Konrad Stauner


Finanzliteralität im Imperium Romanum am Beispiel der argentarii und signiferi
Dokumentationsexperten im zivilen und militärischen Finanzwesen
(späte Republik – Prinzipatszeit)



Neben der Verwaltung des zivilen und militärischen Staatsapparats gibt es wohl kaum einen Bereich der römischen Gesellschaft, der dokumentationstechnisch betrachtet so reglementiert war wie das Metier der argentarii. Die Berufspraxis dieser professio­nellen Finanzdienstleister ist schriftkulturell höchst interessant, hat aber außerhalb eines relativ engen Fachkreises von Rechts- und Finanzhistorikern bislang kaum Be­achtung gefunden [1]. Und auch innerhalb dieses Spezialistenzirkels wurden die einschlägigen Quellen, soweit ich sehe, bislang nicht unter schriftkulturellen Aspek­ten beleuchtet, sondern vielmehr auf finanz- bzw. spezielle dokumentations­technische Fragestellungen hin untersucht. Ebenso verhält es sich umgekehrt in der militärhisto­rischen Forschung, deren Fragestellungen an Finanzdokumente der Truppen schrift­kulturelle Aspekte mit Anknüpfungspotenzial an die ‚argentarische‘ Dokumentation bislang unberücksichtigt gelassen haben. Der Gedanke zu einem Vergleich der vonargentarii und signiferi geführten Dokumentation kam mir an­lässlich eines Beitrags zu einem Kolloquium in Passau 2007 [2]. Die vorliegende Untersuchung versteht sich als ein schriftkultureller Brückenschlag zwischen der dokumentarischen Tätigkeit der argentarii und der signiferi. Es geht dabei nicht um finanztechnische Fragen zu Krediten, Zinsen oder Besoldung, sondern um eine vergleichende Betrachtung der beiden Dokumentationsbereiche als schriftkulturelles Phänomen, dessen übergreifen­den Gemeinsamkeiten und Wurzeln nachgespürt werden soll[3]. Im Mittelpunkt stehen deshalb zum einen die skripturalen Verfahrens­weisen und Techniken der argentarii und signiferi bei der Erstellung zweckdienlicher Dokumente sowie die Verortung dieser finanztechnischen Skriptu­ralität als Ausdruck administrativer Rationalität im größeren Kontext des römischen Gemeinwesens bzw. der römischen Gesellschaft; zum anderen die für die Ausübung dieser spezifischen Tätigkeit vorausgesetzten Kenntnisse sowie deren Erwerb und Anwendung in der Praxis.

Die Untersuchung ist in zwei Teile unterteilt: Der erste Teil (Kapitel 1–5) befasst sich mit den Dokumenten der argentarii und signiferi als rechenschaftslegender Ge­brauchsprosa, deren übergreifende schriftkulturelle Gemeinsamkeiten herausge­arbei­tet werden. Zu diesem Zweck werden in einem ersten Schritt die typischen Tätigkei­ten des argentarius und seine Dokumentationspflichten aufgrund des prätorischen Edikts vorgestellt (1). Daran anknüpfend wird die in der Forschung diskutierte Frage nach der Gestaltung argentarischer Geschäftsunterlagen aufgegriffen und mittels einer detaillierten Nachzeichnung des dokumentationstechnischen Prozedere auf Seiten der militärischen Kassenverwalter eine mögliche Lösung dieser Frage im Sinne einer Synthese der in der Untersuchung vorgestellten Forschungs­meinungen zur argentari­schen Dokumentation aufgezeigt, die zugleich auf über­greifenden dokumentations­technischen Gemeinsamkeiten mit der militärischen Finanzdokumentation beruht (2–5). Im Anschluss hieran werden die skripturalen Gemeinsamkeiten der argentarischen und ‚signiferischen‘ Dokumentation in den größeren Kontext der griechisch-römischen Schriftkultur gestellt und insbesondere die zentrale Rolle des aristokrati­schen Haushalts für die Herausbildung und Verbrei­tung übergreifender dokumentati­onstechnischer Konventionen herausgearbeitet (6).

Der zweite Teil (Kapitel 7–9) stellt die argentarii und signiferi als die Ersteller und Träger der im ersten Teil vorgestellten Dokumentationen in den Mittelpunkt und beleuchtet ihre Rolle und Funktion in der jeweiligen Öffentlichkeit, in der sie tätig waren (7), ihre daraus sich ergebende Pflicht zur Dokumentenarchivierung (8) und ihre Ausbildung zum Dokumentationsexperten (9). Beschlossen wird die Unter­su­chung durch eine kursorische Behandlung zweier Fragen, die sich sozusagen implizit aus der Diskussion ergeben, nämlich der Frage nach geschäftlichen Bezie­hungen zwischen argentarii und Militärangehörigen (Appendix A) und jener nach sozialen Beziehungen zwischen argentarii und signiferi (Appendix B). Am Ende der Arbeit werden die Diskussionsergebnisse zusammengefasst.

Ich vertrete die These, dass weder das zivile Bankwesen noch die militärische Verwaltung der Soldatengelder arkane, nur den jeweiligen Insidern verständliche Dokumentationsweisen ausbildete, sondern dass diese vielmehr einen gemeinsamen Pool übergreifender schriftkultureller Konventionen nutzten und deshalb Verfahrens­techniken, die in dem einen Bereich nachweisbar sind, auch für den anderen Bereich postuliert werden können. Des Weiteren stelle ich die These auf, dass argentarii und signiferi (letztere zumindest in finanzadministrativer Hinsicht) für ihren jeweiligen Tätigkeitsbereich prinzipiell dieselbe Bedeutung und Funktion hatten und auch ihre Ausbildung auf prinzipiell gleichgeartete Weise absolvierten. Die grundlegenden Gleichförmigkeiten finden ihre tiefere Begründung in der Sache an sich und nicht in sozialen Überschneidungen.


1) Typische Tätigkeiten und Dokumentationspflichten des argentarius

Der argentarius, argentarius coactor und seit der ersten Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. auch der nummularius waren berufsmäßige Betreiber einer Depositenbank (mensa argentaria bzw. nummularia[4]). Die typischen Tätigkeiten einer argentaria setzten zwischen Bankier und Kunden eine Geschäftsbeziehung von einer gewissen Dauer voraus und bestanden im wechselseitigen Geben und Nehmen, Kreditieren, Sich-Ver­pflichten und Erfüllen sowie im Empfangen von Geld und im Auszahlen von Teil­beträgen [5]. Argentarii nahmen von ihren Kunden Gelder entgegen und verwalteten diese, gewährten kurzfristige Darlehen von einigen hundert bis einigen tausend Sesterzen an Privatpersonen und Geschäftsleute und boten Kassen- bzw. Zahlungs­dienstleistungen an Dritte an. Im Gegenzug durften sie hinterlegte Gelder in Ab­spra­che mit den Kunden gegen Zinsen verleihen [6]. Daneben gehörten Geldwechsel und Münzprüfung zu ihren angestammten Aufgaben, mit denen sie wohl ursprünglich zuerst befasst waren[7]. Gegen Ende des 2. oder vielleicht auch erst seit Beginn des 1. Jhs. v. Chr. begannen die argentarii, sich in gewissem Umfang mit Auktionen zu befas­sen[8], indem sie den Käufern der zu versteigernden Waren verzinste Darlehen mit kurzen Laufzeiten von einigen Monaten bis max. einem Jahr gewährten [9]. Das Depot­geschäft war jedoch ihr Alleinstellungsmerkmal: Nur argentarii hatten das Recht, für jeden ihrer Kunden ein Konto (ratio) zu eröffnen, während Geld auch faeneratores verliehen, die keine Bankiers waren und folglich auch kein Depotgeschäft betrieben[10]. Über diese Geschäftstätigkeiten musste jeder argentarius Unterlagen führen, da diese vor Gericht sozusagen als Beweismittel verwendet werden konnten [11]. Allein den professionellen Betreibern einer Depositenbank erteilte der Staat Vorschriften zumin­dest zur Datierung und Bereitstellung jener Auszüge aus ihren Geschäfts­unterlagen, die vor Gericht verwendet werden sollten. Nach dem prätorischen Edikt war ein argentarius editionspflichtig[12], sofern er das jeweilige Geschäft sui causa, also „in seinem Interesse“ abgeschlossen hat[13].

Edere bedeutet nach Ulpian, im Vorfeld eines möglichen Prozesses dem Gegner (reus) das eigene Begehren bzw. die Klage (actio) bekanntzugeben, so dass dieser dadurch Bescheid wusste und entscheiden konnte, ob er dem Begehren weichen oder es anfechten sollte [14]. Die Bekanntgabe konnte auf verschiedene Art erfolgen: Der Edierende verschaffte dem Auskunftsberechtigten die Gelegenheit zum Abschreiben der Klage (copiam describendi facere) oder nahm sie in die Klageschrift auf und übergab diese (in libello complecti et dare) oder diktierte die Klage dem Beklagten (dictare). Eine weitere Möglichkeit bestand darin, dass der Kläger den Beklagten zur Edikttafel (album) führte und ihm zeigte, welche Klageformel er zu verwenden beab­sichtigte, oder ihm sagte, wovon er Gebrauch zu machen gedachte [15]. Formal gesehen musste also dem Beklagten das eigene Begehren schriftlich oder mündlich mitgeteilt werden. Inhaltlich betrachtet waren nur die prozessrelevanten Infor­mationen bekannt­zugeben. Was vor Gericht nicht verwendet wurde, musste nicht ediert werden[16].

Der Betreiber einer argentaria war bei Rechtsstreiten ebenfalls auskunftspflichtig, gleichgültig ob der Streit mit ihm oder einem Dritten geführt wurde [17]. Dabei konnte er die relevanten Aufzeichnungen (rationes) dem Auskunftsberechtigten ebenfalls auf verschiedene Weise bekanntgeben, entweder indem er sie diktierte oder in Abschrift übergab (tradere libellum) oder das Rechnungsbuch zur Einsichtnahme vorlegte (codicem proferre)[18]. Verwahrte der argentarius, wie es anscheinend häufiger vor­kam, die Dokumentation seines Bankgeschäfts (instrumentum[19]) nicht im Geschäfts­lokal, sondern im Landhaus (villa) oder in einem Lagergebäude (horreum), so hatte er die Wahl, den Auskunftsberechtigten entweder zum Aufbewahrungsort zu führen (ad locum perducere) oder sie ihm in Abschrift zu übergeben (descriptas rationes dare)[20]. Die Auskunftspflicht beschränkte bzw. präzisierte Gaius dahingehend, dass nicht das gesamte (Wachstafel-)Buch der Rechnungseinträge (codex rationum) und alle Blätter (membranae) eingesehen und abgeschrieben werden sollten bzw. durften, sondern lediglich die relevanten Einträge[21]. Diese mussten, um Aussagekraft zu besitzen, mit einer Datumsangabe versehen sein [22]. Dieses explizite Erfordernis hat in der ein­schlägigen Forschung zu einer intensiven Diskussion über Aufbau und Anordnung der einzelnen Einträge in den rationes geführt[23]. Überwiegend wird die Ansicht vertreten, dass die rationes nicht Konto für Konto angeordnet waren, sondern einem chronologischen Aufbau folgten. Andreau begründet dies damit, dass in ersterem Fall jeder Eintrag mit einem Datum versehen gewesen wäre und im Prätorenedikt nicht eigens hätte angeführt werden müssen, dass dem für Gerichtszwecke zur Verfügung zu stellenden Auszug aus den Bankunterlagen das Datum hinzugefügt werden müsse. Bei einer chronologischen Anordnung habe das Datum nur einmal pro Tag zu Beginn der Geschäftsaktivitäten angegeben werden müssen. Andreau stützt sich in seiner Argumentation für die chronologische Anordnung auf Ulpian, der hierzu ein an­schauliches Beispiel anführt: Wenn am Anfang der Täfelchen ein Datum (Tag und Konsul) steht, an dem etwa der Rechnungseintrag (ratio) eines gewissen Titius ge­schrieben steht, und darunter mein eigener Eintrag ohne Datum folgt, so bezieht sich das oben angegebene Datum auch auf meinen Eintrag, denn eine vorangestellte Datums­angabe hat für alle nachfolgenden Rechnungseinträge Gültigkeit [24].

Gröschler hingegen sieht, wie mir scheint zu Recht, in der ratio nicht die Ab­rech­nung eines einzigen Tages, sondern vielmehr eines ‚längeren Abschnitts der Ge­schäftsbeziehung‘ und ist folglich nicht der Auffassung, dass die in Dig. 2,13,6,6 genannten tabulae nur die rationes eines einzigen Tages enthalten haben, wofür viel­mehr die Bezeichnung nomina Titii hätte gesetzt werden müssen[25]. Er wendet außer­dem zu Recht ein, dass die von Ulpian geforderte Datumsangabe nicht not­wendiger­weise bedeutet, dass sich alle Einträge der tabulae auf das vorangestellte Tagesdatum beziehen mussten, d. h. dass nicht alle Geschäftstätigkeiten, die unter einem Tages­datum dokumentiert waren, notwendigerweise alle an besagtem Tag vollzogen wurden. Vielmehr könne mit dem genannten Tagesdatum auch der Tag gemeint sein, an dem die tabulae erstellt worden seien, was voraussetze, dass „die rationes von den Bankiers nicht Tag für Tag, sondern in gewissen zeitlichen Abständen erstellt wurden. […] Vermutlich führten […] die Bankiers laufende Auf­zeichnungen über sämtliche Geschäfte, auf deren Grundlage dann die einzelnen rationes in regelmäßigen Abstän­den erstellt wurden.“ [26]

2) Summarische rationes zu den Vermögensverhältnissen von Soldaten

Eine mögliche Stütze für Gröschlers Lesung der Datumsangabe liefert die Finanz­dokumentation des römischen Heeres zu den Geldern der Soldaten [27], bietet sie doch interessante Einblicke, die helfen können, das dokumentationstechnische Proze­dere auch auf ziviler Seite besser zu verstehen: ChLA I 7 a & b = Rom.Mil.Rec. 68 = ChLA XLVIII 7, S. 10–11 aus dem Jahre 81 n. Chr. und Rom.Mil.Rec. 70 = ChLA X 410 = ChLA XLVIII 410 aus dem Zeitraum 193–196 n. Chr. sind Aufzeichnungen zu den in der Truppenkasse hinterlegten Geldern einzelner Soldaten zweier verschiede­ner Einheiten[28]. Ihre Unterschiede hinsichtlich Aufbau, Inhalt und Termi­nologie sind der dokumentationstechnische Reflex von in der Zwischenzeit durch­geführten Heeresreformen[29]. Zunächst zu ersterem Dokument: Wie bei Ulpian im Kontext argenta­rischer rationes beschrieben, sind hier unter einem vorangestellten Datum (Konsulangabe, Col. II 1) die rationes zu den deposita zweier Soldaten aufgelistet[30]. Jede ratio [31] enthält mehrere Einträge: den Empfang von Sold, diverse Abzüge in summarischer Form, v. a. für Verpflegung bzw. Ausrüstung, den ver­bleibenden Restsold, gegebenenfalls eine Übertragung eines Guthabens bzw. mög­licher Schulden aus der vorausgehenden Soldabrechnung (ex priore ratione[32]) und die Gesamtsumme der Ersparnisse. Das Datum ist ein Jahresdatum. Der Tag der je­weiligen Soldauszah­lung ist mit stip I, stip II und stip III nur indirekt angegeben, weil die Termine hierfür seit Augustus feststanden: 1. Januar, 1. Mai und 1. September[33]. Auf die Angabe stip II und stip III folgt unmittelbar eine Referenz (anni eiusd(em) bzw. anni eius) auf das zuvor angegebene Jahr, womit verdeutlicht wird, dass sich die fraglichen Soldaus­zahlungen alle auf ein und dasselbe Jahr beziehen [34]. In ChLA X 410 fehlen sowohl die stipendia-Angaben I–III als auch das Datum, an welchem die rationes erstellt wurden. Fink vermutete, dass für jede der Soldauszahlungen eine eigene Rolle ange­legt wurde, an deren Anfang vermerkt war, um welche der drei Auszahlungen pro Jahr es sich handelte[35]. Dies würde das Fehlen der stip-Angabe erklären. Obgleich der Anfang der Rolle und damit ihr Erstellungsdatum fehlt, enthält sie dennoch vor den Namen einiger Soldaten eine Datumsangabe. Es ist das Datum deren Dienstantritts. Für alle „undatierten“ rationes gilt — analog zu Ulpians Aus­führungen (Dig. 2,13,6,6) — dasselbe Dienstantrittsdatum wie für jenen Soldaten, dessen datierter Eintrag den vermeintlich datumslosen rationes am nächsten voraus­geht[36]. Die vorhan­dene Dokumentation bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass die Kassen­verwalter für jeden einzelnen Soldaten gesonderte, sachspezifische rationes im Sinne separater, personenbezogener Kassendokumente führten[37]. Viel­mehr zeigen uns die Papyri, dass die summarischen rationes der Soldaten in (ver­mutlich nach Zenturien und Rang geordneten) fortlaufenden Listen geführt wurden; sie also sozusagen mit­einander „vermischt“ waren[38]. Wollte man jemandem unter diesen dokumentarischen Gegebenheiten auf der Grundlage von Dig. 2,13,10,2 Ein­blick in die ratio eines bestimmten Soldaten gewähren, so ist die von Gaius geforderte Einschränkung auf ea sola pars rationum (s. Anm. 21) vollkommen verständlich, weil vor und nach dem fraglichen Eintrag die rationes anderer Soldaten standen.

3) Substanziierende Dokumentation zu den summarischen rationes

Von diesen, zu festgesetzten Terminen erstellten bzw. aktualisierten rationes sind die Empfangsquittungen zu unterscheiden, mit denen der einzelne Soldat den Emp­fang kostenpflichtiger Verpflegungs- bzw. Ausrüstungsgüter oder Dienst­leistungen bestätigte[39]. Diese sind teils Einzelquittungen, die ein einzelner Soldat ausstellte (teils mit Unterstützung eines literaten Kameraden, falls er selbst des Schreibens unkundig war), teils Kollektivquittungen, in denen ein Soldat stell­vertretend für mehrere Kame­raden den Empfang bestätigte. Erhalten sind solche Dokumente auf Papyri und Ost­raka[40]. Als Empfangsnachweise waren sie sub­stanzi­ierende (d. h. mit der Tatsache des Güter- bzw. Dienstleistungsempfangs belegte) Legitimationsgrundlage für entspre­chende Abzüge im Rahmen der nächsten Soldauszahlung und der damit verbundenen Erstellung neuer summarischer rationes [41]. Diese Substanziierung war auch aus juristi­scher Perspektive erforderlich: So äußerte der Rechtsgelehrte Pomponius die Auf­fassung, dass ein bloßer Rechnungsposten (nuda ratio) etwa in den rationes eines dominus diesen noch lange nicht zu einem Schuldner oder Kreditgeber mache, viel­mehr bedürfe es eines Nachweises für die Richtigkeit des Eintrags [42]. Dieselbe Situa­tion ist auch im Kontext der Soldabzüge gegeben: Nur anhand substanziierender Detailinformationen ließ sich nachweisen, dass die Gesamtabzüge in den summari­schen rationes korrekt bzw. berechtigt waren. Gleiches gilt für die Schulden, die einige Soldaten bei der Truppenkasse hatten und die in den rationes mit dem Eintrag debet + Geldbetrag oder debet ex priore ratione vermerkt waren[43]. In P.Fay. 105 wurden zudem die Schuldner bei der Truppenkasse unter der Überschrift debitores mit Namen und geschuldetem Betrag eigens auf­gelistet[44]. All diese Einträge erforder­ten ebenfalls substanziierende Dokumente, in denen die Schuld durch den debitor anerkannt und möglicherweise auch die Rückzahlung (bis) zu einem bestimmten Termin gelobt wurde[45]. Unbekannt ist, ob Soldaten auf Tagesbasis Geld abheben und wie viel Kredit sie gegebenenfalls bei der Finanzverwaltung der Truppe aufnehmen konnten [46]. Dass die Höhe aufnehmbarer Kredite beschränkt war, ist wahrscheinlich und könnte einer der Gründe dafür sein, weswegen Soldaten auch untereinander Dar­lehensvereinbarungen schlossen, in denen die Schuldner gelobten, die aufgenomme­nen Beträge ab bzw. mit der nächsten Soldauszahlung zurückzuzahlen[47], was wiederum zeigt, dass die Soldaten zumindest an den Terminen der Soldauszahlung Geld für die Rückzahlung von Schulden abheben konnten [48]. Falls dies auch an weiteren Tagen möglich war, könnten tabellae analog zu jenen in Dig. 2,13,6,6 ver­wendet worden sein, in denen fortlaufend alle Auszahlungen an verschiedene Solda­ten und eventuell auch deren Einzahlungen [49] registriert wurden und die zusammen mit den oben erwähnten Empfangs­bestätigungen als Grundlage für die Aktualisierung der rationes anlässlich der Sold­auszahlungen dienten[50].

