erscheinenden Gestalten eine Stimme zu geben.

Viel häufiger unterscheiden sich die angerufenen übernatürlichen Mächte von denen, die in direkter Rede vom Ausführende des Zaubers dargestellt werden. Dabei ist es wichtig zu beobachten, welche hierarchischen Beziehungen zwischen angebeteten und verkörperten Gestalten vorkommen. In dieser Hinsicht stellt man eine gewisse Balance fest, insofern die verkörperten Mächte mal eine niedrigere, mal eine erhabe­nere Stellung innerhalb der göttlichen Rangordnung der antiken Welt gegenüber den angerufenen Kräften einnehmen (siehe beigefügtes Diagramm) [47].

Wenn der Status der Angebeteten höher als jener der Dargestellten ist, herrscht die Tendenz, den Zauber mit der bittenden Anrufung zu beginnen und die „ich bin“-Formel folgen zu lassen, nach dem Muster B=>F (Typ 2) [48]. So erstreckt sich die Fiktionalität über den ganzen Zauber, der sich als an den/die angeflehten Gott/Götter gerichteter Monolog eines Helden oder Dämons entfaltet. In diesem Zusammenhang ist die „ich bin“-Formel mit einer eher ergebenen als hochmütigen Nuance aufgeladen. Im bereits zitierten Zauber von PGM III 130–160 zum Beispiel [49] stellt sich der Ausführende als Adam vor (Z. 145–146), nachdem er den Gott Helios angerufen und lobgepriesen hat (Z. 130–145). Das Schema wird übrigens noch anderthalb mal wiederholt (Z. 146–160), so dass die gesamte Struktur des Passus folgendermaßen versinnbildlicht werden kann: B=>F=>B=>F=>B [50].

Beim umgekehrten Machtverhältnis zwischen dargestellten und angesprochenen Figuren bleibt der Zauber als Monolog aufgebaut (Typ 3). Jedoch wandelt sich der Ton der Anrede an die Empfänger der Anrufung vom Gebet zum Befehl. Da der in der
1. Person sprechende Gott ehrwürdiger ist, wird selbstverständlich eine gefügige Bitte an eine niedrigere Gestalt, wie beispielweise einen Totendämon, für unangemessen ge­halten. Daher die Anhäufung von Imperativformen, um die gewünschten Zauber­wirkungen auszudrücken, da diese eben direkt von der oberen Macht verordnet werden. Bisweilen fehlt es nicht einmal an Drohungen gegenüber den aufgeforderten Kräften, wie man im PGM IV 385–406 lesen kann (Z. 385–399):

[...] ἐάν μοι τοῦτο τελέσῃς, ἀναπαύσω σε ταχέως· | ἐγὼ γάρ εἰμι Βαρβαρ Ἀδωναί, ὁ τὰ ἄστρα κρύ|βων, ὁ λαμπροφεγγὴς οὐρανοῦ κρατῶν, | ὁ κύριος κόσμου [...] εἰμὶ Θὼθ οσωμαι· | ἄξον, κατάδησον τὴν δεῖνα φιλοῦσαν, ἐρῶ|σαν, τὸν δεῖνα ποθοῦσαν (κοινόν), ὅτι ὁρκίζω σε, | νεκύδαιμον [...]

„[...] Wenn du mir dies erfüllst, entlaste ich dich sofort; denn ich bin Barbar Adônai, der die Sterne verfinstert, der glänzende Herrscher des Himmels, der Herr des Kosmos [...] ich bin Thôth osômai. Zieh an, binde die NN, dass sie NN liebt, begehrt und ersehnt, weil ich dich beschwöre, Totendämon [...]“

Um einen Liebeswunsch zu verwirklichen, braucht der Zauberausführende das Ein­greifen eines Totengeistes, dessen Mitwirkung durch die Selbstinszenierung in der Rolle des Adônai/Thôth gesichert werden soll. Gegenüber dem Befehl der höchsten Gottheit kann sich der Nekydaimon nämlich nicht versagen.