Wie man bei der Verrechnung konkret vorging, ist nicht bekannt. In den Quit­tun­gen sind die Leistungsempfänger als Angehörige einer bestimmten turma bzw. centuria identifiziert, was vermuten lässt, dass auch die summarischen rationes ebenso nach Turmen bzw. Zenturien geordnet waren. Dadurch hätten wohl Kassen­verwalter relativ leicht die Empfangsbestätigungen dem jeweiligen Soldaten bzw. dessen Kasseneintrag zuordnen können. Ob sie bei der Durchsicht der Quittungen temporäre Kompilationen abzugsfähiger Beträge zu jedem einzelnen Soldaten er­stellten, ist ebenfalls nicht bekannt [51]. Denkbar ist auch, dass die truppeninternen Logi­stikstellen für die Ausgabe der diversen Güter sachspezifische rationes[52] führten, die lediglich die Ausgabe der Güter in standardisierten Umfängen an die Soldaten doku­mentierten. Auf eine Bezifferung zahlbarer Geldbeträge könnte man vermutlich ver­zichtet haben, weil diese für Leistungen in Standardumfängen zweifelsohne fest­standen[53]. Lediglich das Endergebnis, nämlich der Vollzug der Ausgabe an alle Solda­ten der jeweiligen Zenturie bzw. Turma, könnte an die Bearbeiter der Finanz­dokumente weitergeleitet worden sein. Der Vorteil dieser Verfahrensweise liegt auf der Hand: Die Dokumenten-Bearbeiter hätten nicht einzelne Quittungen sichten müs­sen, um für jeden Soldaten alle Abzugsposten zu eruieren, sondern sie hätten auf der Grundlage dieser kollektiven Vollzugsmeldungen [54] den Abzug vornehmen können. Nur individuelle Ausgaben oder Dienstleistungen hätten als Einzelposten an die Depotverwalter gemeldet und gesondert bearbeitet werden müssen[55]. Standar­disierte Abzüge waren darüber hinaus im Vorfeld einer Soldauszahlung genauestens kalku­lierbar. Lediglich individualisierte Ausgaben könnten unter Umständen nicht alle im Voraus in die Ermittlung anzufordernder Soldgelder mit eingeflossen sein. Möglich­erweise ist dies mit ein Grund, weswegen im Rahmen der Bereitstellung von Sold­geldern in den Quellen terminologisch differenziert wird zwischen den zwei Begriffen opinio und ratio, von denen ersterer vermutlich die Schätzung der benö­tigten Sold­gelder und letzterer die Endabrechnung nach erfolgter Soldauszahlung meinte [56]. Jeden­falls scheint erst nach Sichtung aller Unterlagen, die den Empfang abzugsfähi­ger Leistungen dokumentierten, eine neue ratio erstellt worden zu sein. Es ist mit Sicherheit nicht davon auszugehen, dass es hier lediglich eine Verfahrensweise gab, die über die gesamte Prinzipatszeit hinweg Gültigkeit hatte. Die unterschiedlich ge­stalteten Solddokumente belegen eine administrative Evolution in der Versorgung der Soldaten, die gewiss auch in den Details des — für uns leider nicht mehr nach­voll­ziehbaren — dokumentationstechnischen Prozedere ihren Niederschlag fand.

Die für die Truppenverwaltung nur indirekt aufzeigbare Verzahnung unter­schied­licher Textsorten lässt sich direkter nachvollziehen in der aus dem 3. Jh. n. Chr. stammenden, umfangreichen Dokumentation zur Verwaltung der im Arsinoites gele­genen Güter des Aurelius Appianus. Rathbone hat in einer minutiösen Studie ge­zeigt, dass auf Tagesbasis angelegte Listen über die Ausgabe z. B. von Wein oder über Auszahlungen (er nennt diese Listen „primary records“) die Grundlage für die Er­stellung von Monatsberichten bildeten; diese bezeichnet er als „syntheses of informa­tion taken from the primary records“ [57]. Der Aufbau dieser Monatsberichte ist den Soldlisten nicht unähnlich: Auf eine explikatorische Überschrift, die das Dokument als eine Abrechnung über Einnahmen und Ausgaben im Monat X des Jahres Y zu erkennen gibt, folgt eine Aufstellung der Bar-Einnahmen sowie der Ausgaben. Am Ende der Auflistung wird die Summe der Ausgaben von den Gesamt­einnahmen abgezogen und das Rechnungssaldo auf die nächstfolgende Monats­abrechnung über­tragen: ἐγ λόγου τοῦ (προτέρου) μη(νός)[58]. Zudem sind die End­versionen der bei der Zentralverwaltung eingereichten Berichte sorgfältiger gestaltet und geschrieben — ein Phänomen, das auf Seiten der Militärdokumentation sein Analogon in den um­fänglicheren pridiana hat[59]. Die Monatsberichte schrieb jeder Verwalter (φροντιστής) einer Landparzelle am Endes eines ägyptischen Jahres alle auf eine einzige Papyrus­rolle, die er entsprechend seinem Amtsjahr mit einer Nummer versah. Die Kolumnen innerhalb einer Rolle nummerierte er ebenfalls durch, was zumindest theoretisch nachträgliche Konsultationen der Dokumentation ermög­lichte[60]. Bereits Rathbone hat angemerkt, dass diese Verwaltungsdokumentation hinsichtlich ihres Aufbaus und Formats nicht einzigartig ist und deshalb die Vermutung geäußert, dass Aufzeich­nungspraktiken aus dem Rechnungswesen des römischen Heeres sozusagen als Vor­bild gedient haben könnten, wobei er auf die Dokumente Rom.Mil.Rec. 68–73 verweist [61].

4) Summarische rationes und substanziierende Dokumentation bei den argentarii

Dieses Ineinandergreifen summarischer rationes einerseits und substanziierender Dokumentation andererseits lässt sich indirekt auch für die Geschäftstätigkeit der argentarii zeigen: Die Bankiers, so der Rechtsgelehrte Paulus, fertigten über ihre Geschäftstätigkeiten Aufzeichnungen an (rationes conficiunt), zu denen Nachweise in Dokumenten zu finden waren, die er mit scriptura und codices bezeichnete [62]. Dem­nach dürften die argentarischen rationes (in Gröschlers Sinne) den anlässlich der Soldauszahlungen erstellten summarischen rationes entsprochen haben, während die Inhalte der scriptura und codices ihr militärisches Analogon wohl in den Empfangs­bestätigungen der Soldaten hatten[63]. Das Zusammenspiel der verschiedenen Doku­men­tentypen lässt sich indirekt einem fiktiven Abrechnungsvorgang entnehmen, den der Rechtsgelehrte Scaevola darstellt: Lucius Titius hatte bei dem Bankier Gaius Seius ein Konto und dieses war infolge von Kontobewegungen — im Vorfeld waren Einnahmen und Ausgaben (accepta et data) verbucht worden — ‚verwickelt‘ (ratio implicita)[64]. Hiermit dürfte gemeint sein, dass zu jedem dieser Zahlungsvorgänge wohl in den als tabellae (Dig. 2,13,6,6) bezeichneten Bankunterlagen ein Eintrag ent­halten war. Um den aktuellen Kontostand zu berechnen, mussten also sämtliche Ein­träge aus dem relevanten Zeitraum gesichtet werden (analog zu den Empfangsbe­stätigungen im Militärbereich). Lucius Titius hatte offensichtlich von Gaius Seius eine Abrechnung verlangt, denn er erhielt einen Brief mit dem Inhalt, dass sein (L.T.) Konto bis zum heutigen Tage aus zahlreichen Geschäften ein Saldo von 386 Geldein­heiten zuzüglich der zustehenden Zinsen aufweise[65]. Wollte also ein Kunde seinen aktuellen Kontostand in Erfahrung bringen, musste er entweder seine eigenen Auf­zeichnungen konsultieren, falls er welche hatte[66], oder seinen Bankier um Auskunft bitten, wie dies Lucius Titius tat [67]. Die Stellen bei Plautus (s. Anm. 66 u. 67) lassen vermuten, dass weder der Kunde noch der argentarius tagesaktuelle Unterlagen der­gestalt hatte, dass ihnen der Kontostand auf einen Blick hätte entnommen werden können [68]. Es war ein subducere rationem/ratiunculam bzw. ein putari cum argentario notwendig. Genauso war es zweifelsohne im Militärbereich: Wollte ein Soldat Aus­kunft über sein Kassenvermögen, musste er sich, nach allem, was wir von Vegetius wissen, an den für ihn zuständigen signifer[69] wenden, den Priest als „regimental banker“ bezeichnet[70]. Wenn man mit Gaius eine ratio als verwickelt (implicita) bezeich­net, weil sie wegen Ein- und Auszahlungen (propter accepta et data) nicht sofort und unmittelbar Auskunft über die Vermögensverhältnisse gab, so lässt sich analog auch im Bereich des Militärs von rationes implicitae sprechen. Die Vermö­gensverhältnisse eines Soldaten waren solange „verwickelt“, wie nicht alle Quittun­gen vom zuständigen Kassenverwalter gesichtet und mit dem vorhandenen Guthaben verrechnet worden waren. Erst dann konnte einem Soldaten Auskunft über seine Vermögensverhältnisse gegeben werden[71]. Insgesamt zeigen also die Ausführungen der Rechtsgelehrten zur Dokumentation der argentarii, die militä­rischen Kassen­dokumente sowie die Unterlagen zur Güterverwaltung des Appianus, dass für eine korrekte Rechnungsführung unterschiedliche Aufzeichnungen benötigt wurden, wobei die einen das Ergebnis einer Datenkompilation waren, die einen gesamtheitlichen Überblick über die Vermögensverhältnisse des jeweiligen Kunden / Soldaten bzw. über die Sachlage auf der einzelnen Landparzelle zu einem gegebenen Zeitpunkt gewährten, und die anderen die Nachweise zu den Feststellungen in den summari­schen Übersichten lieferten [72]. Dies legt den Schluss nahe, dass in allen drei Fällen nach sehr ähnlichen, wenn nicht identischen dokumentationstechnischen Prinzipien verfahren wurde.

5) Dig. 2,13,6,6: Allgemeingültiges Dokumentationsprinzip
für argentarische Unterlagen?


Ich möchte noch einmal auf Andreaus oben (Anm. 24) vorgestellte Begründung für die Annahme einer chronologischen Strukturierung bzw. Anordnung der rationes in den Geschäftsunterlagen der argentarii zurückkommen und die Frage stellen, ob sich aus den Ausführungen Ulpians ein allgemeingültiges Dokumentationsprinzip für die Geschäftsunterlagen der argentarii ableiten lässt. Hier ist zunächst festzuhalten, dass weder Ulpian noch ein anderer Rechtsgelehrter den argentarii vorschrieb, wie sie ihre Geschäftsdokumentation im Allgemeinen zu führen hatten. Es ging ihnen einzig und allein um eine verlässliche Zuordnung von scheinbar undatierten Rech­nungsposten (sine die et consule) zu einem Datum, und zwar — soweit erkennbar — ausschließlich im Rahmen der Edition, wie sie das prätorische Edikt vorsieht[73]. Da editionspflichtige Informationen der argentarii grundsätzlich mit einer vorange­stell­ten Datumsangabe versehen sein mussten, war verlässlich zu klären, wie in argentari­schen Geschäftsunterlagen Eintragungen sine die et consule datumstechnisch zu lesen waren. Für sie galt, juristisch betrachtet, dasjenige Datum, das dem frag­lichen Eintrag am nächsten vorangestellt war. Ulpian klärt dies am Beispiel der oben vorgestellten Titii ratio. Eine Uniformität argentarischer Schriftstücke kann deshalb nur mit Blick auf die Datierung edierter Informationen angenommen werden. Dies gilt jedoch nicht für ihre Geschäftsunterlagen im Allgemeinen, für die das aufgezeigte Beispiel eben nur eine Möglichkeit darstellt. Es spricht kein zwingender Grund dagegen, dass nicht so mancher argentarius grundsätzlich vor jeder ratio oder zu­mindest zu Beginn jeder tabula das jeweilige Tagesdatum angab[74]. Ein absolut gleichgearteter Aufbau kann für sämtliche Geschäftsunterlagen weder ein und des­selben argentarius noch aller jemals als argentarii Tätigen vorausgesetzt werden[75]. Eine solche Vorstellung ist schlichtweg anachronistisch. Nicht einmal das römische Heer mit seiner in hohem Maße verschrifteten Verwaltung verfügte über eine identische, standortübergreifende Dokumentation, obwohl die zu dokumentierenden Sachverhalte (Verteilung der Sol­daten, Verproviantierung, Besoldung etc.) über Jahrhunderte hinweg überall im Reich dieselben waren[76] . Die auf die Alternative nach separaten Konten oder chronologisch geordnete Geschäftsbücher reduzierte Dis­kussion über das Aussehen argentarischer Geschäftsunterlagen verkennt die Tatsache, dass es vor der Erfindung der Drucker­presse keine uniform geführten Unterlagen geben konnte! Aus demselben Grunde bedarf Andreaus Ansicht, die rationes der Bankiers seien bis zum Ende der Prinzi­patszeit stets in Form eines codex (Holztafeln) und niemals in Form einer Rolle (Papyrus) geführt worden, einer präzisierenden Ergänzung[77]. Aufgrund der traditionel­len Bedeutung von tabulae-Dokumenten insbesondere im juristischen Denken der Römer ist es durchaus wahrscheinlich, dass offizielle bzw. abschließende rationes auf tabulae abgefasst wurden, wobei diese nicht immer nur aus Holz gefer­tigt sein mussten [78]. Die tabula-Gestalt der Auf­zeichnungen muss allerdings selbst im Bereich einer mensa argentaria nicht zwin­gend für jede Art von ratio gelten. So setzte sich eine ratio implicita aus mehreren Einzelposten zusammen, die keineswegs zwingend alle auf (ein und densel­ben) Holztafeln verzeichnet sein mussten, wie schon allein die Ausführungen des Gaius[79] deutlich machen, der davon ausgeht, dass Ban­kiers auch membranae verwendeten, womit vermutlich Pergament gemeint ist [80]. Es ist nicht davon auszu­gehen, dass argentarii selbst im Kontext ihrer Geschäftsauf­zeichnungen immer und überall ausschließlich hölzerne tabulae verwendeten. Ebenso wenig haltbar ist die Vorstellung, römische Bankiers hätten nur ein einziges Register der Ein- und Aus­gänge geführt[81]. Rathbone/Temin, die diese Vorstellung m. E. zu Recht für nicht praktikabel („unfeasible“) halten, gehen vielmehr davon aus, dass für jeden Kunden eine separate ratio accepti et expensi sowie weitere „interlocking records“ erforderlich gewesen und geführt worden seien[82]. Die obigen Ausführungen zu den rationes der Soldaten und den Quittungen als substanziierenden „Beweismit­teln“ für die Fest­stellungen in den rationes stützen die Annahme einer hierarchisch geordneten Dokumentation auf unterschiedlichen Schriftträgern und könnten darüber hinaus mit Blick auf die genannten Gestaltungsalternativen ( separate Konten oder chronologisch geordnete Geschäftsbücher) sozusagen eine Synthese darstellen, da die militärischen rationes einerseits periodisch aktualisiert bzw. neu erstellt wurden, wodurch eine Chronologie der Dokumentation gewährleistet war (stip I–III pro Jahr), und sie andererseits in sich separate Aufzeichnungen zum Vermögen der einzelnen Soldaten darstellten und damit alle relevanten Informationen zu den Vermögensver­hältnissen eines Soldaten auf einen Blick summarisch präsentierten.

Neben diesen formalen bzw. strukturellen Aspekten kommen mit Blick auf die Ge­staltung argentarischer Dokumente weitere, subjektive Faktoren hinzu: die Her­kunft und Ausbildung des Bankiers, das soziale Umfeld, in dem er seinen Beruf und damit verschiedene Dokumentationsweisen erlernte und ausübte [83] und das für seine Kenntnis über diverse Schreibutensilien und Schriftträger und deren Handhabung ausschlaggebend gewesen sein dürfte; zu bedenken ist ferner die lokale Verfügbarkeit dieser Materialien und die Möglichkeiten, diese gegebenenfalls selbst herzustellen[84]. Diese Aspekte können nur aufgezeigt, aber nicht wirklich untersucht werden, da ein­schlägige Informationen zur Lebenswirklichkeit und Berufspraxis der v. a. epi­gra­phisch überlieferten argentarii, coactores argentarii und nummularii bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht vorliegen. Sie sollen aber deutlich machen, dass die Frage nach der Gestaltung argentarischer rationes von mehr Faktoren abhängt, als die ein­schlägige Fachdiskussion bislang berücksichtigt hat. Für ephemere Auf­zeich­nungen, etwa zur Diensteinteilung, benutzte das Heer in Afrika Ostraka, in Nord­britannien mit Tinte beschriebene Täfelchen, die bis zu ihrer Entdeckung in Vin­dolanda in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nahezu unbekannt waren. Die Praxis dürfte nicht nur im militärischen, sondern auch im zivilen Bereich vielschichtiger gewesen sein, als dies der positivistische Blick v. a. in die Digesten vermuten lässt.

6) Argentarische und signiferische Finanzliteralität im Kontext
der griechisch-römischen Schriftkultur


Die aufgezeigten skripturalen Charakteristika sind kein Alleinstellungsmerkmal des zivilen Bankwesens bzw. der militärischen Kassenverwaltung, sondern vielmehr Indizien für eine den zivilen wie den militärischen Bereich übergreifende Kongruenz hinsichtlich dokumentationstechnischer Gepflogenheiten bei der Erstellung rechen­schaftslegender (Finanz-)Dokumente. Greg Woolf ist, wie mir scheint zu Recht, der Auffassung, dass es in Rom keine wirkliche Fragmentierung der Aufzeichnungs­praktiken gab, sondern diese vielmehr auf eine Palette allgemeiner kultureller Kon­ventionen zur Erstellung kurzer, präziser und aussagekräftiger Texte zurück­griffen, die auch für unbeteiligte Dritte verständlich waren[85] . Hierzu gehörten standardisierte Symbole für Quantitäts-, Währungs- und Zeitangaben, Abkürzungen für Wörter, Phrasen oder ganze Sätze sowie allgemein verwendete Dokumenten-Layouts und
-Formate für die Erstellung überblickartiger Dokumente, wodurch diese leichter und schneller zu lesen bzw. zu überfliegen waren, da sie, so Woolf, die Anzahl benötigter Wörter reduzierten und dem Leser so etwas wie ein „ideogram of reference“[86] boten — ein Vorteil sowohl für Leute mit begrenzter Lesefähigkeit als auch für solche, die mit umfangreichen Dokumentationen zu tun hatten, wie etwa argentarii und signiferi. Der Gebrauch allgemeiner Konventionen lässt sich auch für zivile und militärische Finanzdokumente nachweisen: So findet man in Geschäftsunterlagen der Sulpicii wie auch in den militärischen Aufzeichnungen die typischen Abkürzungen für Nominale und Zahlen[87], für Datums- bzw. Konsul­angaben[88], für Verweise [89] und natürlich auch die formularische Wendung für Empfangsbestätigungen (me accepisse)[90]. Die Geschäftsunterlagen der Sulpicii enthalten ferner das militärische Kürzel für centuria mit Angabe des centurio im Genitiv[91]. Sie teilen mit hochoffiziellen Militärdokumen­ten wie Rom.Mil.Rec. 63 und 64[92] zudem einen hohen Grad an Textualität, d. h. der Inhalt ist weitestgehend ausgeschrieben, was die Bedeutung des Inhalts unterstreicht und zugleich die Legibilität dieser Dokumente erhöht [93]. Zwei Täfelchen aus dem Archiv der Sulpicii weisen ein deutlich größeres Format als die übrigen auf und waren vermutlich Teil eines (umfangreicheren) Dokuments mit vielleicht offiziellerem Charakter[94]. In ihnen ist jeweils eine Auszahlung von 50.000 Sesterzen an den vicarius eines kaiserlichen Sklaven verbucht, die im Juni bzw. Juli 42 n. Chr. erfolgte. Der volle Name des Sklaven ist nur im ersten Eintrag angegeben, während er im zweiten in verkürzter Form vermerkt ist. Dies geschah wohl aus schreibökonomischen Gründen, da mit der vollen Namensangabe für den voraus­gehenden Monat eine eindeutige Identifikation sichergestellt ist[95]. Eine vergleichbare Schreibökonomie zeigen Militärdokumente [96] und Summenangaben in Darlehens­vereinbarungen, wenn auf eine erste, in Worten ausgeschriebene Angabe des Dar­lehens­betrags eine Wieder­holung in Zahlen folgt[97]. Schreibökonomie bzw. „laconism“ zeichnet auch die Anwei­sungen (im Rahmen der Zollerhebung) auf den Ostraka aus Berenike aus. Die lapidare Ausdrucksweise war möglich, denn „the missing information was known to the parties involved; […] fullness of expression was pointless“[98]. Es kam also weder auf Uniformität noch auf Vollständigkeit der Angaben an, sondern auf deren pragmati­sche Eindeutigkeit bzw. Verständlichkeit. Solange diese gewährleistet war, war dokumentationstechnisch (und auch sprachlich) gesehen vieles möglich[99]. Diese prag­matische Inkonsistenz im Detail der Angaben ist allerdings nicht mit einer Struktur- und Ordnungslosigkeit im Ganzen zu verwechseln. Die finanztechnischen Dokumente folgen einer Grundstruktur mit einer geregelten Disposition und referenzierenden Vernetzung der Datumsangaben, Namensbe­nennungen und inhaltlichen Informatio­nen. Ferner fällt die optische Ähnlichkeit bearbeitungstechnischer Hinzufügungen zu den Schriftstücken auf, die den Gedanken nahelegen, dass für Prüf- und Kontroll­zwecke sowie für die Kennzeichnung der Erledigung einer Angelegenheit im Sinne einer cancellatio ähnliche bzw. allgemeine Anmerkungssysteme verwendet wurden, die wie die anderen aufgezeigten Gemeinsamkeiten auf einen allgemeinen, skriptura­len Habitus in der griechisch-römischen Kultur hindeuten[100].

Eine zentrale Rolle bei der Herausbildung allgemeiner dokumentarischer Konven­tionen spielte nach Woolf der aristokratische Haushalt, in dem Sklaven eine Vielzahl administrativer, schriftgeführter Aufgaben verrichteten. Diese im Privat­bereich ausgebildeten Aufzeichungspraktiken fanden, so Woolf, allmählich in den öffentli­chen Bereich in dem Maße Eingang, wie Aristokraten zivile und militärische Aufga­ben auf Staatsebene übernahmen: „it seems very likely that in ancient Rome, empire learned how to use writing from private individuals, rather than the other way around“ [101]. Dieser Eindruck gewinnt durch einen Blick in Catos De agricultura an Konturen: Gleich im zweiten Kapitel zu den Pflichten des pater familias kommt Cato auf dessen Schriftführungsaufgaben zu sprechen: Verschiedene, rechenschaftslegende Dokumente seien zu überprüfen (rationes putare[102]): über Geld (ratio argentaria[103]), Getreide (ratio frumentaria[104]), Wein (ratio vinaria[105]) und Oliven (ratio olearia)[106]. Es sollen die Ausgaben, die Einnahmen aus Verkäufen sowie die Außenstände über­prüft werden [107]; letztere müssen ausgewiesen sein. Fehlendes müsse beschafft, Über­schüssiges verkauft werden. Instruktionen für das Gesinde, so Cato, soll der Gutsherr schriftlich erteilen [108]. Zu den Pflichten des Gutsverwalters (vilicus) gehöre, dass er die Buchführung häufig mit dem Herren durchgehe, wozu neben der Schrift­kenntnis auch eine gewisse Rechenfähigkeit hinzukommen musste [109]. Noch aus­führlicher geht Varro auf den Schriftgebrauch im Kontext der Gutsverwaltung ein: So solle der Auf­seher über die Tiere (magister pecoris) Aufzeichnungen anfertigen. Ein illiterater Mann sei für diesen Posten ungeeignet, weil er nämlich dies nicht könne[110]. Zu seinen Dokumentationspflichten gehöre, dass er die Ursachen und Symptome für Krankhei­ten der Tiere schriftlich festhalte und ebenso die zur Genesung getroffenen Maßnah­men; seine Notizen solle er stets bei sich führen[111] (Diese Anweisungen erinnern an die detaillierte Feststellung der Gründe für die Dienstuntauglichkeit von Soldaten und an die Dokumentation getroffener Behandlungsmaßnahmen im Kontext eines römischen Militärlazaretts [112]). Der Guts­besitzer solle zudem Inventarlisten über die Gerät­schaften sowohl auf dem Gut als auch in der Stadt aufbewahren, und der vilicus müsse alles gegen diese Listen kontrollieren — eine Aufgabe, die neben Kompetenz auch Gewissenhaftigkeit und Loyalität gegenüber dem Gutsbesitzer voraussetzte[113]. Die Ausführungen Catos und Varros skizzieren das Bild einer differenzierten, detail­reichen, schriftgeführten Verwaltung, die von derselben buchhalterischen Terminolo­gie bzw. Mentalität geprägt ist, wie sie auch in der Heeresverwaltung und im Bank­wesen anzutreffen ist: Über allem steht sozusagen der Geist einer minutiösen Rechen­schaftslegung. Bezeichnenderweise führt Cato als erste Pflicht des Gutsverwalters die Wahrung einer guten Ordnung (disciplina bona) an [114]. Varro bezeichnet die agri­cultura selbst als disciplina, als „Wissenschaft“, in der es nach bestimmten Regeln vorzugehen gelte[115]. Der Schriftgebrauch bei Cato und Varro ist präskriptiver Natur. Seine Produkte, die Dokumente, fungieren als Instrument zur Aufrechterhaltung bzw. Kontrolle der disci­plina, auf dem landwirtschaftlichen Gut nicht anders als im Heer oder im Bankwesen.

Die Frage, ob bzw. inwiefern die von Cato und Varro geforderte Schriftführung in der Praxis verwirklicht wurde, ist für die Betrachtung übergreifender skripturaler Konventionen sekundär. Ihre Umsetzung dürfte nicht zuletzt von der Größe des jeweiligen landwirtschaftlichen Betriebs bzw. der konsequenten Einforderung des Gutsbesitzers abhängig gewesen sein[116]. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang auch die Anforderungen an die Detailliertheit der Informationen, die im Rahmen des Zensus vorgelegt werden mussten und die geradezu voraussetzen, dass Besitzer — zumindest größerer landwirtschaftlicher Betriebe — genaue Aufzeichnungen über längere Zeiträume hinweg führten und regelmäßig aktualisierten [117]. Im Falle des Heeres und der Bankiers war die Einforderung rechenschaftslegender Dokumente institutionalisiert: im Heer durch die Regelmechanismen der militärischen Ordnung, bei den Bankiers durch das prätorische Edikt, dessen Editionsbestimmungen eine akkurate Geschäftsdokumentation voraussetzen. Die den Dokumenten immanente, auf Rechenschaftslegung hin ausgerichtete Struktur war augenscheinlich ein Reflex über­greifender Vorstellungen zur rationalen Betriebsorganisation, die sich für ihre jewei­ligen Kontrollzwecke entsprechend abgestellter Schriftstücke bediente[118].

Dasselbe rechenschaftslegende Denken mit denselben Fragestellungen finden wir auch auf höchster Staatsebene: So formuliert Cicero es als unabdingbare Pflicht eines Senators, den Staat in seiner administrativen (militärischen und fiskalischen), juri­stischen (gesetzlichen und vertraglichen), historischen (traditionsgeleiteten) und institutionellen Verfasstheit (disciplina rei publicae) nach innen und außen genau zu kennen[119]. Denselben Anspruch äußert auch Pseudo-Sallust [120]. Insbesondere auf die fiskalischen Aspekte dieser Fragestellungen war Augustus’ breviarium totius mundi abgestellt[121]. Es sind die Fragen einer administrativ und fiskalisch durch und durch rational denkenden Oberschicht aus Senatoren und Rittern, die traditionell Führungs­aufgaben in der res publica übernahm und sich dabei derselben Denk­kategorien und (skripturalen) Handlungsinstrumente wie im häuslichen Bereich bediente[122]. Der fließende Übergang zwischen beiden Sphären zeigt sich — zumindest in republikani­scher Zeit — nicht zuletzt darin, dass sich über öffentliche Angelegenheiten geführte Dokumente eines Magistrats (tabulae, codex, com­mentarii[123]) zumindest teilweise in dessen Privatverwahrung befanden[124]. (Ersteller solcher Dokumente gehörten nicht zuletzt der familia des Amtsträgers an. Als Fachkräfte dürften sie im Übergang zum Prinzipat ein Element dokumentations­technischer und personeller Kontinuität darge­stellt haben, wie wir nicht zuletzt von den ersten Kaisern wissen, die insbesondere für fiskalische Aufgaben zunächst Funktionsträger aus ihrer familia einsetzten[125].) Die hier behandelten, rechenschafts­legenden Dokumente sind der schriftliche Reflex eines übergreifenden, in der aristokratischen Kultur verwurzelten rationalen Denkens, das sich allgemeiner, (und wohl maßgeblich auch von ihm) etablierter skripturaler Kon­ventionen bediente, die mit der Zeit auf vielfältigen Wegen und in unterschiedlichen Aufgabenstellungen in breitere Gesellschaftskreise diffundierten. In der zivilen und militärischen Staatsver­waltung bildete sich dann im Laufe der Kaiserzeit ein eigen­ständiger administrativer Habitus heraus, der ein hohes Maß an pragmatischer Uni­formität aufwies, nicht zuletzt deshalb, weil ritterliche und senatorische Amtsträger in ihren Laufbahnen häufig zwischen zivilen und militärischen Posten wechselten und dabei ihre administrativen und dokumentationstechnischen Kenntnisse sozusagen als geistiges Handgepäck stets mit dabei hatten und an ihren jeweiligen Dienststellen mit einbringen konnten. Dadurch entwickelten sich Dokumentationspraktiken, deren sozusagen professionelle Wissensträger die Funktionäre der verschiedenen zivilen und militärischen officia waren, die (zumindest im Militär im Laufe ihres Aufstiegs routinemäßig verschiedene Verwaltungsbereiche kennenlernten und) officium-intern das dokumentationstechnische Wissen erwarben bzw. erweiterten und an nach­rüc­kende officiales weitergaben. Dadurch konnte sich etwa der Statthalter von Syria Coele Marius Maximus in einem Schreiben an den Kommandanten der Palmy­reni­schen Kohorte darauf beschränken zu sagen, dass die Zuweisung eines von ihm ge­musterten Pferdes an den Reiter Iulius Bassus auf die übliche Art und Weise in die Truppenunterlagen eingetragen werden solle (in acta ut mos refer)[126]. Beide wussten, wie dies zu geschehen hatte. Das administrative Herrschaftswissen hatte sich allmäh­lich von der Oberschicht gelöst und war zu einem institutionalisierten Fachwissen geworden, das auf allen zivilen und militärischen Ebenen des imperialen Herrschafts­apparats zur Verfügung stand.

Die in der privaten Haushalts- und Geschäftsführung der Oberschicht etablierte administrative Schriftlichkeit war allerdings keine creatio ex nihilo, sondern ihrerseits von verschiedenen Faktoren mitgeprägt worden, die mit Blick auf den Unter­su­chungsgegenstand nicht zuletzt im griechisch-hellenistischen Osten zu suchen sind: So hat sich der Beruf des Bankiers, der am Ende des 5. Jhs. v. Chr. in Griechenland infolge der Münzgeldwirtschaft entstanden war, im Laufe des 4. Jhs. über die meisten griechischen Handelsstädte verbreitet. Über ihre Beziehungen zu den griechischen Städten in Süditalien und auf Sizilien hatten die Römer das Bankgewerbe schon früh kennengelernt und, so Bogaert, als erste Nichtgriechen von den Griechen über­nom­men[127]. In hellenistischer Zeit hat sich das Bankgewerbe technisch weiter­entwickelt und noch weiter ausgedehnt. So entstand in Ägypten unter den Ptolemaiern das „erste Banksystem der Welt […] mit einer zentralen Bank in Alexandrien und Zweigstellen in den Gauen, Kreisen und Dörfern“[128]. Dieses Bankensystem, das seinerseits von der staatlichen Bürokratie mit ihrem „extensive use and remarkable care of the written record“[129] beeinflusst war, bewirkte einen Verschriftungsschub: Aus den mündlichen Anweisungen, die im Rahmen von Privatbanken in griechischen Poleis üblich waren, wurden geschriebene Anweisungen; im 1. Jh. v. Chr. kamen zudem Schecks in Ge­brauch. Die Kontakte zu den hellenistischen Königreichen, mit denen Rom seit dem 2. Jh. v. Chr. in immer intensivere Berührung kam, dürften auch die Übernahme administrativer und skripturaler Praktiken mit sich gebracht haben, da die römische Kultur grundsätzlich offen war für die Aufnahme bzw. Adaption fremder Kulturele­mente, sofern dies sinnvoll bzw. nützlich erschien [130]. Bis in hadrianische Zeit verzichteten später etwa die römischen Kaiser in Ägypten auf die Einsetzung von Finanzprokuratoren, da sie hier an funktionierende Strukturen der ptolemaischen Fiskalverwaltung anknüpfen konnten [131]. Hinzu kommen administrative Innovationen, die sich aus den Notwendigkeiten der Kriege und der Verwaltung der immer zahlrei­cheren Provinzen seit dem späten 3. Jh. v. Chr. ergaben: So erfolgten in den späten Jahren des Zweiten Punischen Krieges Systematisierungs- und Ratio­nalisierungs­schübe in der Versorgung der zeitweise über zwanzig pro Jahr ausge­hobenen Legio­nen, die mit Verbänden der Bundesgenossen an den unter­schiedlichsten Orten in und außerhalb Italiens im Einsatz waren und verlässlich mit Proviant und sonstigen Gütern beliefert werden mussten[132]. Hier wie auch beim Einzug von Steuern und Abgaben in den Provinzen, bei der Bewirtschaftung öffentlichen Eigentums (z. B. von Bergwerken, Strab. 4,6,7) oder bei der Durch­führung sonstiger öffentlicher Aufgaben kooperierten Senat und (Pro-)Magistrate mit societates publicanorum, die über ein zahlreiches Personal (familia publicanorum) verfügten und deren umfangreiche Ge­schäftsbücher (tabulae) wie jene der argentarii vor Gericht als Beweismittel dienen konnten [133]. Nicht zuletzt im Bereich des Militärs lassen Polybios’ Ausführun­gen zu den finanztechnischen und logistischen Aufgaben der Quästoren den Umfang und die Detailliertheit der Kassenunterlagen erahnen, mit denen diese Amtsträger die im Felde stehenden Armeen mit Sold, Proviant und Ausrüstung versorgten[134]. Auch die aristokratische Gutsverwaltung blieb von den Punischen Kriegen nicht unberührt: Diederich zufolge reagierte Cato mit seiner De agri cultura auf diese Veränderungen und wollte seinen Standesgenossen nach helle­nistischem Vorbild einen ‚hochmoder­nen, dezidiert kommerziell ausgerichteten Betrieb‘ sozusagen als Muster für das eigene Handeln aufzeigen[135]. Auf großes Inter­esse dürfte bei römischen Groß­grundbesitzern auch das 28-bändige Werk über die Landwirtschaft aus der Feder des punischen Feldherrn Mago gestoßen sein und die Bewirtschaftung und Verwaltung deren Güter direkt oder indirekt beeinflusst haben — immerhin wurde es nach der Zerstörung Karthagos 146 v. Chr. als einziges Werk der dortigen Bibliothek von den Römern behalten und auf Senatsbeschluss übersetzt[136].

Die übergreifende Verwendung verfahrenstechnischer und skripturaler Praktiken im öffentlichen und (semi)privaten Bereich hat also weitaus vielschichtigere Gründe und komplexere Abhängigkeiten, als Woolfs Ausführungen aufzeigen. Politische und kulturelle Kontakte zur griechisch-hellenistischen Staatenwelt sind hierbei ebenso mit ins Kalkül zu ziehen wie die Notwendigkeiten zur Effizienzsteigerung bei der Heeres­versorgung, beim Einzug von Abgaben in den Provinzen und bei der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Güter seit dem ausgehenden 3. Jh. v. Chr.

7) Dienst an der Öffentlichkeit: rationes diligenter conficere und rationem reddere

Besonders beachtenswert ist in unserem Zusammenhang der Grund, weswegen der Prätor nur argentarii zur Bekanntgabe von Inhalten ihrer Geschäftsunterlagen ver­pflichtete. Gaius sieht ihn in der Hauptaufgabe der argentarii, nämlich in einer sorg­fältigen Anfertigung ihrer Geschäftsunterlagen, die auch die militärische Finanz­do­kumentation auszeichnete[137]. Papinian hebt die notwendige Rolle der Bankiers im Geschäftsverkehr hervor, aus der sich eine utilitas publica ergebe[138]. Ulpian verweist im Zusammenhang mit der Annahme von Geldern zum Depot auf die fides publica, die man den Bankiers entgegengebrachte[139]. Deren „Wirken in der Öffentlichkeit“, so Bürge, „zieht eine Stellung im Verkehr nach sich, auf die der Kunde vertrauen darf.“[140] Es ist das Interesse am bzw. das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Geschäfts­gebaren der Bankiers, d. h. in die Tatsache, dass sie gewissenhaft die Gelder ihrer Kunden verwahrten[141], Zahlungen leisteten bzw. vermittelten und in Finanz­angelegenheiten als zuverlässige Zeugen fungierten. Diese sozusagen öffentliche Rolle der professionellen Bankiers verlieh auch ihrer Doku­mentation große Bedeu­tung [142]. Sie konnte als Nachweis dazu dienen, die Recht­mäßigkeit von Ansprüchen festzustellen, finanzielle Streitigkeiten außergerichtlich beizulegen und vor Gericht dem Recht Geltung zu verschaffen [143]. Sie konnte mit anderen Worten zur Rechtssicher­heit und damit zum öffentlichen Frieden in der Gesellschaft mit beitra­gen. Die Bedeutung ihrer Tätigkeit und folglich ihrer Dokumentation für die Öffent­lichkeit macht es verständlich, weswegen Männer [144], die diesen Beruf aus­übten, besonders vertrauensvoll sein mussten und es offen­sichtlich in der Regel auch waren, da man sich, wie Paulus schreibt, sehr häufig auf ihre Zuverlässigkeit stützte [145]. Das übergeordnete öffentliche Interesse forderte von den Bankiers ein besonderes Maß an persönlicher Integrität sowie skripturale und kalkulatorische Kompetenz. Diese von den Juristen herausgestellte fides der Bankiers, die zugleich Voraussetzung und Kon­sequenz ihrer beruflichen Tätigkeit war[146], findet ihr militärisches Analogon in der fides, die den signiferi, den Feldzeichenträgern, ent­gegengebracht wurde [147]. Über ihre finanztechnischen Aufgaben berichtet Vegetius:

[…] Dieses Geld [gemeint sind die Ersparnisse und das Begräbnisgeld der Solda­ten, Anm. v. Vf.] wurde, wie man nun sagt, in einem Korb bei den Feld­zeichenträ­gern aufbewahrt. Und deshalb wurden als Feldzeichenträger nicht nur vertrauens­würdige, sondern auch schreibkundige Männer ausgewählt, weil sie sowohl die Geld­depots zu bewachen als auch jedem einzelnen Soldaten gegenüber Rechenschaft ab­zulegen wussten [148] .