Aus diesem Überblick der Anwendungskontexte der „ich bin“-Formel kann man Folgendes zusammenfassen: (1) Die Formel ist nur höchst selten der einzige Bestand­teil eines Zaubers, eher wird sie innerhalb eines komplexeren Textes verwendet; (2) da­durch wird ihre fiktiv-darstellerische Dimension noch ausgeprägter. Der gesamte Zauber gestaltet sich nämlich als eine Art Drehbuch, das artikulierte und sich aus dem Mythos speisende Handlungen zwischen den verwickelten übernatürlichen Gestalten zur Schau stellen kann. Dabei erkennt man eine Vielfalt an Kombinationen von ange­beteten und dargestellten Gestalten in Bezug auf die jeweiligen Machtverhältnisse, so dass in dieser Hinsicht kein herrschendes Muster ausgemacht werden kann.

8. Schluss

Eine einzigartige Passage aus den Zauberpapyri verdient eine abschließende Betrachtung, da sie das Thema des Überganges von der Menschlichkeit in die Göttlich­keit direkt angeht [51]. Dort scheint die innere Spaltung des Zauberausführenden, der die übernatürlichen Kräfte anspricht und sich gleichzeitig in diese hineinversetzt, nicht nur problematisiert, sondern auch rationalisiert worden zu sein. Anhand der wahrscheinlich biblisch inspirierten Idee des Menschen als Abbild Gottes (vgl. Gn 1.27), entwickelt der folgende Zauber eine elaborierte Variation über die „ich bin“-Formel, in der die Identifizierung mit der Gottheit im fast theologischen Sinne gerechtfertigt ist (PGM VIII 33–50):

πάντοτε εἰς τὸν αἰῶνα ἀπὸ φαρμάκων καὶ δολίων | καὶ βασκοσύνης πάσης καὶ γλωττῶν πονηρῶν, ἀπὸ | πάσης συνοχῆς, ἀπὸ παντὸς μίσους θ[ε]ῶν τε καὶ ἀνθρώπων. | δότωσάν μοι χάριν καὶ νίκην καὶ πρᾶξιν καὶ εὐπορίαν. σὺ γὰρ | ἐγὼ καὶ ἐγὼ σύ, τὸ σὸν ὄνομα ἐμὸν καὶ τὸ ἐμὸν σὸν· ἐγὼ γάρ εἰμι τὸ | εἴδωλόν σου. [...] ὄνομά σου ἀληθινόν· Οσεργαριαχ: | νομαφι: τοῦτό ἐστίν σου τὸ ὄνομα [...] οἶδά σε, Ἑρμῆ, καὶ σὺ ἐμέ. | ἐγώ εἰ<μι> σὺ καὶ σὺ ἐγώ.

„Bewahre mich für immer und überall vor Giften und Betrug, vor jedem schlechten Einfluss und vor schlechten Zungen, vor jeder dämonischen Besessenheit, vor jedem Hass aus Göttern und Menschen. Mögen diese mir Gunst, Sieg, Gelingen und Wohl­stand gewähren. Denn du bist ich und ich bin du, dein Name ist mein Name und mein Name ist dein Name. Denn ich bin dein Abbild. [...] Dein wahrhaftiger Name: Osergariach nomaphi. Das ist dein Name [...] Ich kenne dich, Hermes, und du mich. Ich bin du und du bist ich.“

Der Schlüsselsatz ἐγὼ γάρ εἰμι τὸ εἴδωλόν σου trägt zur Annäherung der im Zauberaussprechenden koexistenten Dimensionen des wahren „Ich“ und des „Ich als ...“ bei. Ein zweiter relevanter Anhaltspunkt betrifft die onomatologische Kraft. Wie bereits in Zusammenhang mit der ὄνομα-Formel festgestellt, verbürgt die Kenntnis und Aussprache des Namens nach der gnostischen Lehre die Anwesenheit der übernatür­lichen Gestalt. Dies hat als logische Folge, dass die Aussage τὸ σὸν ὄνομα ἐμὸν καὶ τὸ ἐμὸν σὸν das exakte Äquivalent von ἐγώ εἰμι σὺ καὶ σὺ ἐγώ ist. Hinter diesem Text steckt also eine tiefgehende Überlegung über die theologischen Implikationen der „ich bin“-Formel.

Die performative und daraus „schaffende“ Konnotation des magischen Aktes stützt sich mittlerweile auf eine fortgeschrittene wissenschaftliche Behandlung und braucht hier nicht erneut nachgewiesen zu werden [52]. Performativität in der Zauberpraxis kann auf drei Ebenen erkannt werden: erstens in den rituellen Handlungen; zweitens in der eben erwähnten schaffenden Kraft der Zaubersprüche; drittens in der dramatischen Strukturierung des Zaubervortrags. Es ist genau diese letzte Dimension des Perfor­mativen, die der „ich bin“-Formel innewohnt. Der Ausführende des Zaubers verhielt sich wie ein wahrer Schauspieler, der in seiner one man show sogar mehrere Götter­rollen übernehmen konnte.



 

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Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Lehrstuhl für Alte Geschichte
Zschokkegasse 32, Gebäude 40, Raum 177
39104 Magdeburg, Deutschland
sara.chiarini@ovgu.de

Sara Chiarini

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* Der vorliegende Aufsatz ist im Rahmen meiner Forschungstätigkeit für das an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg angesiedelte DFG-Projekt „Magische Verfluchungen als Durchsetzung von Recht. Transkulturelle Entwicklung und individuelle Prägung der antiken Fluchtafeln“, geleitet von Martin Dreher, entstanden. Meine herzlichste Dankbarkeit für die stän­dige Unterstützung und die immer nützlichen Hinweise möchte ich Herrn Dreher und meinen Kollegen Kirsten Jahn und Yves Löbel ausdrücken. Ein Dank geht auch an die Teilnehmer des im Januar 2016 stattgefundenen Mitteldeutschen Althistorikertreffens in Magdeburg, in dessen Rahmen ich eine vorläufige Version dieser Untersuchung vorstellen durfte, insbesondere an Angela Pabst, für die zahlreichen Anregungen. — DT = A. Audollent, Defixionum tabellae, Paris 1904; PGM = K. Preisendanz, Papyri Graecae Magicae, Leipzig, Berlin 1928–1931; TheDeMa = Thesaurus Defixionum Magdeburgensis (http://www-e.uni-magdeburg.de/defigo/thedema.php).

[1] Ein lobenswerter Beitrag auf diesem Gebiet ist das Lexikon der meist verwendeten Zauberworte in den magischen Quellen der westlichen Zivilisation, das vor kurzem von Lecouteux fertiggestellt wurde (C. Lecouteux, Dictionary of Ancient Magic Words and Spells, Rochester 2015).