Die Passage gibt gleichsam das finanztechnische Stellenprofil der signiferi wieder, wenngleich sich darin die Aufgaben der Feldzeichenträger keineswegs erschöpften[149]: Wer dieses Amt anstrebte, musste zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllen: Er musste integer, d. h. vertrauensvoll (fidelis) und (in besonderem Maße) schreibkundig (litteratus) sein, d. h. über kenntnisreiche Erfahrung im Anfertigen von Schriftstücken sowie über praktische Versiertheit im Rechnen verfügen[150]. Wie im Zivilbereich, so wird auch im militärischen Kontext eine enge Verknüpfung von Literalität und fides hergestellt, denn auch hier gab es eine Öffentlichkeit, nämlich die militärische Öffent­lichkeit der jeweiligen Truppe, die auf die Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit ihres „Truppenbankiers“ vertraute. Objektiver Ausdruck dieser fides war die korrekte Dokumentation der Kassenführung: Literalität, fides, verstanden als Sachkompetenz und Ehrlichkeit, sowie die bereits von Cato erwähnte gute Ordnung (disciplina) stehen — ideell betrachtet — sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich in engstem, institutionalisiertem Zusammenhang. Diese Vertrauensstellung prädesti­nierte sowohl argentarii als auch signiferi für eine Rolle als notarielle Zeugen in Fällen, in denen sich Dritte mit Privatangelegenheiten an sie wandten, wenn es darum ging, Schriftstücke sachgemäß und korrekt zu erstellen, zu überprüfen oder mit ihnen ebenso zu hantieren[151].

8) Archivierungspflicht und Archivierungsorte

Die Pflicht der argentarii und signiferi zur Auskunft bzw. Rechenschaftslegung gegenüber denen, deren Gelder sie verwalteten, hatte auch eine zeitliche Dimension: die Kassenunterlagen mussten archiviert werden. Bemerkenswert sind die geradezu modern anmutenden Bestimmungen zur Archivierung argentarischer Geschäfts­unter­lagen, die sich aus der Notwendigkeit zur Edition ergaben[152]. Ulpian zufolge archivierten die argentarii ihre Unterlagen zumindest im Landhaus (villa) oder im Lagerhaus (horreum) [153]. Die verschiedenen Archivierungsorte implizieren eine umfängliche Geschäftsdokumentation, die die argentarii vielleicht aus Platzmangel oder (auch) aus Sicherheitsgründen nicht an einem Ort (ihrem Geschäftslokal?) auf­bewahren konnten oder wollten. Interessanterweise gingen die Rechtsgelehrten ganz selbstverständlich davon aus, dass argentarii über horreum und villa zumindest als Archivierungsstätten verfügten[154]. Allerdings musste nicht allein der aktive Bankier aussagefähig sein. Auch der ehemalige argentarius war verpflichtet, Doku­mente vorzulegen (ad editionem compellitur), und zwar an jenem Ort, an dem er seine mensa betrieben hatte. Dies konnte mitunter aufwändig sein. War der Ex-Bankier etwa mitsamt seinen Unterlagen aus der Provinz, in der er sein Geschäft betrieben hatte, in eine andere umgezogen und wurde aufgefordert, rationes zu edieren, musste er sie in der Provinz vorlegen, in der er sein Bankgeschäft betrieben hatte [155]. Auch seine Gesamtrechtsnachfolger (successores argentarii) waren zur Edition verpflichtet, was bedeutet, dass die Dokumente gegebenenfalls über Jahr­zehnte verlässlich aufbe­wahrt werden mussten [156]. Einen konkreten Eindruck von der Aufbewahrungs­dauer vermitteln die Geschäftsunterlagen der Sulpicii, die jedoch nach gegenwärtiger Quel­lenlage nicht als argentarii im strengen Sinne, sondern bestenfalls sensu largo als Bankiers bezeichnet werden können[157]. Die in Murecine entdeckten Täfelchen, die beim Vesuvausbruch 79 n. Chr. von der Lavaasche zugedeckt und damit konserviert wurden, stammen aus über drei Jahrzehnten: Das älteste ist auf den 14. Juli 29 n. Chr., das jüngste auf den 22. Februar 61 n. Chr. datiert[158]. Das älteste Täfelchen war also 50 Jahre aufbewahrt worden. [159] Ein vergleichbares Bild zeigen die Quittungen des (coactor) argentarius L. Caecilius Iucundus[160]. Wohl zu Recht merkt Andreau an, dass diese lange Aufbewahrungsdauer mit den gesetzlichen Be­stimmungen zur Archivierung der Geschäftsunterlagen nicht zu erklären ist, und führt das Phänomen der langfristigen Aufbewahrung mehr auf eine „habitude sociale“[161] denn auf die gesetzlichen Erfordernisse zurück. Denkbar ist aber auch, dass sie nicht mehr im eigentlichen Sinne archiviert, sondern bereits aussortiert waren und darauf warteten, gelöscht und wiederverwendet zu werden — immerhin stellten die Täfelchen auch einen materiellen Wert dar, insbesondere für jemanden, der von Berufs wegen zahl­reiche Schriftstücke anfertigen musste [162]. Obwohl die genannten Aufbewahrungs­zeiträume heute vielleicht extrem wirken, scheinen sie von der Tendenz her nicht (allzu sehr) aus dem Rahmen dessen zu fallen, was etwa auch bei der patrimonium-Verwaltung von einem pater familias erwartet wurde, der im Kontext eines Zensus detailliert Auskunft über seine Vermögensverhältnisse ablegen musste. Die präzisen Fragestellungen, auf die geantwortet werden musste, implizieren eine langfristig und minutiös geführte patrimoniale Buchhaltung, hinter der Minaud eine regelrechte „ob­session du chiffre“ am Werke sieht, deren Wurzeln er in der römischen Erziehung verortet[163]. Das Streben nach beständiger Vermehrung des eigenen Besitzes sei die psychologische Umsetzung („traduction psychologique“) des Bedürfnisses nach Herr­schaft; die verschiedenen Arten von rationes hätten letztlich in quantifizierender und strukturierender Weise der Vergewisserung gedient, dass der Besitz tatsächlich wachse [164]. Auch bei der Verwaltung städtischen Eigentums sind längere Archivie­rungszeiträume zu vermuten, da anders Modestins Bemerkung, dass (bei korrekter Führung der Unterlagen) Berechnungsfehler auch noch nach zehn oder zwanzig Jahren zur Korrektur zugelassen würden, nicht verständlich wäre[165].

In den Einheiten des römischen Heeres wurden zumindest einige personen­bezo­gene Daten wie etwa der Name, das Dienstantrittsdatum oder der Rang eines jeden Soldaten über dessen gesamte Dienstzeit hinweg archiviert[166]. An den Straßen­posten (praesidia) in der ägyptischen Wüste archivierten die Leiter dieser Stationen (cura­tores) nachweislich auch die Rundschreiben ihres Vorgesetzten (praefectus montis Berenicidis), dem sie direkt unterstellt waren [167]. Schwieriger zu beantworten ist die Frage nach der Archivierung(sdauer) von Kassendokumenten. Auskunft hierüber gibt indirekt P.Masada 722 = ChLA XLVI 1365 (72 oder 75 n. Chr.): Die ratio wurde am Ende der zweiten (oder vielleicht sogar erst am Ende der dritten) Soldauszahlung erstellt und gibt rückblickend Auskunft zu einzelnen Abzugsposten, v. a. zu einzelnen Bekleidungsgegenständen, die dem Soldaten in Rechnung gestellt wurden. Es lässt sich daraus erkennen, dass die Bearbeiter der Kassendokumente die zugehörigen substanziierenden Detailinformationen nicht wegwarfen, nachdem sie im Zuge einer stipendium-Auszahlung eine aktualisierte ratio erstellt hatten [168]. Vielmehr standen diese Informationen mindestens über zwei Soldauszahlungen hinweg nach­weislich zur Verfügung. Die von Vegetius berichtete Pflicht der signiferi zur Rechenschafts­legung gegenüber dem einzelnen Soldaten machte eine gewisse Archi­vierung der Details zu den Abzügen unumgänglich, nicht zuletzt um die Korrektheit bzw. Legiti­mität der Abzüge nachweisen zu können[169]. Wie lange diese Details für gewöhnlich archiviert wurden, ist nicht bekannt. Möglicherweise machte man am Ende eines jeden Jahres archivierungstechnisch einen Schnitt dergestalt, dass die im Laufe eines Jahres angesammelten Detailinformationen mit dem Übertrag der ratio von stipen­dium III auf die ratio von stipendium I des nachfolgenden Jahres weg­geworfen wur­den. Ein Soldat hätte damit die Möglichkeit gehabt, sich über die Abzüge des laufen­den Jahres Auskunft geben zu lassen. P.Masada 722 belegt zumindest diese kurz­fristige Rückgriffmöglichkeit. Wie realistisch es ist, dass ein Soldat Auskunft über Abzüge aus weiter zurückliegenden Jahren wünschte, sei dahingestellt. In einem Fall wissen wir allerdings mit Bestimmtheit, dass Detail­informationen mehrere Jahr­zehnte aufbewahrt wurden: Eine über vier Meter lange Papyrusrolle (s. Anm. 40) mit Empfangsquittungen aus der ala veterana Gallica wurde im Jahre 179 n. Chr. im Standlager der Einheit bei Nikopolis-Alexandreia erstellt. Gefunden wurde sie im Faijum unter Steuerquittungen des L. Iulius Serenus aus den Jahren 213–219 n. Chr. Serenus war nach seiner Amtszeit als summus curator der Einheit, als der er im Jahre 179 n. Chr. die Quittungen der Soldaten im Empfang genommen hatte, noch zum decurio turmae aufgestiegen und nahm nach seiner Entlassung aus dem Heer das Quittungsbuch mit in den Ruhestand, bewahrte es also noch rund 40 Jahre nach seiner Erstellung auf. Es ist allerdings schwerlich davon auszugehen, dass die Heeresver­waltung eine Archivierung von Inhalten nur kurzfristiger Bedeutung über einen Zeit­raum von mehreren Jahrzehnten generell vorsah. Vermutlich gab es überhaupt keine allgemeingültige Regelung zur Archi­vie­rungsdauer, sondern diese lag pragmatisch im Ermessen der jeweiligen Dienst­stelle, die Dokumente wahrscheinlich so lange aufbe­wahrte, wie es der dienstlichen Erfahrung nach sinnvoll, notwendig bzw. möglich war. Zu bedenken sind auch situationsbedingte Faktoren, von denen Dauer und Um­fang der Archivierung abhängig gewesen sein könnten, etwa davon, ob sich eine Truppe auf dem Marsch, im Kriegseinsatz oder am Standlager befand. Unterwegs könnten aus Platz- und Trans­portgründen nur die allernötigsten Dokumente aufbe­wahrt und andere vernichtet worden sein, während man am Heimatstandort Unterla­gen vielleicht großzügiger archivieren konnte und es auch tat[170]. Dass Serenus die Rolle mit in den Ruhestand nahm, lässt vermuten, dass er sich von diesem Papyrus nicht trennen wollte, sei es aus sentimentalen Gründen[171], weil er ihn an seine Dienst­zeit beim Militär erinnerte, sei es aus einem habituellen Verhalten [172] heraus, das ihm als militärischem Verwaltungs­experten sozusagen zur zweiten Natur geworden war, oder sei es vielleicht auch, weil die Rolle auch einen materiellen Wert darstellte.

Auf eine Konsultation archivierter Kassendokumente lässt indirekt auch P.Hamb. inv. 445 (3. Jh. n. Chr.?) schließen:In dem Schreiben geht es um signiferi und um einen Tatbestand, der mit dem Verb κοιλαίνειν wiedergegeben wird, das laut LSJ soviel bedeutet wie herausschöpfen („scoop out“) bzw. leer machen („make empty“)[173]. Das Schöpfen geschah aus den deposita bzw. aus dem λόγος Καίσαρος, was ins Lateinische übertragen ratio Caesaris heißt und möglicherweise den fiscus Caesaris meint, aus dem die Ausgaben für das Heer bestritten wurden[174]. Derjenige (signifer), der aus den deposita (wohl der Soldaten) oder aus dem λόγος Καίσαρος „geschöpft“ hatte, sollte von seinem τόπος entfernt werden, womit wohl ein fester Posten im Sinne einer Planstelle gemeint ist[175]; wer dies nicht getan hatte, sollte auf seinen Posten (Plural!) verbleiben dürfen[176] . Die unterschiedlichen Konsequenzen, die an die Frage geknüpft waren, ob ein κοιλαίνειν vorliegt oder nicht, lassen den Schluss zu, dass es sich dabei um ein Vergehen und bei der Entfernung vom Posten um eine Strafmaß­nahme handelte. Der Adressat dieser Handlungsanweisung ist ungewiss. Nach Zehetner paraphrasiere der Text „eine Depesche des Präfekten von Ägypten, die anscheinend an alle militärischen Einheiten im Land ergangen war“ [177] . Demnach sollte ein mögliches Vergehen der signiferi vor Ort in der jeweiligen Truppe geklärt werden. Wie dieses unerlaubte Schöpfen vonstattenging, ist unklar. Da sowohl die de­posita als auch der λόγος Καίσαρος betroffen waren, sind verschiedene Szenarien möglich: Der eine oder andere signifer könnte Gelder aus den von ihm verwalteten deposita entwendet haben, was durch einen Abgleich zwischen der Kassen­dokumen­tation und den Barbeständen hätte herausgefunden werden können. Denkbar ist auch, dass bei den Soldabzügen überhöhte Berechnungssätze für Proviant und Material angesetzt wurden. Bei einer Rechenschaftslegung gegenüber den Soldaten könnte dies zunächst nicht aufgefallen sein, da möglicherweise allen Soldaten einer Einheit höhere Beträge berechnet wurden. Während die Entnahme von Geldern aus den depo­sita die Tat einzelner signiferi gewesen sein könnte, hätten überhöhte Abzüge ein Einvernehmen zumindest unter allen signiferi einer Einheit vorausgesetzt, um den Betrug nicht sofort sichtbar werden zu lassen, was sicherlich der Fall gewesen wäre, wenn der eine signifer korrekte und sein Kollege falsche Abzüge berechnet hätte. Den Differenzbetrag zwischen den im Rahmen der Soldauszahlung ange­forderten (mög­licherweise korrekten) Geldern und den Beträgen, die nach Abzug der überhöhten Sätze für Proviant und Material dann tatsächlich in die deposita eingezahlt wurden, hätten die signiferi für sich behalten können. Diese Vorgehensweise hätte nicht ein­mal einer doppelten Buchführung bedurft, denn die truppeninterne Kassen­dokumen­tation hätte mit durchweg höheren Abzugsbeträgen in sich stimmig sein können. Lediglich ein Abgleich zwischen den korrekten Berechnungssätzen (aus un­abhängiger Quelle) und den überhöhten Sätzen in der Finanzdokumentation der Truppe hätte den Betrug wohl ans Licht gebracht.

Eine Entnahme direkt aus dem λόγος Καίσαρος könnte im Rahmen der Sold­anfor­derung geschehen sein, indem etwa zu hohe Bedarfszahlen gemeldet wurden[178]. Aus spätrömischer Zeit ist bekannt, dass mit Hilfe manipulierter Stammrollen, „die u. a. Namen von ‚Karteileichen‘ enthielten“[179], einzelne Truppenkontingente über­höhte Gütermengen bzw. Soldgelder bezogen. Ähnliches lag möglicherweise auch dem κοιλαίνειν aus dem λόγος Καίσαρος zugrunde. Die Schuldfrage konnte zweifelsohne nur durch Konsultation der Kassenunterlagen und gegebenenfalls der Stammrollen festgestellt werden, die vermutlich zusammen mit den Geldern in den principia auf­bewahrt wurden[180]. Bei einer systematischeren Form der Geldschöpfung etwa durch überhöhte Abzüge hätten, soweit möglich (s. o. P.Masada 722), auch Archivunter­lagen herangezogen werden müssen, um das Ausmaß des Betrugs ans Licht zu brin­gen. Das Schreiben spricht von signiferi (Plural!) . Es handelt sich vermutlich um ein weiter verbreitetes Problem, das möglicherweise hervorgerufen wurde durch organi­satorische Defizite bei den Kontroll(möglichkeit)en durch über­geordnete Instanzen der Fiskalverwaltung.

9) Ausbildung zum finanzliteraten Dokumentationsexperten

Grundlegende Voraussetzung für den Dienst an der jeweiligen Öffentlichkeit mit allen damit verbundenen dokumentationstechnischen und rechenschaftslegenden Pflichten war die zweckmäßige Erstellung und korrekte Führung von Kassenbüchern als Reflex einer sachspezifischen Ausbildung. Bereits im Athen des 4. Jhs. v. Chr. wird im Rahmen einer Gerichtsrede das Spezifikum der Bankiersausbildung aufge­zeigt, die dieses Metier grundlegend von anderen Berufen unterschied: Apollodoros, der Sohn des Bankiers Pasion[181], attackierte den undankbaren, ehemaligen Sklaven seiner Familie, Phormion, mit folgenden Worten: Ich denke nämlich, ihr [athen. Geschworene, Anm. v. Vf.] alle wisst, dass, wenn dieser [Phormion, Anm. v. Vf.], als er zum Verkauf feilgeboten wurde, von einem Koch oder einem Betreiber eines ande­ren Handwerks gekauft worden wäre, er das Handwerk seines Herren erlernt hätte und er fern ab wäre von seinem gegenwärtigen Wohlstand. Da aber unser Vater, der ihn erwarb, ein Bankier (τραπεζίτης) war, ihn die Buchstaben lehrte (γράμματ᾿ ἐπαίδευσεν), ihn in seinem Geschäft unterwies (τέχνην ἐδίδαξε) und ihm die Verant­wortung über viel Geld übertrug, wurde er reich [182].

Die Buchstaben und damit Lesen und Schreiben zu erlernen war ein wesentliches Merkmal des Bankgeschäfts [183]; ohne diese Fähigkeit war es nicht möglich, die τέχνη, d. h. die für die praktische Ausübung des Bankierberufs erforderlichen Kenntnisse, zu erwerben. Worin diese bestanden, zeigt Apollodors Gerichtsrede gegen Timotheos, einen Kunden seines Vaters. Er versichert darin den Geschworenen, aufgrund der Bankunterlagen genaue Angaben (ἀκριβῶς[184]) zu den Darlehen, den Verwendungs­zwecken und dem Datum der jeweiligen Auszahlung an den Angeklagten Timotheos machen zu können [185]. Dies sei ihm möglich, weil Bankiers gewohnheitsmäßig Auf­zeichnungen hierüber anfertigten, damit ihnen auf diese Weise die Aus- und Einzah­lungen (eines Kunden) für die Kontoeinträge (λογισμοί= rationes) verständlich seien [186].