[2] Hier ein Überblick der bisherigen Publikationen zu diesem Thema, die allerdings die rhetorischen und ethischen Implikationen der Formelverwendung nur am Rande streifen. Als erster wurde Norden auf diese Formel aufmerksam, als er sich mit ihrer soteriologischen Funk­tion innerhalb der christlichen Literatur beschäftigte (E. Norden, Agnostos theos. Unter­suchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Leipzig, Berlin 1913, 177–201). Außerdem behauptete Norden, die Formel sei aus testamentarischen Quellen in die Zaubertexte gelangt (Norden, Untersuchungen 186–187). In Nordens Kielwasser segelte Schweizer, der die ἐγώ εἰμι-Formel als Anlass für eine Untersuchung der rhetorischen Quellen des Johannes-Evan­geliums nutzte (E. Schweizer, Ego eimi. Die religionsgeschichtliche Herkunft und theologische Bedeutung der johanneischen Bildreden, zugleich ein Beitrag zur Quellenfrage des vierten Evangeliums , Göttingen 1939, 9–45). Barb behandelte die „ich bin“-Formel nur in Zusammen­hang mit Abrasax, um zu beweisen, dass dieses Wort keine vox magica, sondern der Eigen­name einer göttlichen Gestalt sei; außerdem erwähnte er Nordens Diskussion der „ich bin“-Formel in den Bibelschriften und den von jenem behaupteten Einzug in die Zaubertexte aus den testamen­tarischen Quellen (A. A. Barb, Abraxas-Studien. Hommages à Waldemar Deonna, Bruxelles 1957, 73–76). Bergman beschränkte seine Analyse der „ich bin“-Formel auf die von Diodorus Siculus wiedergegebene Grabinschrift von Isis und Osiris, die sogenannte Isis­aretalogie (Diod. 1.27.3–6; J. Bergman, Ich bin Isis. Studien zum memphitischen Hintergrund der griechischen Isisaretalogien , Stockholm 1968, 30–33). Einen Sonderfall bildet der Kom­mentar von Merkel­bach und Totti zu PGM V, in dem man einen allerdings rein deskriptiven Überblick der rheto­rischen Formen der Gottesoffenbarung in der 1., 2. und 3. Person findet (R. Merkelbach, M. Totti, Abrasax. Ausgewählte Papyri religiösen und magischen Inhalts. Band II: Gebete (Fortsetzung) , Wiesbaden 1991, 171–173).

[3] Zum Verhältnis zwischen ägyptischen und hellenistischen Einflüssen in der Religion Ägyptens der römischen Zeit siehe D. Frankfurter, The Consequences of Hellenism in Late Antique Egypt: religious worlds and actors , ARC 2 (2000) 162–194 und R. Gordon, Shaping the Text: Innovation and Authority in Graeco-Egyptian Malign Magic , in: H. F. J. Horstmanshoff, H. W. Singor, F. T. van Straten, J. H. M. Strubbe (Hrsg.), Kykeon. Studies in Honour of H. S. Versnel, Leiden, Boston, Köln 2002, 69–111. Zur möglichen griechisch-lateinischen „Kund­schaft“ der spätägyptischen Priester-Zauberer siehe R. Gordon, Memory and Authority in the Magical Papyri, in: B. Dignas, R. R. R. Smith (Hrsg.), Historical and Religious Memory in the Ancient World, Oxford 2012, 145–180.

[4] Mehr dazu unten in Paragraph 6.

[5] Manchmal ist die koptische Form mit griechischen Buchstaben als ανοχ geschrieben. Das Wort ανοχ entwickelt sich auch als einzelnes Zauberwort, losgelöst von einer „ich bin“-Formel und meist verdoppelt (ανοχ ανοχ), wie in DT 295 = TheDeMa 45; R. W. Daniel, F. Maltomini, Supplementum Magicum. Vol. 1, Opladen 1990, 132–153 Nr. 42 = TheDeMa 144 und SEG 52 1875 = TheDeMa 379.

[6] Siehe unten Paragraph 4.

[7] ⲁⲛⲟⲕ ⲁⲛⲟⲩⲡ ⲁⲛⲟⲕ ⲟⲩⲥⲓⲣⲫⲣⲏ ⲁⲛⲟⲕ ⲱⲥⲱⲧ ⲥⲱⲣⲱⲛ ⲟⲩⲓⲉⲣ ⲁⲛⲟⲕ ⲡⲉ ⲟⲩⲥⲓⲣⲉ ⲡⲉⲛⲧⲁ ⲥⲏⲧ ⲧⲁⲕⲟ.

[8] G. Bevilacqua, Due nuove defixionesgreche da Roma, Epigraphica 60 (1998) 114–132 = SEG 52 988 = TheDeMa 90.

[9] D. Jordan, A Curse on Charioteers and Horses at Rome, ZPE 141 (2002) 144. Leider setzt sich Jordan mit den von ihm gestellten Fragen nicht auseinander, so dass der Leser dabei in ziemliche Verwirrung gebracht wird.

[10] Siehe unten Abschnitt 7.

[11] PGM IV 723–724: ἐγώ εἰμι φερουσα | μιουρι; PGM IV 765–767: ἐγὼ γάρ εἰμι φωρ φορα | φως φοτιζαας (οἱ δέ· φωρ φωρ οφοθει | ξαας).

[12] Daniel, Maltomini, Supplementum (o. Anm. 5) 184–192, Nr. 48 = TheDeMa 323.

[13] Nicht unpassend spricht Lütge von „Vergottung des Ausführenden“ in Bezug auf diesen Text. Weniger klar ist, warum er den „Ausführenden“ des Zaubers sich mit dem Gottessohn identifizieren lässt, obwohl es unumgänglich ist, dass die Identifizierung mit Gott Vater erfolgt (M. Lütge, Iranische Spuren im Zostrianos von Nag Hammadi. Persische Einflüsse auf Gnosis und Christentum , Frankfurt am Main, Berlin 2010, 221).

[14] Siehe unten Paragraph 7.

[15] Oft findet man einleitende bzw. abschließende Anweisungen wie λέγε/εἰπὲ τὸν λόγον (PGM I 250–251; IV 74, 90, XXXVI 163, 284–285, 314; cf. auch PGM IIΙ 128, 461), ταῦτα εἴπων ( PGM IV 724) oder einfach λέγε (PGM III 264; IV 1006; VII 405, 425, 491, 661; XII 216; XIII 254, 283; XXII b 32; cf. auch PGM III 343).

[16] Vor dem Zaubertext liest man nur: Ἀγωγή. εἰς <ὄ>στρακον ὠμὸν χαλκῷ γραφίῳ (PGM XXXVI 185). Vor allem stützt der Vergleich mit ähnlichen, aber deutlicheren Ausdrücken wie PGM XII 78–79 (λόγος | γραφόμενος ἐν τῷ πιττακίῳ) die Vermutung einer kombinierten schriftlich-mündlichen Zauberpraxis.

[17] Kelhoffer spricht ohne Bedenken von spell, in dem der Vorführende Hekate unmittelbar beschwört, ohne dem medialen Träger des Zaubers die geringste Aufmerksamkeit zu widmen (J. A. Kelhoffer, Miracle and Mission. The Authentication of Missionaries and Their Message in the Longer Ending of Mark , Tübingen 2000, 387).

[18] Ein drittes Beispiel für das Vorkommen der „ich bin“-Formel außerhalb eines Zauber­spruches findet sich auf einem Fieberamulett (PGM XXX 23–24), bei welchem die Präsenz der heilenden Gottheit (Kok?) genau im dadurch geweihten Gegenstand vorausgesetzt wird: ... παῦ[σο]ν τὴν | Ταΐδα ἀπὸ παντὸς ῥίγους […] ὅ>τι ἐγώ εἰμι ὁ πατρο|παράδοτος θεός, ἀκάματος Κ[ο]κ Κ[ο]υκ Κου[λ | ἤδη ἤδη, ταχὺ ταχύ], „erlöse Taïs von allem Fieberfrost [...], weil ich der von den Vätern überlieferte Gott bin, der ruhelose Kok, Kouk Koul. Jetzt jetzt, schnell schnell“. Ähnliches gilt für drei weitere Amulette mit Schutzzauber (PGM IV 81–82, SupplMag I 6 und 13). Das erste ist übrigens kein Papyrus, sondern eine plastische Gestalt aus Hämatit in der Form eines Falken, die eben den „sprechenden“ Gott Harpokrates/Horus verkörpern soll.

[19] Wenn man einen Blick auf den Großen Demotischen Papyrus wirft (siehe unten Appendix IV), findet man sogar Tiergestalten wie Stier, Widder, Löwe, Gryphon und Ibis als Prädikate der „ich bin“-Formel. Dabei handelt es sich bekanntermaßen um die heiligen Tiere der ägyptischen Gottheiten — und daher um deren tierische Erscheinungen.

[20] Siehe z.B. PGM VII 323, XII 229.