Die trapezitische τέχνη bzw. die argentaria ars[187] bestand also in der Fähigkeit, die für alle Geschäftsvorgänge erforderlichen Aufzeichnungen mit den notwendigen Rechenoperationen gemäß den skripturalen Gepflogenheiten des lokalen Bankwesens korrekt anzufertigen[188]. Diese für professionelle Finanzdienstleistungen spezifischen Anforderungen prägten eine finanztechnische Literalität — Thomas spricht von banking literacy[189] — bei den Betreibern dieses Metiers aus. Allerdings darf diese zweckspezifische Ausprägung literaler Fähigkeiten auch nicht überbewertet werden. Kreative Textkomposition war nur insofern erforderlich, als die formularartig struktu­rierten Informationen mit ihrem hohen Anteil an repetitiven, quasi-standar­disierten Elementen durch Einpassung der konkreten Angaben zu Datum, Namen, Summen, Laufzeiten und Zahlungsmodalitäten an den jeweiligen Einzelfall adaptiert werden mussten. Das bedeutet aber nicht, dass eine hierin geschulte Person etwa einen (länge­ren) Text in Prosa hätte schreiben können [190]. Auch im römischen Bereich gab es, wie gezeigt, übergreifende dokumentationstechnische Gepflogenheiten, die im Bereich der vom prätorischen Edikt verlangten editio gesetzlichen Vorschriften unter­worfen waren. Die Verfahrensweise, um einem Prozessgegner Inhalte aus den Bankauf­zeich­nungen bekanntzugeben, ist bei den τραπεζῖται und argentarii praktisch identisch [191]. Vermutlich dienten die Praktiken im griechischen Raum als Vorbild für die römischen Verhältnisse oder wurden vielleicht sogar direkt übernommen; die in­haltliche Über­einstimmung ist jedenfalls bemerkenswert [192].

Das Beispiel des Phormion verdeutlicht zudem, wie die Ausbildung zum Bankier vonstattengehen konnte. Der Bankier Pasion, ehemals selbst Sklave, kaufte den illi­teraten und kaum des Griechischen mächtigen Sklaven Phormion[193] und vermittelte ihm, sozusagen innerbetrieblich, die Kenntnisse zum Betreiben des Bankgeschäfts [194]. Eine geschäftsinterne Ausbildung ist auch bei den Gaii Sulpicii zu vermuten, die über mehrere Jahrzehnte hinweg sozusagen als eine ‚Dynastie‘ freigelassener Finanz­dienstleister im Puteoli des 1. Jhs. n. Chr. tätig waren [195]. Fast ebenso wichtig wie eine finanztechnische Literalität war ein Grundverständnis für die im jeweiligen Ge­schäftsfall anzuwendenden, rechtlich relevanten Formeln und eine entsprechende Ge­staltung der Dokumente [196]. Petron lässt seinen Protagonisten, den Freigelassenen Trimalchio, verkünden, er (Trimalchio) habe seinem Sklavenknaben ein paar Bücher mit roten Überschriften (libra rubricata), also Rechtslehrbücher, gekauft, damit der Knabe für die Hausverwaltung auch ein wenig von der Juristerei erfahre. Mit diesen Kenntnissen lasse sich Geld verdienen (habet haec res panem) [197]. Auch argentarii könnten solche Informationsquellen dazu benutzt haben, um sich und ihre Mitarbeiter für ihr Bankgeschäft juristisch zu instruieren. Einschlägige Bestimmungen ließen sich in Rom auch von der Edikttafel ablesen, und wie die Dokumente für die ver­schiede­nen Bedarfsfälle aufzusetzen waren, konnten Bankiers auch ihren archivierten Unter­lagen entnehmen.

Auch bei den signiferi erfolgte die finanz- bzw. schreibtechnische Ausbildung so­zusagen betriebsintern in den verschiedenen Bereichen der truppeninternen Ver­wal­tung. In diesen Zusammenhang gehört eine Reihe militärischer Inschriften, die discentes erwähnen, mit denen Soldaten entweder in der Spezialausbildung oder, wenn man Le Bohec folgt, als Ausbilder gemeint sind [198]. In einigen Inschriften aus Afrika erscheint zudem wiederholt die Abkürzung DS, die in der Forschung mit be­merkenswerter Selbstverständlichkeit zu d(iscens) s(igniferorum) aufgelöst wird, obgleich die ausgeschriebene Bezeichnung nirgends belegt ist[199]. In allen Fällen, in denen tatsächlich von discentes die Rede ist, geben diese sich mit der Abkürzung DIS oder DISC, aber niemals nur mit D zu erkennen. Die Auflösung von DS zu d(iscens) s(igniferorum) ist deshalb höchst problematisch [200]. Dennoch kann kein Zweifel beste­hen, dass insbesondere die dokumentationsintensive Kassenverwaltung auch Schu­lungen zur finanztechnischen Schriftführung vornahm, wobei die signiferi in der Regel nicht erst in ihrer Eigenschaft als Feldzeichenträger mit dokumentations­techni­schen Aufgaben in Berührung kamen, sondern bereits auf vorausgehenden Rangstu­fen, in den Legionen z. B. als librarii in den verschiedenen Dienststellen der Trup­penverwaltung[201]. Als solche konnten sie etwa in der Funktion von librarii deposi­torum Schriftführungsaufgaben im Bereich der Verwaltung der Soldatengelder ver­richten, sehr wahrscheinlich „unter der Oberaufsicht der signiferi [202], die ja letzt­lich für die deposita verantwortlich zeichneten.

Die Kassenverwaltung war eine sehr wichtige Aufgabe, aber sie war nur ein Teil einer umfassenderen, institutionalisierten Schulung jener Soldaten, die für einen Auf­stieg vorgesehen waren[203]. Ziel war die Heranbildung universell einsetzbarer Verwal­tungsexperten, denen man bedarfsweise und flexibel administrative Aufgaben zuwei­sen konnte. Dies zeigt sich auch im Einsatz von signiferi, die man u. a. mit der Leitung von praesidia betraute[204]. Da der signifer neben dem optio zu den höchsten Posten einer Zenturie zählte, ist davon auszugehen, dass dieses Amt unter normalen Umständen neu ins Heer eingetretenen Männern nicht direkt zugänglich war, auch wenn sie bereits Lese-, Schreib- bzw. Rechenkenntnisse mitbrachten[205].

Abschließend soll noch in aller gebotenen Kürze auf zwei Fragen eingegangen werden, die zwar über das vorliegende Thema hinausgehen, sich aber implizit den­noch stellen, nämlich erstens, ob zwischen zivilen Finanzdienstleistern und Mili­täran­gehörigen geschäftliche Beziehungen existierten, und zweitens, ob ins­besondere zwischen den hier thematisierten Protagonisten (argentarii und signiferi) soziale Überschneidungen nachweisbar sind.

Appendix A) Geschäftliche Kontakte zwischen professionellen
Finanzdienstleistern und Soldaten


Wie oben (Kap. 3) bereits erwähnt, gewährten Soldaten mit (größeren) Er­sparnis­sen Kameraden Kredite und erwarben sich auf diese Weise einen „Neben­ver­dienst“[206]. Inwiefern sie sich auch professioneller Finanzdienstleister bedienten, um ihr (überschüssiges) Geld bei diesen sicher zu deponieren[207] bzw. bei oder mit ihnen oder durch deren Vermittlung gewinnbringend anzulegen [208], ist schwer zu sagen. Es gibt jedoch einige Belege für geschäftliche Kontakte zwischen beiden Seiten: So ist in den Aufzeichnungen der Gaii Sulpicii ein Soldat der cohors XIII urbana[209], L. Lucretius Firmus, erwähnt, der einem L. Aelius 2000 Sesterzen geliehen hatte und sich von diesem in einem vadimonium die Rückzahlung versprechen ließ [210]. In welcher (Geschäfts-)Beziehung Firmus zu den Sulpicii stand, bleibt allerdings offen. Er ist in ihren Aufzeichnungen der einzige erwähnte Militärangehörige. Aus Ägypten wissen wir, dass Soldaten in Geldangelegenheiten die Dienste privater Bankiers direkt oder indirekt in Anspruch nahmen, sei es für Aus- bzw. Rück­zahlungen von Darlehen, sei es für Anzahlungen oder Zahlungsanweisungen[211]. Aus Vindolanda ist ferner eine Aufstellung von Militärangehörigen bekannt, die dem Ersteller der Liste, vermutlich einem Zivilisten, Geldbeträge (zurück)bezahlten bzw. noch schuldeten [212]. In Ägypten wiederum zahlte ein duplicarius der ala veterana Gallica den Preis für vier gekaufte Ziegenfelle über eine Privatbank an drei πρεσ­βύτεροι aus Soknopaiou Nesos, in denen Bogaert liturgische Funktionäre des Dorfes sieht, die eine Leistung im Rahmen der anonna militaris erbrachten. Privatbanken könnten demnach indirekt auch in (außerordentliche?) Maßnahmen zur Versorgung römischer Soldaten mit involviert gewesen sein[213].

Andreau zufolge waren professionelle Finanzdienstleister in provinzialen Haupt­städten, an Militär­standorten, in Handels- und Hafenstädten sowie an bedeu­tenden Stätten der Kultausübung anzutreffen[214]. So kennen wir aus Lambaesis, dem Standort der legio III Augusta, den nummularius L. Petronius Victor und aus Cirta den argen­tarius Praecilius, der sich ein stattliches, mit Mosaiken geschmücktes Mausoleum errichtete[215]. Aus dem mauretanischen Caesarea, einem Stützpunkt der römischen Flotte, sind zwei fragmentarische Inschriften bekannt, in denen mög­licherweise argentarii erwähnt sind[216]; von dort liegt auch eine Darlehens­vereinbarung vor, bei der ein Matrose beteiligt war [217]. Auch aus germanischen Provinzstädten mit Militär­präsenz sind argentarii und nummularii belegt[218]. Ins­gesamt sind die Nach­weise für Bankiers außerhalb Italiens jedoch recht spärlich[219], woraus sich allerdings nicht zwingend eine geringe Präsenz in den Provinzen ableiten lässt — immerhin ver­pflichtete das prätorische Edikt die argentarii dazu, gegebenenfalls ihre Unterla­gen in der Provinz vorzulegen, in der sie ihr Geschäft betrieben hatten, ein Sachver­halt, der sicherlich nicht reglementiert worden wäre, hätte es keine „kritische Masse“ solcher Fälle gegeben[220]. Die Frage, ob und in welchem Ausmaß Militärangehörige die typi­schen Dienstleistungen[221] professioneller Finanzdienstleister nutzten, muss offen bleiben. Die aus den Quellen ersichtlichen Kontexte lassen vermuten, dass solche Begegnungen nichts Außergewöhnliches waren; ob sie auch dem Austausch schrift­praktischer Kenntnisse dienten, sei dahin­gestellt. Tatsache ist jedoch, dass in den Bankdokumenten militärspezifische Termi­nologie und Abbreviaturen verwendet werden. Der Erwerb dieser Kenntnisse durch die Bankiers könnte also zumindest ein Nebeneffekt der Geschäfte mit Soldaten gewesen sein.

Appendix B) Soziale Überscheidungen zwischen argentarii und signiferi?

Die Frage nach Gemeinsamkeiten, die über die dokumentationstechnischen hinaus auf den sozialen Status, auf Chancen des gesellschaftlichen Aufstiegs und auf mögli­che familiäre Kontakte zwischen argentarii und signiferi abzielt, kann relativ kurz abgehandelt werden. Wie oben bereits angedeutet, war das Ansehen profes­sioneller Finanzdienstleister nicht sonderlich hoch[222], da dieses Metier zunächst von Sklaven, später von vielen Freigelassenen und schließlich auch von Freigeborenen aus der Unterschicht ausgeübt wurde [223]. Wohl nur wenige Bankiers hatten als ehemalige Sklaven einer aristokratischen oder sogar der kaiserlichen Familie einen Patron aus der gesellschaftlichen Elite und erbrachten Finanzdienstleistungen für ihn [224]. Zudem ist von nur einigen wenigen argentarii belegt, dass sie zu Augustales aufstiegen und damit, so Andreau, ein gewisses Prestige erwarben und eine Stellung innehatten, die es ihnen erlaubte, Lebensart und liberalitates des Dekurionenstandes zu imitieren[225]. Den epigraphischen Zeugnissen für (coactores)argentarii und nummularii ist bisher nicht zu entnehmen, dass sie soziale oder gar familiäre Kontakte zu signiferi hatten [226]. Gleiches gilt auch umgekehrt[227]. Anders als die zivilen Finanzdienstleister konnten signiferi im Militär und darüber hinaus auch im Zivilleben sozial aufsteigen und Mit­glieder des ordo decurionum und sogar duumvir oder quattuorvir der Stadt werden, in der sie sich niederließen[228]. Ein vergleichbarer Aufstieg in die munizipale Elite ist für keinen einzigen professionellen Finanzdienstleister belegt [229]. Ob signiferi oder andere Soldaten sich nach ihrer Entlassung als argentarii betätigten, ist nicht erwiesen. Dass Soldaten Geld gegen Zinsen verliehen, macht sie bestenfalls zu faeneratores, aber nicht zu argentarii. Der in der Literatur immer wieder erwähnte Großvater Vespa­sians, T. Flavius Petro, von dem Sueton berichtet, er sei während des Bürgerkriegs auf der Seite des Pompeius centurio oder evocatus gewesen und habe sich nach seiner Entlassung aus dem Heeresdienst als coactor argentarius betätigt, ist als ehemaliger Militärangehöriger, der später im Zivilleben eine Tätigkeit als profes­sioneller Finanz­dienstleister ausübte, in dieser relativen Deutlichkeit in den Quellen eine Aus­nahme [230]. Die oben aufgezeigten und erörterten Gemeinsamkeiten in den Tätigkeiten der argentarii und signiferi sind also sachlich begründet und haben kein erkennbares gemeinsames soziales Fundament.

* * *

Die Diskussion verschiedener schriftkultureller Aspekte der Tätigkeit von argen­tarii und signiferi erzielte Erkenntnisse, die für beide Bereiche gleichermaßen gelten und über sie hinausreichen:

Gleichförmigkeit der dokumentationstechnischen Situation: Die in den Digesten greifbaren Aussagen der Rechtsgelehrten zu den Geschäftsunterlagen professioneller Bankiers lassen sich prinzipiell auch auf die Dokumentation zur Verwaltung der Soldatengelder anwenden: Sowohl der argentarischen als auch der signiferischen Finanzdokumentation lag eine hierarchisch gestaffelte Dokumentenordnung dergestalt zugrunde, dass einerseits die kunden- bzw. soldatenspezifischen rationes als sum­marische Datenkompilationen Auskunft über die Vermögenslage des jeweiligen Eigentümers zu einem bestimmten Datum gaben und andererseits substanziierende Dokumente (Anweisungen, Empfangsbestätigungen, Quittungen etc.) als Nachweise für die Feststellungen in den rationes dienten. Diese Art der Verknüpfung ver­schie­dener Dokumententypen unterschiedlicher hierarchischer Ebenen konnte über den Untersuchungsgegenstand hinaus auch für die Verwaltung (großer) landwirt­schaftli­cher Güter aufgezeigt werden. Wir haben damit in verschiedenen Bereichen des öffentlichen bzw. privaten Lebens eine übergreifende Praxis bei der Erstellung und Führung rechenschaftslegender Dokumentationen vor uns. Diese Praxis dürfte auf Verfahrensweisen im Bereich der senatorischen und equestrischen Haus-, Guts- bzw. Geschäftsverwaltung zurückgehen, die sich dort allerdings nicht als eine creatio ex nihilo ausgeformt haben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass ihre Entwicklung be­einflusst wurde einerseits durch Modernisierung- und Rationalisierungszwänge, die sich im Bereich der Heereslogistik und der Provinzverwaltung infolge der Expansion des römischen Machtbereichs seit dem späten 3. Jh. v. Chr. ergaben, und andererseits durch die Übernahme (schrift)kultureller Techniken aus der griechisch-hellenistischen Staatenwelt, möglicherweise auch mit karthagischen Einflüssen. Die in senatorischen und equestrischen Haushalten bzw. Geschäftsangelegenheiten erstellte Dokumenta­tion gewährleistete sozusagen die interne Rationalität des zu verwaltenden Gegen­stands und gab ein Herrschaftswissen über ihn an die Hand. Als Träger staatlicher Aufgaben dürften Senatoren wie Ritter die skripturalen Voraussetzungen ihres Herr­schaftswissens über die eigenen Belange hinaus auf ihre öffentlichen Aufgabenstel­lungen angewandt und damit eine externe Rationalität in der Staats­verwaltung ge­schaffen haben, die ihrerseits wiederum eine Rückwirkung auf den Privatbereich hatte. Die Empfehlungen Catos und Varros zur schriftgeführten Guts­verwaltung einerseits und die staatlichen Informationsforderungen im Bereich der Zensuserhe­bungen andererseits zeigen sehr deutlich, dass hier dieselben doku­mentationstechni­schen Vorstellungen und Erwartungshaltungen im Hintergrund gestanden und sich vermutlich gegenseitig beeinflusst haben. Selbiges dürfte analog auch für andere administrative Bereiche, nicht zuletzt für den Finanzbereich, gegolten haben, da auch hier Senatoren und Ritter beispielsweise als Offiziere ihr administratives Herr­schaftswissen aus dem Zivilbereich in den militärischen Bereich mit einbrachten. Im Zuge der Etablierung des Prinzipats wurden die skripturalen Voraussetzungen dieses Herrschaftswissens in und mit dem Aufbau des imperialen Verwaltungsapparats institutionalisiert und damit zu einem stets verfügbaren admi­nistrativen Fachwissen auf allen Ebenen der zivilen und militärischen Staatsver­waltung. Ferner stellt das militärische Dokumentationsmodell mit Blick auf die kontrovers diskutierte Frage nach der Gestaltung argentarischer Geschäftsunterlagen (separate Konten oder chro­nologisch geordnete Geschäftsbücher ) gewissermaßen eine Synthese aus beiden Möglichkeiten dar, da die Kassenbücher einerseits periodisch aktualisiert bzw. neu erstellt wurden und damit eine Chronologie der Dokumentation gewährleisteten (stip I–III pro Jahr) und sie andererseits von ihrem inneren Aufbau her Soldaten-ratio auf Soldaten-ratio folgen ließen und damit alle relevanten Informationen zu den Vermö­gensverhältnissen eines Soldaten auf einen Blick präsentierten. Unter den Bedingun­gen dieser Anordnung ist auch die Forderung von Gaius verständlich, die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Unterlagen auf die kundenspezifischen Einträge einzu­schränken (ea sola pars rationum, Dig. 2,13,10,2), da alle rationes sozusagen mitein­ander „vermischt“ waren. Die in den Quellen erkennbare Gleichförmigkeit der doku­mentarischen Gegebenheiten spricht allerdings auch dafür, anachronistische Vorstel­lungen einer uniform gestalteten Dokumentation auf Seiten der argentarii aufzugeben und hier ebenso wie im Heer sowohl ein gewisses Spektrum verschiedener Schrift­träger als auch (leichte) Variationen bei der Gestaltung der Aufzeichnungen einzu­räumen, auch wenn diese nicht positiv nachgewiesen werden können. Die dokumenta­rischen Verhältnisse im Heer sprechen zumindest dafür.

Gemeinsame skripturale bzw. bearbeitungstechnische Konventionen: Die Gestal­tung ziviler und militärischer Finanzdokumente schöpfte aus einem gemein­samen Pool schriftkultureller Konventionen hinsichtlich Terminologie, Abbreviaturen, Re­ferenzierungen, ordinativer Disposition der Informationen und Schriftträgern. Beide Finanzbereiche bildeten also kein arkanes, nur Insidern verständliches Schriftwesen aus. Dieses war vielmehr eingebettet in eine über­greifende griechisch-römische Schrift- bzw. Dokumentationskultur, in der für administrative Zwecke Informationen nach grundlegenden, impliziten Frage­stellungen (s. Anm. 102) in rechenschafts­legender Weise kompiliert, strukturiert und hierarchisiert wurden, in der staatlichen Sphäre nicht anders als in der privat(wirt­schaftlich)en[231]. Vielfältige Berührungen zwischen beiden Sphären sorgten für einen Wissenstransfer, auch über gesellschaft­liche Schranken hinweg, und gewährleisteten eine durchgehende, grundlegende Legibilität formalisierter Literatur.

Dienst an der Öffentlichkeit und institutionalisiertes Vertrauen: Sowohl argentarii als auch signiferi standen im Dienste einer Öffentlichkeit: die argentarii in der Öffentlichkeit der lokalen, städtischen Gesellschaft, in der sie lebten und ihre Finanz­dienstleistungen anboten, die signiferi in der Öffentlichkeit der Truppe, in der sie als Soldaten dienten. Beide verwalteten Gelder anderer, mussten zu den unter ihrer Ver­antwortung deponierten Geldern Aufzeichnungen erstellen und über Ein- und Aus­gang von Geldbeträgen auf Verlangen Rechenschaft ablegen. Beiden brachte die jeweilige Öffentlichkeit ein sozusagen institutionalisiertes Vertrauen entgegen und stellte deshalb auch gewisse Anforderungen ad personam: Literalität, Sachkompetenz und Integrität waren — idealiter — unabdingbare Voraussetzungen für die Ausübung der Finanzdienstleistung im Lichte der jeweiligen Öffentlichkeit. Beide Öffentlich­keiten unterhielten Regelmechanismen, denen die argentarische bzw. signiferische Finanzdokumentation unterworfen war: Die prätorischen Bestimmungen intendierten zumindest die Verständlichkeit und damit Transparenz edierter Dokumentations­aus­züge für deren Verwendung vor Gericht. Aus dem militärischen Bereich liegt eine gleichgeartete, positive Bestimmung nicht direkt vor, jedoch ist sie indirekt aus dem administrativen Stellenprofil erschließbar, das Vegetius zum signifer angibt (singulis rationem reddere).

Archivierung der Finanzdokumentation für verifikatorische und konsultatorische Zwecke: In beiden Bereichen war die Archivierung von Unterlagen institutionalisiert und bildete eine unabdingbare Voraussetzung für die pflichtgemäße Rechenschafts­legung gegenüber Kunden bzw. Soldaten hinsichtlich deren Vermögensverhältnissen. Beide mussten also nachweisen können, dass die von ihnen in den rationes getroffe­nen Aussagen den Tatsachen entsprachen. Hierzu dienten die substanzi­ierenden Unterlagen. Über die zeitliche Dimension der Dokumenten­aufbewahrung sind aller­dings nur bedingt Aussagen möglich. Während im Bereich der profes­sionellen Finanzdienstleister Archivierungszeiträume von weit über einem Jahrzehnt keine Seltenheit waren, was nicht zuletzt mit den gesetzlichen Anfor­derungen zur langfri­stigen Aussagefähigkeit auch ehemaliger argentarii und sogar deren Gesamt­rechts­nachfolger zusammenhängt, sind die Archivierungszeiträume für die hier untersuchte militärische Finanzdokumentation nicht bekannt. Es steht zu vermuten, dass es keine allgemeingültigen positiven Regelungen hierzu gab, sondern der Zeit­raum, über den Dokumente aufbewahrt wurden, pragmatisch im Ermessens­spielraum der jeweiligen Dienststelle lag. Indirekt lässt sich zumindest eine kurz­fristige Aufbewahrung sub­stanziierender Unterlagen über mindestens zwei Sold­auszahlungen hinweg belegen.

Innerbetriebliche Ausbildung: Die Sachkenntnis zur Ausübung der finanz­admini­strativen Tätigkeit wurde in der Regel wohl betriebsintern vermittelt: Auf ziviler Seite dürften die Betreiber einer mensa argentaria ihren Sklaven bzw. Freige­lassenen die nötigen kalkulatorischen und skripturalen Kenntnisse vermittelt haben, wie das Bei­spiel der Ausbildung des Phormion zu erkennen gibt; auf militärischer Seite waren administrative Ausbildungsmaßnahmen in den verschiedenen Bereichen der Heeres­verwaltung institutionalisiert. In beiden Fällen zielten die Unterweisungen im Ergeb­nis auf die Befähigung, die anfallenden finanztechnischen Aufgaben auf die gewohn­heitsmäßige Art und Weise korrekt zu dokumentieren.

Geschäftliche Beziehungen zwischen professionellen Finanzdienstleistern und Militärangehörigen existierten nachweislich, jedoch lässt sich nicht sagen, wie typisch und umfänglich sie waren. Diese Begegnungen können dazu gedient haben, zivile Finanzdienstleister mit militärspezifischer Terminologie vertraut zu machen. Soziale oder gar familiäre Kontakte zwischen professionellen Finanzdienstleistern und signi­feri sind in den Quellen nicht nachweisbar. Alle aufgezeigten Gemeinsamkeiten sind der Sache geschuldet, d. h. der Verwaltung fremder Gelder und der damit verbunde­nen dokumentationstechnischen Rechenschaftspflicht.

*

Die Ergebnisse dieser vergleichenden Untersuchung zu Form und Inhalt der argentarischen und signiferischen Finanzdokumentation sowie zu den Dienstleistern selbst verdeutlichen, wie wichtig es ist, verschiedene Forschungsbereiche, hier den finanz- bzw. rechtshistorischen und den militärhistorischen, in übergreifender Weise in den Blick zu nehmen, um Erkenntnisse der einzelnen Disziplinen in ergänzender bzw. korrigierender Weise zu weiterreichenden Einsichten zu verbinden. Dadurch war es möglich, die dokumentationstechnischen Phänomene beider Finanzbereiche aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und in den größeren Zusammenhang der griechisch-römischen Schriftkultur zu stellen. Gerade die Einsicht, dass beide Doku­mentationsbereiche sich in Form und Inhalt aus gemeinsamen schriftkulturellen Kon­ventionen speisten und damit eine übergreifende Legibilität ihrer Dokumente ge­währleisteten, ermutigt und berechtigt dazu, die größtenteils nur indirekt über die Digesten fassbare Dokumentation der argentarii durch Einsichten aus dem Bereich der militärischen Dokumentation zumindest teilweise zu rekonstruieren.

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Lehrgebiet Geschichte und Gegenwart Alteuropas
Historisches Institut der FernUniversität
Universitätsstr. 33 (KSW)
58084 Hagen, Deutschland
konrad.stauner@fernuni-hagen.de

Konrad Stauner

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[1] In der für die neuere Literalitätsforschung konstitutiven Monographie von Harris (1989) ist dem antiken Bankwesen kein eigenes Kapitel gewidmet; ebenso wenig in den bald darauf erschienenen Aufsatz-Sammelbänden (J. H. Humphrey [Hrsg.], Literacy in the Roman World [JRA, Suppl. Ser. No. 3], Ann Arbor 1991; A. K. Bowman, G. Woolf [Hrsg.], Literacy and power in the ancient world, Cambridge 1994). Bei Cohen (1992, v.a. 124–125) spielt das Thema Literalität im Kontext athenischer Banken lediglich eine untergeordnete Rolle, und auch Thomas (2009, 17–18) widmet der banking literacy nur ein kurzes Kapitel. — Ich danke Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer, Fritz Mitthof sowie den Gutachtern für wertvolle Anmerkungen!

[2] Stauner 2010, 65 Anm. 140.

[3] Zum Thema Schriftkultur s. P. Stein, Schriftkultur. Eine Geschichte des Schreibens und Lesens, Darmstadt 2006, mit umfänglicher Literatur.

[4] Dig. 2,13,4 pr. (Ulpian); 14,3,20 (Scaevola). Nachfolgend ist der Einfachheit halber nur von argentarii die Rede; die coactores argentarii (trieben bei Auktionen das Geld von den Käufern ein und fungierten später auch als Bankiers) und nummularii (ursprünglich nur Münz­prüfer und -wechsler) sind aber jeweils mit gemeint; Nadjo 1989, 219–220; Petrucci 1991, 61; Andreau 1994, 1; id. 1999, 2; Petrucci 32010, 110; Carlà/Marcone 2011, 106; P. Temin, The Roman Market Economy, Princeton/Oxford 2013, 180; zu den argentarii zuletzt Kay 2014, 113–128 u. ö. Die Problematik von Begriffen wie Bank, Bankier, Bankwesen im antiken Kon­text wird durch die Definitionen dieser Begriffe unmittelbar bewusst (s. etwa Gabler-Wirt­schaftslexikon: http://wirtschaftslexikon.gabler.de [12.5.2014]). Es hat deshalb bereits Bürge (1987, 508) resümierend festgestellt: „In Rom gab es keine Banken. Das römische Bankwesen ist eine moderne Fiktion; die Wirklichkeit sieht anders aus.“ Siehe hierzu die Replik von Gröschler 1997, 38–39; s. a. id. 2008, 53–54. Auch Churraca (1991, 306) weist darauf hin, dass „es in Rom ein entwickeltes und gut organisiertes, dem heutigen vergleichbares Bankenwesen nicht gab“. Ebenso warnt F. De Martino (Wirtschaftsgeschichte des alten Rom, München 2 1991, 174) vor anachronistischen Vorstellungen, und auch S. Mrozek (Faenus. Studien zu Zinsproblemen zur Zeit des Prinzipats, Stuttgart 2001, 11) betont, dass „Termini wie Bank und Bankier […] im Altertum nicht bekannt waren“ und moniert deren zum Teil bedenkenlose Verwendung, während Rathbone/Temin (2008, 391) annehmen, dass es zwischen den antiken Banken in Rom und Italien einerseits und heutigen Banken andererseits grundlegende Ähnlich­keiten gebe, die den Gebrauch ein und derselben Bezeichnung (Bank) rechtfertigten. G. Alföldy (Römische Sozialgeschichte, Stuttgart 42011, 122) wiederum ist der Ansicht, der römische Staat der Frühen Kaiserzeit habe über ein „entwickeltes Bank- und Kreditwesen“ verfügt. — Einge­denk aller Vorbehalte gegenüber der Begrifflichkeit des modernen Bankwesens, das seine Anfänge im Italien des Spätmittelalters hat (s. M. North, in: F. Jaeger [Hrsg.], Enzyklopädie der Neuzeit 1, Stuttgart/Weimar 2005, 950–954 s. v. Bank), wird im Folgenden v. a. die lateinische Bezeichnung argentarius ohne Übersetzung verwendet. Wenn von Bankiers die Rede ist, sind damit im Sinne Gröschlers (1997, 39) Personen gemeint, die berufsmäßig jene Finanzdienst­leistungen anboten, die oben im Weiteren vorgestellt werden; s. a. die Definition von „Bankier“ bei Bogaert 1980, 13; zur Entstehung von Banken im 12. Jh. in Italien, ibid. 18.

[5] Dig. 2,13,6,3 (Ulpian): Rationem autem esse Labeo ait ultro citro dandi accipiendi, credendi, obligandi solvendi sui causa negotiationem […]; 2,13,9,2 (Paulus): […] accipiunt pecuniam et erogant per partes. Die Begrifflichkeiten beleuchten die verschiedenen Rollen von Bankier und Kunde bei der Gewährung bzw. Einforderung von Darlehen bzw. bei Zahlungen an Dritte; Gröschler 1997, 269–270; s. a. 51 mit Anm. 188–189; Churruca 1991, 306; Petrucci 1991, 182–183.

[6] Dig. 16,3,7,2 (Ulpian); Rathbone/Temin 2008, 394; R. Scevola, Utilitas Publica II: Elaborazione della giurisprudenza severiana, Padua 2012, 232 Anm. 58.

[7] Plaut. Per. 3,3,437–438; Truc. 1,1,69–70; Gröschler 1997, 51 Anm. 190 mit Literatur.

[8] Gröschler 1997, 51 Anm. 191; zum Beginn der Tätigkeit: 2. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr.: Andreau 1999, 39; Carlà/Marcone 2011, 102; 1. Jh. v. Chr.: Gröschler (ibid.); Minaud 2011, 306.

[9] Andreau 1999, 39.

[10] Faenerator war keine Berufsbezeichnung, sondern unabhängig von der Standes­zugehörigkeit auf jeden anwendbar, der Geld gegen Zinsen verlieh ( faenerari). Faeneratores finden sich daher unter Senatoren und Rittern ebenso wie unter Sklaven und Freigelassenen, wenngleich erstere den Geldverleih weder beruflich betrieben noch sich selbst als faeneratores bezeichnet hätten. Siehe Churruca 1991, 308; Verboven 2008, 212.

[11] Die Aufzeichnungen dienten der Rechenschaftslegung: Cic. Caecin. 17. Gellius (14,2,7) spricht von üblichen Arten und Weisen (consueti modi), den Nachweis für eine ge­tätigte Zahlung zu erbringen: durch Ausweisen der Eintragung einer Auszahlung (expensi latione — J. C. Rolfe [Loeb ed. 1952] übersetzt mit „receipt for payment“ — ungenau, denn eine latio ist keine Quittung), durch die Rechnungsbücher der Bank (mensae rationibus — Rolfe: „book of accounts“ — ungenau, denn es handelt sich um die Geschäftsbücher einer Bank [mensa]), durch Vorzeigen bzw. Aushändigen des chirographum (chirographi exhibitione — Rolfe: „by producing a signature“ — ungenau, denn ein chirographum ist eine eigenhändig geschriebene Erklärung und keine Unterschrift im heutigen Sinne), durch Besiegelung der Täfelchen (tabularum obsignatione) oder durch Hinzuziehen von Zeugen (testium inter­cessione). Zu consueti modi s. a. P.Dura 56 = Rom.Mil.Rec. 99 = ChLA VI 311 = ChLA XLVIII 311, Frag. a, Z. 7–8 (208 n. Chr.): [i]n act[a] u[t] / mos refer; Stauner 2004, 40–43, 210. Zum Beweismittelcharakter argentarischer Unterlagen vor Gericht s. Thilo 1980, 235; Bürge 1987, 510–513; Churruca 1991, 307; Petrucci 1991, 383–384; id. 32010, 195; v. Reden, 2010, 112. Nach Andreau (1994, 12) waren argentarische Unterlagen vor Gericht kein abso­lutes Beweismittel, hatten aber eine „autorité particulière“, v. a. wenn sie den einzigen Hinweis auf eine Transaktion darstellten. Zur Bedeutung von Bankunterlagen für Prozesse vor athenischen Gerichten s. Cohen 1992, 125 mit Anm. 57. Im attischen Recht gab es kein genaues Gegenstück zur römischen editio rationum (Andreau, ibid.).

[12] Dig. 2,13,4,1 (Ulpian). Petrucci (1991, 23–24; s. a. 141) datiert das Edikt auf spätestens

die ersten Dezennien des 2. Jhs. v. Chr.; Andreau (1994, 5 Anm. 12) plädiert für eine etwas spätere Datierung im 2. Jh. v. Chr.

[13] Bürge 1987, 514; Dig. 2,13,6,3 (Ulpian). Die Übersetzung von sui causa fehlt bei Krampe (s. Dig.). Nach Petrucci (1991, 157) intendierte diese Bestimmung des prätorischen Edikts, die wachsende Bedeutung der Geschäftsaktivitäten der Bankiers mit einigen Anfor­derungen zum Schutz ihrer Kunden in Einklang zu bringen, hatte aber keineswegs zum Ziel, die argentarii sozusagen unter öffentliche Kontrolle zu stellen.

[14] Dig. 2,13,1 pr. (Ulpian). Zur editio s. Bürge 1995; M. Kaser, K. Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, München 21996, 220 mit Anm. 1.

[15] Dig. 2,13,1,1 (Ulpian); Bürge 1995, 6–7; zu copia s. A. Wacke, Von Copia zur Kopie. Copiam habere und copiam sui facere in den Digesten, in: R. van den Bergh (Hrsg.), Ex iusta causa traditum. Essays in honour of Eric H. Pool, Pretoria 2005, 385–403, hier 388; zur Bedeutung korrekter Formulierungen im juristischen Kontext s. Meyer 2004, 79–90.

[16] Dig. 2,13,1,3 (Ulpian).

[17] Dig. 2,13,10 pr. (Gaius); Churruca 1991, 307; Andreau 1994, 1; Petrucci 32010, 195. Die Pflicht zur Edition entfiel allerdings, wenn der Anfragende a) eine vexatorische Absicht verfolgte bzw. b) die fraglichen Informationen bereits vorliegen hatte (Dig. 2,13,6,2 [Ulpian]; 2,13,9,3 [Paulus]).

[18] Dig. 2,13,6,7 (Ulpian); s. a. die Einsichtnahme in Bankbücher und Anfertigung von Ab­schriften im Kontext attischer Prozessreden (Demosth. or. 49,43).

[19] Krampe übersetzt instrumentum (Dig. 2,13,6 pr.; 2,13,4,5) und codex rationum (Dig. 2,13,10,2) mit „Rechnungsbuch“. Der Kontext legt m. E. nahe, dass es hier nicht lediglich um ein Rechnungsbuch geht, sondern vielmehr um die Gesamtheit der Geschäftsunterlagen des argentarius, die sozusagen das „Instrument“ zur Ausübung seines Berufs darstellten. Dig. 2,13,6,9 (Ulpian): Der Prätor lehnt eine Bekanntgabe zugunsten des argentarius ab, weil dieser schon unterrichtet (instructus) ist, und zwar instrumento suae professionis. — Krampe über­setzt dies mit „eine Urkunde aus seiner Geschäftstätigkeit“. Meines Erachtens greift die Über­setzung auch hier zu kurz. Dem argentarius musste nichts bekanntgegeben werden, weil er ohnehin über sämtliche Unterlagen seines Bankgeschäfts verfügte. Auch hier lese ich den Singular instrumentum eher pluralisch (s. a. Quint. inst. 12,8,12: Der gute Anwalt musste „das ganze Rüstzeug für den Rechtsstreit“ [Üb. H. Rahn {Marcus Fabius Quintilianus, Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher, Erster u. Zweiter Teil, Darmstadt 2006, ND 31995}; omne litis instrumentum] sichten, zu dem, wie aus dem vorausgehenden Satz ersichtlich ist, nicht nur, aber eben auch zahlreiche Schriftstücke zählten. Der Singular instrumentum fasst die Gesamt­heit des Prozessmaterials zusammen). Petrucci (1991, 26 Anm. 19) versteht ebenfalls „instru­mentum argentariae nel senso di documenti“ (ibid. 383 mit Anm. 202); ebenso spricht Minaud (2011, 306 Nr. 344) davon, dass „ces documents [gemeint sind die rationes bzw. der codex rationum, Anm. v. Vf.] faisaient partie de l’instrumentum argentariae“; s. a. Dig. 33,7,8,1 (Ulpian): Zum Zubehör eines Landguts (instrumentum fundi) gehören u.a. Sklaven, Verwalter und Aufseher (homines, vilici, monitores). Ausführlich zur Bedeutung von instrumenta: Bürge 1995, 26–32.

[20] Dig. 2,13,6 pr. (Ulpian; s. Anm. 153).

[21] Dig. 2,13,10,2 (Gaius): Edi autem ratio ita intellegitur, si a capite edatur, nam ratio nisi a capite inspiciatur, intellegi non potest: scilicet ut non totum cuique codicem rationum totasque membranas inspiciendi describendique potestas fiat, sed ut ea sola pars rationum, quae ad instruendum aliquem pertineat, inspiciatur et describatur. A. Watson (The Digest of Justinian I, Philadelphia, Pa. 1985, 61) übersetzt totum cuique codicem rationum totasque membranas mit „the whole of the account book and all its pages“ (Hervorhebung v. Vf.). Dass die membranae als die Seiten des codex zu verstehen sind, steht so nicht im Text; s. a. Thilo 1980, 241–242 Anm. 525. Genauer übersetzt Krampe: „das ganze Rechnungsbuch und sämt­liche Blätter“. Nach Ulpian konnten Bücher (libri) aus Papyrus, Pergament oder einem anderen Material hergestellt sein (Dig. 32,52 pr.). Mit den membranae können auch lose beschriebene Blätter gemeint sein, die Ulpian ebenfalls zu den Büchern zählt (Dig. 32,52,5).