[21] Moses als Objekt der Identifizierung in einer „ich bin“-Formel ist übrigens belegt, genauer im PGM V 98–159, so dass man PGM XII 94–95 als zweites Beispiel einordnen kann.

[22] „What is most noticeable in the magic phrases is their multiple functionality. It would only be a slight exaggeration to say that none of them are truly specialized, treat but one illness or type of curse, or even serve as protection against any one form of attack, whatever that aggres­sion may be. This multifunctional character arises from their ability to be combined together ...“ (Lecouteux, Dictionary [o. Anm. 1] 17).

[23] Ob der Ursprung der Formel in der biblischen Tradition liegt, soll hier nicht weiter diskutiert werden, da dies keine besondere Relevanz für die eigentliche Verwendung der Formel in der Magie hat. Dazu siehe oben Anm. 2 und die dort angegebene Bibliographie.

[24] Die häufige „Verwandlung“ der Toten in Götter in der altägyptischen Totenliteratur ist ein weiterer Beweis der Herkunft dieser Formulierung (siehe die zitierten Beispielstellen in D. Wortmann, Neue magische Texte, BJ 168 [1968] 93).

[25] R. Wünsch, Deisidaimoniaka, Archiv für Religionswissenschaft 12 (1909) 1–45; J. G. C. Anderson, F. V. M. Cumont, H. Grégoire, Recueil des inscriptions grecques et latines du Pont et de l’Arménie , Brüssel 1910, 20 Nr. 10g = CIJud 802 = TheDeMa 583.

[26] Bei der ersten Edition der lamella blieb Pétridès vorsichtiger, was die Chronologie betrifft, und gab nur das 6. Jhdt. n.Chr. als terminus ante quem an (S. Pétridès, Amulette judéo-grecque, Échos d’Orient 8, 51 [1905] 88–90). Hingegen spricht sich der letzte Herausgeber Kotansky mit großer Sicherheit für eine sehr frühe Datierung des Fundes aus, vor allem aufgrund von paläographischen Parallelen mit der griechischen Papyruskursive des 1. Jhdt. v.Chr. (R. Kotansky, Greek Magical Amulets. The Inscribed Gold, Silver, Copper, and Bronze Lamellae. Part I: Published Texts of Known Provenance , Wiesbaden 1994, 182).

[27] „Der gute Wächter Re“; siehe Kotansky, Greek Magical Amulets (o. Anm. 26) 185–186.

[28] Der ägyptische Schlangengott, von Philo von Byblos (apud Euseb. Praep. Evang. 1.10.48) mit dem Agathos Daimon gleichgestellt. Siehe Kotansky, Greek Magical Amulets (o. Anm. 26) 187.

[29] Kotansky, Greek Magical Amulets (o. Anm. 26) 193. Der Gelehrte spürt sogar hinter dem abschließenden Ausdruck ἐγώ εἰμι ὁ βασιλ̣ίζων τὸν τόπον einen Hinweis auf Mithridates VI. von Pontus. Es bleibt allerdings unerklärt, ob Mithridates VI. als tatsächlicher Besitzer des Amuletts angenommen wird, oder ob es sich um eine zusätzliche Identifizierungsformel handelt (Kotansky, Greek Magical Amulets [o. Anm. 26] 192).

[30] Wortmann, Texte (o. Anm. 24) 92–93.

[31] Es reicht, an Mythen wie jene von Niobe und Leto oder Marsyas und Apollon zu denken. Vgl. auch die bekannten Verse Pindars μὴ μάτευε Ζεὺς γενέσθαι: πάντ᾽ ἔχεις, | εἴ σε τούτων μοῖρ᾽ ἐφίκοιτο καλῶν. | θνατὰ θνατοῖσι πρέπει (Pind. 1.5.14–16).

[32] Zur beinahe göttlichen Verehrung der Syrakusaner Dion und Dionysios II. sowie von Demetrios Poliorketes und zur Selbsterhebung zum göttlichen Zustand bei Empedokles siehe die ausführliche Diskussion zur „Theopoiese“ in H. S. Versnel, Coping with the Gods. Wayward Readings in Greek Theology, Leiden 2011, 444–456 (mit reichlicher Bibliographie). Allgemein zur Übernahme göttlicher Merkmale seitens der griechisch-römischen Herrscher siehe L. Cerfaux, J. Tondriau, Un concurrent du christianisme. Le culte des souverains dans la civili­sation gréco-romaine , Paris 1957.

[33] Davon unterscheidet sich der Fall des Tyrannen von Herakleia Pontike Klearchos, der sich als Sohn des Zeus darstellte (Diod. Sic. 15.81.4; Iustin. 16.4.4–8). Versnel erwähnt ihn neben Menekrates, aber eine göttliche Herkunft zu beteuern ist ein ganz anderes Verhalten, das auch durch weitere bekannte Beispiele belegt ist (Versnel, Coping [o. Anm. 32] 442).

[34] Athen. 7.289; Clem. Al. Protr. 4.54. Zur „Sekte“ des Menekrates siehe O. Weinreich, Menekrates Zeus und Salmoneus. Religionsgeschichtliche Studien zur Psychopathologie des Gottmenschentums in Antike und Neuzeit , Stuttgart 1933; vgl. auch Versnel, Coping (o. Anm. 32) 439–444.

[35] Athen. 7.289e–289f.

[36] Siehe unten Paragraph 7.

[37] Beispielsweise verwendet Plato den Begriff κατοκωχή (Pl. Ion. 536c; Phaidr. 245a). Zu den Merkmalen des ἐνθουσιασμός und für weitere literarische Verweise siehe T. Schirren, Enthusiasmus, DNP 12/2 (2002) 951–952.

[38] Wie Schirren erklärt, gehört der Enthusiasmus nicht zur originellen römischen Reli­gionssphäre, sondern zum aus Griechenland übernommenen Kulturkomplex (T. Schirren, Enthu­siasmus [o. Anm. 37]).

[39] ⲁⲛⲕ· ⲃⲁⲣⲃⲁⲣⲓⲱⲑ· ⲃⲁⲣⲃⲁⲣⲓⲱⲑ ⲁⲛⲕ· ⲡⲉⲥⲕⲟⲩⲧ | ⲉⲓⲁⳍⲟ ⲁⲇⲱⲛⲁⲓ ⲉⲗⲱⲁⲓ ⲥⲁⲃⲁⲱⲑ ⲁⳙⲟⲩ ⲉⳍⲟⲩⲛ ⲉⲡⲓ | ⲕⲟⲩⲓ ⲛⲡⲟⲟⲩ· ⳓⲉ ⲁⲛⲟⲕ ⲡⲉ ⲃⲁⲣⲃⲁⲣⲓⲱⲑ.

[40] Nicht zufällig betitelt Versnel sein Kapitel zum Herrscherkult in seiner 2011 erschie­nenen Monographie zur altgriechischen Theologie Playing (the) god (Versnel, Coping [o. Anm. 32] 439–492).

[41] Versnel spricht von role-playing für die Darsteller der Ritualhandlungen und von willing suspension of disbelief für die Adressaten (Versnel, Coping [o. Anm. 32] 470–480).

[42] Die im Folgenden vorgebrachten Statistiken ergeben sich aus einem Corpus von 38 Okkurrenzen der „ich bin“-Formel, für welche eine mündliche bzw. schriftlich-mündliche Auf­führung anzunehmen ist. Die Anzahl der Zauber, die nur aus der „ich bin“-Formel bestehen, beträgt 16.

[43] Zur Feindschaft des Osiris (und in diesem Falle seines Sohnes Hôros) gegen Seth, siehe oben PGM IV 185–193 und den betreffenden Kommentar.