[22] Dig. 2,13,4 pr. (Ulpian).

[23] Gröschler 1997, 266 mit Anm. 239.

[24] Dig. 2,13,6,6 (Ulpian): Si initium tabularum habet diem, in quibus Titii ratio scripta est, postmodum mea sine die et consule, etiam mihi edendus est dies et consul: communis enim omnis rationis est praepositio diei et consulis; Andreau 1987, 621–622; diese Position hat er mehrfach wiederholt: 1994, 3–4; 1996, 425; 1999, 45. Auch Thilo (1980, 243) schließt aus der Digestenstelle, dass „die Geschäftsaufzeichnungen der Argentarier chronologisch geordnet“ waren. Maselli (1986, 103) sieht in den tabulae die wichtigste Geschäftsunterlage („scrittura principale“) und darin sowohl ein chronologisch angelegtes „libro-giornale“ der getätigten Geldgeschäfte als auch ein „libro d’affari“ mit den zum Verständnis aller Geschäftstätigkeiten notwendigen Informationen. Das Datum indiziere den Beginn der Geschäftsbeziehung mit dem jeweiligen Kunden („l’inizio del rapporto col cliente“, ibid. 106). Petrucci (32010, 200) wiederum versteht initium tabularum in dem Sinne, dass jedes der Täfelchen („ognuna delle pagine“), aus denen sich der codex rationem zusammensetzte, mit dem Datum begann.

[25] Gröschler 1997, 271. Zur Problematik der Digesten und ihrem Bezug zur gelebten Wirklichkeit s. id. 2008, 44.

[26] Gröschler 1997, 272.

[27] Im Folgenden werden Detailangaben zu den Papyri militärischen Inhalts zumeist nach ChLA angegeben; die Bände dieses Corpus stellen zu vielen Dokumenten Abbildungen bereit.

[28] Weitere, zu ChLA X 410 vergleichbare, jedoch sehr fragmentarische Dokumente sind: Rom.Mil.Rec. 72 = ChLA IV 243 = ChLA XLVIII 243 (150–170 n. Chr.); Rom.Mil.Rec. 71 = ChLA XLIV 1298 (spätes 2. Jh. n. Chr.); ChLA XI 473 = ChLA XLVIII 473 (2./3. Jh. n. Chr.); ChLA XI 495 = ChLA XLVIII 495 (vor 193/nach 211 n. Chr.); ChLA X 446 = ChLA XLVIII 446 (3. Jh.? n. Chr.).

[29] Stauner 2010, 63–65. Zur Frage, ob Rom.Mil.Rec. 68 aus einer Legion oder Auxiliareinheit stammt, s. Speidel 2000, v. a. 82. ChLA X 410 stammt aus einer Auxiliarein­heit. Nach Marichal (ChLA X, S. 8) zeigt das Dokument eine „« situation », à une date déter­minée, de la « Caisse des dépôts » d’une centurie ou d’une turme, établie par les services d’un signifer et non par la Trésorerie du Corps“.

[30] ChLA X 410, 6866 A, Col. I und III enthalten mehrere rationes, denen vermutlich jeweils ein Datum (Konsul­angabe) vorangestellt war. In Col. I scheint dies jeweils eine unter­schiedliche Datumsangabe gewesen zu sein (zu zwei Einträgen ist das Datum nicht erhalten); in Col. III ist dies nicht zu erkennen, da hier die Zeilen mit dem Datum nicht erhalten sind. In Col. II sind unter einzelnen Datumsangaben zwei bzw. drei rationes angeführt. Vgl. das kleine Fragment einer Soldatenliste ChLA XI 504 (283–308 n. Chr.), in der dasselbe Datum ver­schiedenen, aufeinander folgenden Soldatennamen jeweils vorangestellt ist. Es scheint sich um redundante Angaben zu handeln.

[31] Der Begriff ratio erscheint in ChLA X 410, 6866 A, Col. I 27 und II 25. Als Über­schrift begegnet er in: P.Qasr Ibrîm (M. E. Weinstein, E. G. Turner, Greek and Latin Papyri from Qasr Ibrîm, JEA 62 [1976] 115–130) 34a (1 v./n. Chr.): ratio Ḷạẹ ḷi[ : eines von mehreren Papyrus-Fragmenten, die den Herausgebern zufolge zu „soldiers’ accounts“ gehört haben könnten; P.Masada 722 = ChLA XLVI 1365 (72 oder 75 n. Chr.): der Begriff ratio ist mit dem Zusatz stipendia(ria?) (P.Masada II, S. 49) präzisiert; hierzu Stauner 2010, 59.

[32] Übertragungen (habuit/debet ex priore ratione): Rom.Mil.Rec. 68, Col. II 12, 22; Col. III 21; ChLA X 410, 6866 A, Col. I 27; II 25; 6866 B Frag. A, Col. I 9; s. a. Plaut. Trin. 425–426: (drachmae) quas de ratione dehibuisti; Cic. Quinct. 17: in tabulis inspexisse quantum deberetur.

[33] Speidel 2000, 71.

[34] Rom.Mil.Rec. 68, Col. II 14 und 24; Col. III 13 und 23; T.Vindol. III 581 (ca. 98–105 n. Chr.): eodem die. Verweise dieser Art finden sich auch in den Inschriften auf den Memnon-Kolossen: A. & É. Bernand (Hrsg.), Les inscriptions grecques et latines du Colosse de Memnon, Kairo 1960, 42 Nr. 7: Non(as) easdem; anni eiusdem; 76 Nr. 25: eodem die. Petron. 53: Ein actuarius berichtet Trimalchio über die Ereignisse auf dessen Besitzungen an einem 26. Juli. Dem Tagesdatum folgt die erste Nachricht; weiteren Nachrichten geht jeweils ein referen­zierendes eodem die voraus. Dieselbe Art von Verweis findet sich auch in P.Abinn. 82 recto,
Z. 3 u. ö. (Mitte 4. Jh. n. Chr.): τῇ αὐτῇ ἡμέρᾳ; vergleichbare Verweise wiederum auf den Memnon-Kolossen, S. 104 Nr. 35: αὐτῷ ἔτει, μηνὶ τῷ αὐτῷ, und auf den Ostraka aus Krokodilô, etwa O.Krok. 1 (8.2.–28.3. 108 oder früher), Z. 26: ὁμ(οίως) ὥραν η ἡμέρα{ι}ς;
s. a. O.Did. 22, Z. 2 (entsorgt ca. 220–250); zu Referenzierungen s. Anm. 89.

[35] Rom.Mil.Rec., S. 256. Hierzu Marichal (ChLA X, S. 8), der die Frage letztlich offen lässt, ob es sich um Aufstellungen für ein gesamtes Jahr oder nur für eine der üblichen drei Soldauszahlungen pro Jahr handelt.

[36] Z. B. ChLA X 410, 6866 A, Col. II: Auf die Datumsangabe in Zeile 7 folgen die rationes dreier Soldaten. Dasselbe Datierungsprinzip liegt Listen über den Personalbestand militärischer Einheiten zugrunde: Alle Soldaten, die im selben Jahr in das Heer eingetreten sind, werden unter ein und derselben vorangestellten Datumsangabe aufgelistet, so etwa in: ChLA XI 468 (95 n. Chr.); P.Dura 100 = Rom.Mil.Rec. 1 = ChLA VIII 355 = ChLA XLVIII 355 (219 n. Chr.); P.Dura 101 = Rom.Mil.Rec. 2 = ChLA VIII 356 = ChLA XLVIII 356 (222 n. Chr.); ChLA XI 497 (222–229 n. Chr.).

[37] Also etwa eine individuelle ratio vestis, eine ratio frumenti etc. Genau dies scheint allerdings Minaud (2005, 105) anzunehmen, wenn er auf der Grundlage von Rom.Mil.Rec. 68 schreibt, dass (zu jedem einzelnen Soldaten) mindestens fünf verschiedene rationes (zu faenaria, victus, caligae, vestimenta und depositum) geführt worden seien, woraus er mit Blick auf die in T.Vindol. II 154 (ca. 85–92 n. Chr.; die Zeitangaben beruhen auf A. Birley, Names New and Old from Recent Excavations at Vindolanda. Nouveaux et anciens noms de la garnison de Vindolanda, Bretagne: identité et brassage ethniques, in: M. Dondin-Payre, Les noms de personnes dans l’Empire romain. Transformations, adaptation, évolution, Bordeaux 2011, 264–304, hier 264) angegebene Personalstärke der Tungrer-Kohorte von mindestens 752 Mann in Vindolanda den Schluss zieht, dass „ces mouvements [gemeint ist die Ausgabe diverser Güter an die Soldaten, Anm. v. Vf.] génèrent 3760 écritures dans les comptes des militaires de ce fort. Ensuite, chaque versement fait à chaque militaire provoque une écriture dans le compte de marchandises concerné (foin, nourriture, chaussures, vêtements), il y a au moins 3008 nouveaux enregistrements produits (en prenant l’hypothèse basse qui correspond à une seule distribution de nourriture et foin par quadrimestre). A chaque quadrimestre, au moins 6768 écritures étaient passées, soit 20304 par an. Dans la réalité, ce chiffre était largement supérieur, car il faut prendre en considération les achats faits auprès des fournisseurs et toutes les écritures de centralisation et de reddition de comptes. Plusieurs personnes étaient néces­saires pour accomplir une telle tâche“. Meines Erachtens sind diese Zahlen zu mechanisch hochgerechnet. Die weiteren Ausführungen zeigen, dass nach Gütern differenzierte, personali­sierte rationes, wie sie Minaud vermutet, zumindest nicht notwendig waren, um zu den Ergeb­nissen zu gelangen, wie sie etwa in Rom.Mil.Rec. 68 für jeden Soldaten dokumentiert sind.

[38] Vgl. Thilo 1980, 242.

[39] Nicht erhalten sind, soweit ich sehe, Quittungen zur Ausführung zahlungspflichtiger Dienstleistungen etwa für Reparaturen (P.Vindob. L 72+82 = Rom.Mil.Rec. 71 = ChLA XLIV 1298 Frag. a [=L 72] 3; 12; Frag. b [=L 82] 7? [spätes 2. Jh. n. Chr.]; ChLA X 446, Z. 7 [3. Jh.? n. Chr.]), obwohl diese analog zur Quittierung der Ausgabe etwa von Proviant vorauszusetzen sind. Reparaturen werden auch in den Täfelchen aus Vindolanda erwähnt: T.Vindol. III 597 b.3: Reparatur von Töpfen; 598 c.7; 599: Reparatur einer Laterne; 607 b.1–2: Reparatur eines Geldgürtels (ventrale) (alle ca. 98–105 n. Chr.); T.Vindol. III 604 (ca. 98–105 n. Chr.): Einkauf von Schuhnägeln für das Schuhwerk des Tetricus.

[40] P.Hamb. I 39 = Rom.Mil.Rec. 76 (179 n. Chr.); O.Wilck. 1128–1146, auszugsweise in Rom.Mil.Rec. 78 (1. Apr. 157–187 oder 217 n. Chr.).

[41] Zu den Abzügen s. Stauner 2010, 51 Anm. 73; 65 Anm. 138. P.Dura 56 = Rom.Mil.Rec. 99 = ChLA VI 311, Frag. c (16. März–17. Aug. 208): Auch dieses Schreiben, in dem der Statthalter von Syria Coele den Kommandanten der cohors XX Palmyrenorum darüber informierte, dass er ein Pferd einer probatio unterzogen, seinen Wert (125 Denare) bestimmt und es dem Kavalleristen Iulius Bassus zugeteilt habe, diente vermutlich als substanziierender Nachweis für den Abzug vom Sold des Soldaten; das angegebene Datum der Registrierung des Pferdes im Statthalterstab sollte wohl die Möglichkeit nachträglicher Überprüfungen des Vor­gangs gewährleisten; s. Haensch 1992, 267–268. In SB XVIII 13303 (1. Jh. n. Chr.) nimmt der praefectus Aegypti die aestimatio eines Pferdes vor; hierzu A. Hanson, Private Letter, BASP 22 (1985) 87–96.

[42] Dig. 15,1,49,2 (Pomponius): Ut debitor vel servus domino vel dominus servo intel­legatur, ex causa civili computandum est: ideoque si dominus in rationes suas referat se debere servo suo, cum omnino neque mutuum acceperit neque ulla causa praecesserat debendi, nuda ratio non facit eum debitorem; s. a. Dig. 39,5,26 (Pomponius). Minaud (2005, 161) thematisiert diesen Zusammenhang mit Blick auf litterae und tabulae: „Les litterae, en qualité de pièces mémorisant des échanges de biens et en tant que justificatifs à fournir lors d’un contrôle ultérieur potentiel, devaient être conservées méthodiquement. Les litterae font que la ratio n’est pas nuda, mais pleinement justifiée.“ CPR 17 B (184–185 bzw. 217–218 n. Chr.): zwei Papyrusrollen des Bankiers Aurelius Zoilos aus Panopolis mit v. a. Darlehensverträgen und zugehörigen, in verschiedenen Händen geschriebenen Vereinbarungen, die er in seine Bücher einfügte „in order to keep a receipt of the contracts made through his banks“ (K. Geens, Financial Archives of Graeco-Roman Egypt, in: K. Verboven et al. [Hrsg.], Pistoì dià tèn téchnen. Bankers, Loans and Archives in the Ancient World. Studies in Honour of Raymond Bogaert [Studia Hellenistica 44], Leuven 2008, 133–151, hier 150). Sie dienten wohl als Legitimationsgrundlage für das nachfolgende Agieren des Bankiers. Zu substanziierenden Unterlagen als Beweismittel gegenüber Schuldnern in einem altbabylonischen Kontext s. Jacquet 2013, 73.

[43] Rom.Mil.Rec., S. 538 s. v. debet; T.Vindol. II 181, Z. 10 (wohl aus der Feder eines zivilen Händlers; ca. 105–122 n. Chr.): reliqui debent; G. Wesch-Klein (Soziale Aspekte des römischen Heerwesens in der Kaiserzeit, Stuttgart 1998, 62 mit Anm. 108) zufolge zeige P.Fay. 105 (s. Anm. 44), dass die Schulden „mit den Soldzahlungen verrechnet“ wurden. Gerade das zeigt der Papyrus aber nicht, vielmehr werden nur die Schuldner aufgelistet. Eine Verrechnung im Sinne eines Abzugs der Schulden vom jeweiligen Guthaben ist hier nicht ersichtlich; s. Anm. 45.

[44] P.Fay. 105 = Rom.Mil.Rec. 73 = ChLA III 208 = ChLA XLVIII 208 (ca. 175 n. Chr.). Debitores: Frag. a, Col. I 17; Col. II 3. In der Regel waren es kleinere (einstellige oder niedrige zweistellige) Beträge. Ein gewisser Maximus schuldete der Kasse jedoch 176 Denare, 17 Obolen (Frag. a, Col. I 24) und ein Apollinarius stand mit 172 Denaren und 27,5 Obolen in der Kreide (Col. II 17). Der Papyrus enthält zudem die Gesamtsummen in den Kassen depositum, viaticum und sepositum (Col. III 27–30 und Rom.Mil.Rec., S. 270); summarische Zusammen­fassungen prinzipiell derselben Art: P.Abinn. 80 recto (s. Anm. 106); P.Abinn. 69 verso, Z. 94–98; P.Abinn. 75 (alle ca. Mitte 4. Jh. n. Chr.): u. a. Geldauszahlungen an Soldaten bzw. Offi­ziere. Ob die Soldaten für die aufgenommenen Kredite Zinsen zahlen mussten, ist den Unter­lagen nicht zu entnehmen. Zinslose Kredite hätten allerdings den Charme gehabt, als ein kaiserliches beneficium zu erscheinen, das wiederum die Loyalität gegenüber dem obersten Dienstherrn hätte stärken können. Nach Zehetner (2011, 156–157) sei die Einheit, aus der P.Fay 105 stammt, eine abkommandierte vexillatio gewesen. Der Papyrus beweise, „dass sich die vexillatio auf eine längere Phase der Abkommandierung einstellte, denn sie listete ihre eigenen Finanzen exakt auf“. Die Exaktheit der Dokumentation beweist keineswegs die Vorbe­reitung zu einer Abkommandierung, vielmehr ist sie ein generelles Charakteristikum admini­strativer Schriftstücke der Heeresverwaltung; s. a. T.Vindol. II 154 (s. Anm. 37) mit detaillier­tem Personalstand sowie T.Vindol. IV 857 u. 858 (ca. 85–92 n. Chr.; Britannia 41 [2012] 196–201) mit ähnlicher (wenn nicht ursprünglich identischer) Struktur und Detailfülle: Alle drei Schriftstücke sind vermutlich demselben Typ wohl routinemäßig erstellter Berichte zuzuord­nen. Zum sepositum bemerkt Zehetner: „Der Soldat konnte […] auch eigenmächtig das Geld bei den signa hinterlegen, was der Begriff sepositum beweist“ (ibid. 158). Das Zu-Beweisende, dass nämlich der Begriff sepositum in Zehetners Sinne zu verstehen sei, wird als Beweis für eben diese These angeführt!

[45] Dass Schulden bei der Truppenkasse nicht automatisch vom nächsten Sold einbehalten wurden, verdeutlicht ChLA X 410, 6866 A, Col. I 25–31: Der Soldat hatte 100 Denare im depositum und 75 im viaticum und schuldete ex priore ratione 18 Denare und 24,5 Obolen sowie für die collatio 4 Denare und 22,5 Obolen. Der Betrag hätte also ohne weiteres abge­zogen werden können, wurde es aber nicht (s. Z. 31).

[46] Marichal (ChLA III, S. 90) vermutet die Möglichkeit täglicher Auszahlungen sowie die Existenz eines „Day Book“ für deren Dokumentation (er schloss auf ein Tagesbuch aus der zweimaligen Erwähnung zweier Soldaten in ChLA III 208 [Col. I 15 u. 23 und Col. II 11 u. 13]. Contra: Fink, Rom.Mil.Rec., S. 270). Ein ephemerides genanntes Tagesbuch erwähnt P.Paris 62 VIII 9 (204 v. Chr.), geführt von den Trapeziten einer Bank in Ägypten, in das, so Wilcken (O.Wilck., S. 640–641) „Tag für Tag Einnahme und Ausgabe […] gebucht“ wurden, vermutlich mit „Abschriften von den Quittungen, die die Bank bei Einzahlungen ausgestellt, resp. bei Auszahlungen empfangen hatte“; s. a. Thilo 1980, 184; Geens in Anm. 42. Zu den Tagesbüchern meint Meyer 2004, 33: „daybooks were destroyed virtually immediately, after their financial information had been transferred into the tabulae“ (dieselbe Praxis findet sich auch in einem altbabylonischen Kontext, s. Jacquet 2013, 72); anders Thilo (1980, 181–187), der ephemerides als „endgültige Aufzeichnung“ (ibid. 185) versteht. Das Problem mit diesem und anderen Begriffen (etwa ratio) ist ihre semantische Offenheit, die auch im Bereich der militärischen Dokumentation etwa bei den breves begegnet. Die konkrete Bedeutung dürfte vom jeweiligen Kontext abhängig gewesen sein; s. a. Minaud in Anm. 137.