[44] Damit ist gemeint, dass entweder derselbe Name einer (evtl. auch nicht weiter bekannten) Gestalt oder Alternativnamen einer bekannten Gestalt in B und F auftauchen. Davon kann man drei sichere Fälle zählen, also 13% der Zahl der komplexen Okkurrenzen der „ich bin“-Formel (d.h. in Kombination mit anderen rhetorischen Komponenten).

[45] ἐπικαλοῦμαι καὶ εὔχομαι τὴν τελε|τήν, ὦ θεοὶ οὐράνιοι, ὦ θεοὶ ὑπὸ γῆν, ὦ θεοὶ ἐν μέσῳ μέρει κυκλούμενοι [...] ὦ πάσης γέννης | τροφοί, ὦ βασιλέων κύριοι καὶ κρατισταί, ἔλθατε εὐμενεῖς, ἐφ᾽ ὃ ὑμᾶς ἐπικαλοῦμαι, ἐπὶ τῷ | συμφέροντί μοι πράγματι εὐμενεῖς παραστάται („Ich rufe an und bete um Weihe, Ihr himmlischen Götter, Ihr unterirdischen Götter, Ihr Götter, die dazwischen kreisen [...] Ihr Gründer und Wohltäter jedes Geschöpfes, Ihr Ernährer jedes Ge­schöpfes, Ihr Herren und Allermächtigsten unter den Königen, kommt gnädig zu dem, wofür ich Euch anflehe, wohlgesinnte Beistehende bei diesem mir günstigen Unternehmen“).

[46] Zum Originaltext siehe PGM XII 227–238.

[47] Unter den auswertbaren Okkurrenzen belegen 7 Passagen einen höheren Rang der be­schworenen Gottheiten im Vergleich zu den verkörperten und 6 das Gegenverhältnis. Dies ent­spricht Anteilen von respektive 32% und 27%, wie im unten stehenden Diagramm veranschau­licht.

[48] Die Kette konnte außerdem beliebig erweitert werden (B=>F=>B=>F ...), genauso wie in der umgekehrten Reihenfolge (F=>B=>F=>B ...).

[49] Siehe oben Abschnitt 2.

[50] Weitere Beispiele dieser Gliederung sind: PGM V 98–159 (Osiris ist Empfänger des Gebets, das von Moses ausgesprochen wird) und PGM XII 454–464 (hier wendet sich ein Dämon namens Xanthis an Iaô; siehe oben Abschnitt 4).

[51] Eigentlich wird dieses Thema bereits im PGM IV 487–537 angegangen. Dort ist ein Zau­ber überliefert, der dazu dienen soll, sich unsterblich zu machen und in einen göttlichen Zustand zu erheben.

[52] Die Übernahme der von Austin elaborierten allgemeinen Kommunikationstheorie des speech act in den Bereich der alten Zauberei ist Stanley J. Tambiah zu verdanken. Tambiah be­zeichnete Magie als performative utterance (J. L. Austin, How To Do Things With Words, Oxford 1962; S. J. Tambiah, The Magical Power of Words, Man 3 [1968] 175–208; S. J. Tambiah, A Performative Approach to Ritual, PBA 65 [1979] 113–169). Über die Grenzen bei der aus­schließlichen Anwendung dieses Ansatzes für eine vollständige Definition von Magie siehe J. Z. Smith, Trading Places, in: M. Meyer, P. Mirecki (Hrsg.), Ancient Magic and Ritual Power, Leiden, New York, Köln 1995, 15 und J. Z. Smith, Great Scott! Thought and Action One More Time, in: P. Mirecki, M. Meyer (Hrsg.), Magic and Ritual in the Ancient World, Leiden, New York, Köln 2002, 90. Die Anwendung der Sprechakttheorie in der sprach-pragmatischen Analyse der lateinischen defixiones kennzeichnet Amina Kropps Arbeit (A. Kropp, Magische Sprach­verwendung in vulgärlateinischen Fluchtafeln (defixiones) , Tübingen 2008, 122–139).

[53] Erläuterung der Abkürzungen:

G = Griechisch

K = Koptisch

M = mündlich

S = schriftlich