[47] P.Vindob. L 135 = ChLA XLV 1340 = B. Palme (Hrsg.), Die Legionäre des Kaisers. Soldatenleben im römischen Ägypten, Wien 2011, 69–70 Kat.-Nr. 1 (27 n. Chr.): Darlehen eines Infanteristen an einen Kavalleristen, mit Rückzahlung in Monatsraten ab der nächsten Soldauszahlung (… tibi solvam stipendio proxumo / et eorum usuras in menses singulos; J. F. Gilliam, Notes on a New Latin Text: P.Vindob. L 135, ZPE 41 [1981] 277–280); O.Claud. III 540 (140 n. Chr.): Darlehen gegen Verpfändung einer Getreideration; P.Mich. VII 438 = ChLA V 303 (140 n. Chr.): Rückzahlung des Darlehens nach Erhalt des Solds (stipendio accepto); O.Claud. III 541 (141 n. Chr.): Darlehen mit Rückzahlung in Monatsraten; P.Cairo J 72083 = ChLA XLII 1207 (153 n. Chr.): Rückzahlung eines Darlehens nebst Zinsen vom nächsten Sold (redda(m) stipendio / [proximo] … cum usuris legitimis; zum schriftlichen, formlosen Ver­sprechen der Zinszahlung s. Churruca 1991, 316–317; H. L. W. Nelson, U. Manthe, Gai Institutiones III 88–181. Die Kontraktsobligationen. Text und Kommentar, Berlin 1999, 473; ChLA V 284 (188 n. Chr.): Rückzahlung des Darlehens am Tag der nächsten Soldaus­zahlung (?). Kreditvergabe unter Legionären in Britannien: R. O. S. Tomlin, The Twentieth Legion at Wroxeter and Carlisle in the First Century: The Epigraphic Evidence, Britannia 23 (1992) 141–158, hier 146–150 (83 n. Chr.), möglicherweise mit Rückzahlung anlässlich der nächsten Soldausgabe. P.Vindob. L 135 und T.Vindon. 2 (38 n. Chr.) widerlegen die jüngst von Zehetner (2011, 142–143) vorgebrachte These, dass die Soldaten vor der Revolte des Saturninus „zwar Geld am ‚Konto‘ hatten, über dieses allerdings nicht verfügen konnten“. Ihm zufolge wurde der Sold „so lange zurückgehalten, bis der Soldat seinen Dienst beendete. Dies sollte die Soldaten zum einen an die Armee binden und zum anderen unnötige Ausgaben ver­hindern. Etwas makaberer ausgedrückt könnte man sagen, man verpflichtete den Soldaten damit zum Überleben“. Die Vorstellung, dass ein im Regelfall weit über zwei Jahrzehnte hinweg vollständig vorenthaltener Sold die Bindung der Soldaten an die Armee stärken sollte, ist weder plausibel noch naheliegend, allein schon deshalb nicht, weil kein Soldat davon ausge­hen konnte, dass er das reguläre Dienstende auf jeden Fall erlebt. Der Genuss des erdienten Solds wäre in eine völlig ungewisse Zukunft verschoben, die schwerlich eine Bindungswirkung entfalten konnte. Bindungen bzw. Loyalitäten werden für gewöhnlich durch regelmäßige Be-Lohnungen gestärkt und nicht durch deren systematische Vorenthaltung.

[48] Verboven (2009, 25) vermutet, dass die Soldaten dies jederzeit konnten.

[49] Rom.Mil.Rec., S. 269.

[50] Vgl. die als „day book“ bezeichnete Aufstellung P.Abinn. 82 recto (Mitte 4. Jh. n. Chr.), die Tag für Tag den Transport von Getreide durch verschiedene Kameltreiber dokumen­tiert. Auf die Angabe des Datums (Monat und Tag) folgen alle durchgeführten Transporte. Prinzipiell dieselbe Dokumentationsweise zeigt T.Vindol. III 586, Col. II 3–7 (ca. 98–105 n. Chr.): Auf die Überschrift recepta werden pro Zeile das Datum, der Name des Lieferanten und die gelieferte Menge an Weizen verzeichnet. Die Kontinuität in der Dokumen­tationsweise (nicht zuletzt hinsichtlich der Ausgabe von Gütern an Soldaten) macht es wahr­scheinlich, dass auch die Auszahlung von Krediten aus der Truppenkasse an Soldaten auf diese oder sehr ähnliche Weise aufgezeichnet wurde.

[51] Zu Datenkompilationen als Zwischenschritt bei der Erstellung von Monatsberichten im Rahmen privatwirt­schaftlicher Güterverwaltung s. Rathbone 1991, 359 u. ö.; P.Fay 153 (1. Jh. n. Chr.): „Kontoauszüge aus dem Kassentagebuche einer Bank“, F. Preisigke, Zur Buchführung der Banken, APF 4 (1908) 95–114. Der Papyrusschreiber, so Preisigke (ibid. 102), „hat zuerst das Kassentagebuch von vorn bis hinten durchgesehen, um alle Zahlungen des Kunden A. herauszuziehen […], sodann hat er das Kassentagebuch abermals von vorn bis hinten durch­gesehen, um alle Zahlungen des Kunden B. herauszuziehen […], und dieses Verfahren hat er so oft wiederholt, als Kunden vorhanden waren“. Eine vergleichbare Vorgehensweise könnte der Bearbeitung militärischer Empfangsquittungen zugrunde gelegen haben.

[52] Vgl. Cato agr. 5,2 (s. Kap. 6). Neben chronologisch geordneten Dokumenten führten die Römer für buchhalterische Zwecke auch sachspezifische (Minaud 2005); zu sach­spezifischen rationes der Logistikbereiche militärischer Einheiten s. Stauner 2010.

[53] T.Vindol. III 586, Col. I (s. Anm. 50): eine Aufstellung über die Ausgabe von siligo und halica, hinter der die Herausgeber „standard distributions of rations“ vermuten. T.Vindol. II 180 (ca. 105–122 n. Chr.): ratio frumenti em[ensi], die allein die Ausgabe an eine Reihe von Personen dokumentiert; O.Douch I 15 (4.–Anfang 5. Jh. n. Chr.): λόγος σίτο[υ / δοθέν(τος) εἰς χρ[είαν zur Ausgabe von Weizen an Soldaten. Minaud (2005, 100–106) sieht die ratio frumenti aus Vindolanda als „journal auxiliaire“; Aufzeichnungen dieser Art waren „indispensables à la centralisation et à la bonne tenue des comptes de la cohorte, puis de la légion“ (ibid. 105). Da hier keinerlei Verrechnung, sondern lediglich „mouvements effectués pendant une période“ dokumentiert sind, vermutet er, m. E. zu Recht, dass Aufzeichnungen dieser Art „servaient vraisemblablement à établir d’autres registres plus complexes“ (ibid. 101). Mit Blick auf das Zusammenspiel unterschiedlicher Dokumente spricht er von einer „architecture administrative et comptable plus développée“ (ibid. 97).

[54] Vgl. die renuntia aus Vindolanda, in denen summarisch die Ausführung von Befehlen gemeldet wurde (T.Vindol. II 127–153; III 574–579 [ca. 98–ca. 140/145? n. Chr.]); hierzu Stauner 2004, 91–93; id. 2010, 45, 74.

[55] Stauner 2010, 65. O.Dios inv. 480: Bestätigung eines Soldaten an den curator praesidii über den Empfang von vier Monatsrationen an Proviant. Der Zeitraum erstreckt sich über jenen, der auch mit dem ersten stipendium entlohnt wurde. Cuvigny sieht in dem Schreiben eine rückblickend erstellte, rekapitulierende Bestätigung, die im Vorfeld der Bereinigung der rationes anläßlich der stipendium-Auszahlung ausgestellt wurde; sie sei wohl Teil der „pièces justificatives“ gewesen, die die curatores den Kassenführern hätten vorlegen müssen (H. Cuvigny,Un reçu de rations militaires contre paiement des publica, in: K. Lembke et al.,Tradition and Transformation: Egypt under Roman Rule. Proceedings of the International Conference, Hildesheim, Roemer- and Pelizaeus-Museum, 3–6 July 2008, Leiden/Boston 2010, 37–42).

[56] Stauner 2010, 60–62. Dass Auslagen im Vorfeld nicht immer festgelegt werden konnten, zeigt Rom.Mil.Rec. 98.2 = ChLA VI 315 Frag. a B = ChLA XLVIII 315 (ca. 208 n. Chr.): Truppenkommandeure sollten den parthischen Gesandten Goces gastfreundlich aufnehmen; die Kosten hierfür sollte der Prokurator an den Statthalter melden. Vermutlich schickten die einzelnen Truppenkommandanten eine Aufstellung über die Auslagen an den procurator, die dieser wiederum wohl in kompilierter Form dem Statthalter unterbreitete. Eine solche Zusammen­stellung könnte auch dazu gedient haben, die Ausgaben der einzelnen Truppen miteinander zu vergleichen, um zu prüfen, ob sie alle ungefähr gleich hoch waren. Auffälligen Abweichungen hätte man dann gezielt nachgehen können. Siehe auch Plut. qu. R. 43: Aufzeichnungen über die Auslagen für Gesandtschaften wurden im aerarium hinterlegt; Culham 1989, 115.

[57] Rathbone 1991, 331–387, hier 334. Zur Güterverwaltung des Aurelius Appianus s. a. Minaud 2005, 91–92; Aubert 2004, 142: „[…] la gestion de domaines agricoles génère une masse de comptes partiels ou complets, provisoires ou synthétiques, avec des niveaux de précisions très divers.“

[58] Rathbone 1991, 341 mit 432 Appendix 1, Text 1, Col. VI 108 u. ö.; vgl. ex priore ratione in den Soldlisten.

[59] Stauner 2004, 109; id. 2010, 75 Anm. 187.

[60] Rathbone 1991, 339, 353.

[61] Rathbone 1991, 402 mit Anm. 5.

[62] Dig. 2,13,9,2 (Paulus): […] nummularii sicut argentarii rationes conficiunt, quia et accipiunt pecuniam et erogant per partes, quarum probatio scriptura codicibusque eorum maxime continetur: et frequentissime ad fidem eorum decurritur. Zu conficere s. M. Coudry, Sénatus-consultes et Acta Senatus: rédaction, conservation et archivage des documents émanant du sénat, de l’époque de César à celle des Sévères , in: S. Demougin (Hrsg.), La mémoire perdue. A la recherche des archives oubliées, publiques et privées, de la Rome antique, Paris 1994, 65–102, hier 85; Meyer 2004, 43 mit Anm. 112; s. u. a. Anm. 84; zur fides s. a. Anm. 142.

[63] Maselli (1986, 105–107) nennt als Beispiele für scriptura Dokumente wie iussus und chirographa. Balbi De Caro (1989, 60–61) sieht in der scriptura ferner Briefe etwa zum Aus­tausch von Anweisungen und Ausführungsbestätigungen. In den codices sieht Maselli die tabulae aus Dig. 2,13,6,6. Bei den griechischen Privatbankiers des 4. Jhs. v. Chr. nimmt Bogaert (1968, 380) ein vergleichbares Zusammenspiel von „livre journal“ und „grand livre“ an; s. a. Thilos (1980, 290–295; 305–318; 322) Ausführungen zur Litteralobligation: Das Schuldner-iussum, mit dem der Gläubiger im Prozess beweisen konnte, dass die Auszahlung an den Schuldner erfolgt und damit die expensum-Eintragung in seinen tabulae berechtigt war, konnte als formloser Brief abgegeben werden. Neben den tabulae musste gegebenenfalls das Schuldner-iussum als substanziierendes Dokument vor Gericht vorgelegt werden, um die Rechtmäßigkeit des Kläger-Begehrens zu beweisen.

[64] Dig. 2,14,47,1 (Scaevola): Lucius Titius Gaium Seium mensularium, cum quo rationem implicitam habebat propter accepta et data, debitorem sibi constituit et ab eo epistulam accepit in haec verba: „ex ratione mensae, quam mecum habuisti, in hunc diem ex contractibus plurimis remanserunt apud me ad mensam meam trecenta octaginta sex et usurae, quae competierint. summam aureorum, quam apud me tacitam habes, refundam tibi.“ Andreau (1999, 44) gibt den Ausdruck ratio implicita propter accepta et data mit „a complex account including both deposits and payments“ wieder. Diese Übersetzung ist nicht richtig: Es handelt sich nicht um einen complex account, der zusätzlich deposits and payments beinhaltete, sondern der wegen (propter – because of) diverser Ein- und Auszahlungen komplex war.

[65] Zum Zusammenhang zwischen Einzelaufzeichnungen und λογισμός im griechischen Kontext s. Anm. 186.

[66] Plaut. Capt. 192–193: Ibo intro atque intus subducam ratiunculam, / quantillum argenti mi apud trapezitam siet; Dig. 16,3,28 (Scaevola); Dig. 33,9,3,10 (Ulpian).

[67] Plaut. Aul. 527: itur, putatur ratio cum argentario.

[68] Bürge 1987, 515; Andreau 1999, 45.

[69] Veg. mil. 2,20,7 (s. Anm. 148).

[70] N. E. Priest, A Loan of Money with Some Notes on the Ala Mauretana, ZPE 51 (1983) 65–70, hier 69. J. P. Roth (The Logistics of the Roman Army at War (264 B.C. – A.D. 235), Leiden et al. 1999, 275) nennt ihn „unit banker“ und M. A. Speidel (Heer und Herrschaft im Römischen Reich der Hohen Kaiserzeit, Stuttgart 2009, 355) „the unit’s treasurer“.

[71] P.Masada 722 dürfte eine solche Auskunft aus dem militärischen Kassenwesen sein; s. u. Anm. 168.

[72] Vgl. Thilos (1980, 320) Zusammenfassung zum Aufbau des in republikanischer Zeit geführten codex accepti et expensi: Diesen hat der pater familias „aus den einzelnen unzusam­menhängenden rationes der Sklaven und Prokuratoren“ sowie aus den eigenen Notizen (adversaria) als eine Gesamtvermögensübersicht wohl monatlich erstellt; darin waren „in chronologischer Reihenfolge Einnahmen, Ausgaben, Forderungen und Schulden“ aufgeführt. Das Dokumentations­verfahren mit einem primären Schriftstück und substanziierenden sekundären Schriftstücken ist im Prinzip dasselbe.

[73] Ulpians Aussage zu den argentarii ist zudem vor dem Hintergrund der unmittelbar vor­ausgehenden Ausführungen zur allgemeinen Editionspflicht zu lesen (s. Bürge 1987, 511). Er weist dort darauf hin, dass zwar die Mitteilung der Klage ohne Datumsangabe (Tag und Konsul), Einträge in den Geschäftsunterlagen (rationes) hingegen mit einer solchen Angabe eingereicht werden müssen. In ersterem Fall sei dies notwendig, um betrügerische Rück­datierungen zu verhindern (s. Bürge 1995, 25), in letzterem, weil anders Kassenein- und
-ausgänge nicht nachweisbar seien (Dig. 2,13,1,2).

[74] Siehe ChLA XI 504 in Anm. 30; Petrucci in Anm. 24.

[75] Rathbone/Temin (2008, 382) zufolge gingen die Juristen zwar von „structured chronologi­cal accounts“ aus, sie fügen jedoch hinzu: „individual formats must have varied considerably.“

[76] Siehe Anm. 166.

[77] Andreau 1994, 6; ebenso in id. 1999, 45.

[78] Meyer 2004, 22: „The material (or medium) could eventually shift from being wood and wax, or bronze, to parchment or papyrus, but even so these documents would continue to be called tabulae, and when necessary folded, bound with string, and sealed.“

[79] Dig. 2,13,10,2 (s. Anm. 21). Iust. ed. 7,2: Argentarii erstellten Dokumente in Form von πιττάκια bzw. λογοθέσια (tabulae bzw. ratiocinia), möglicherweise auf verschiedenen Schriftträgern.

[80] Balbi de Caro (1989, 59–60) sieht die Gaius-Stelle als Indiz für eine mögliche, allmähliche Ablösung der Holztafeln durch Pergament. Darstellungen antiker Bankiers mit Papyrusrolle: Balbi de Caro 1989, 34 Abb. 19; CIL XIII 8104 (s. Anm. 218); M. Rostovtzeff, The Social and Economic History of the Roman Empire I–II, Oxford 1957, 240 Taf. XLIII 1: Relief eines Bankiers/Geschäftsmanns, der, an einem Tisch sitzend, mit Hilfe eines Wachs­täfelchens vor ihm liegende Münzen zählt, während ein daneben stehender Gehilfe aus einer Papyrusrolle liest. — Mit Verweis auf dieses Relief vermutet Bogaert (1968, 382 Anm. 458), die römischen Bankiers, v. a. in Ägypten, hätten sowohl Holztafeln als auch Papyrus­rollen verwendet; allerdings fügt er an, römische Bankiers seien den Wachstafeln treu geblieben und begründet dies wie folgt (ibid. Anm. 457): „Il était facile d’effacer un texte écrit sur papyrus sans laisser de traces, mais presque impossible d’obtenir le même résultat avec un texte écrit sur une tablette“. Dass Texte auf Papyrus leichter zu löschen gewesen sein sollen als auf Wachstafeln, ist nicht überzeugend; s. Martial (14,7), der die Löschbarkeit von Texten auf Pergament (membrana) mit jener von Texten auf Wachstafeln vergleicht; Thomas 1992, 167: „waxed tablets […] were very easy to tamper with“; Meyer 2004, 2, 23: „erasability of wax“; Beispiel für gereinigtes Papyrusblatt mit Resten von Tinte: P.Mich. inv. 4388 recto; nach W. G. Claytor (The Threshold Papyri from Karanis, in: T. G. Wilfong [Hrsg.],Karanis Revealed. Discovering the Past and Present of a Michigan Excavation in Egypt, Ann Arbor 2014, 161–164) sollte der Papyrus wohl im grapheion von Karanis wiederverwendet werden. Ein pompejanisches Fresko zeigt zudem ein Münzsäckchen zwischen zwei Münzhaufen auf einer Ablage und darunter verschiedene Schreibinstrumente mit Papyrusrolle und Wachstafeln (s. „House of Julia Felix“ auf Wikimedia Commons [12.5.2014]). Der Umgang mit Geld wurde aufs Engste mit diversen Schreibutensilien assoziiert. Siehe PHerc. MAN A 2 mit Resten einer Buchführung oder Abrechnung (G. Camodeca, G. Del Mastro, I papiri documentari ercolanesi [PHerc. MAN]: Relazione preliminare, Cronache ercolane 32 [2002] 281–296, hier 285; s. a. Gröschler 1997, 72–73 Anm. 18; Meyer 2004, 137 mit Anm. 37). Dieser und weitere Papyri waren mit Wachstafeln in einem armarium aufbewahrt worden. Camodeca, Del Mastro (ibid. 286) vermuten, dass Papyri und Wachstafeln in unterschiedlicher Funktion in der Buchführung bzw. im täglichen Geschäftsleben verwendet wurden; ebenso Camodeca 2011, 197. G. Pugliese Carratelli (L’instrumentum scriptorium nei monumenti pompeiani ed ercolanesi, in: Pom­peiana. Raccolta di studi per il secondo centenario degli scavi di Pompei, Neapel 1950, 266–278, hier 275) nimmt an, dass für Kontobücher, Register und Texte, die zu lang waren, um in einem Polyptychon untergebracht werden zu können, auch ganze Papyrusrollen verwendet wurden. Tabulae waren nicht zwingend hölzerne Wachstafeln, sondern konnten auch aus Papyrus oder Pergament gefertigt sein, s. a. ChLA V 278 [110 n. Chr.]: ein als exemplum tabulae bezeichneter Papyrus; Meyer 2004, 22. Chartae/χάρται zur Aufzeichnung von Schulden in einem spätrömischen Kontext: Coripp. Iust. 2,363 mit Komm. S. 176.

[81] Siehe Maselli in Anm. 24.

[82] Rathbone/Temin 2008, 401–402; zu den „interlocking records“ zählen sie u. a. ein kalendarium der Kredite, ein Verzeichnis der vadimonia, eine Bestandsübersicht eingegangener und ausgegebener Münzen. Resümierend stellen sie fest: „Accounting systems of this broad type are known elsewhere in the Roman world, in the army and on large estates in third-century Egypt“. Siehe auch die chronologische Anlage von auf Tagesbasis vorgenommenen Ein- und Auszahlungen in den unlängst publizierten ptolemaischen Bankpapyri (40er/30er Jahre 2. Jh. v. Chr.; P.Herakl.Bank, S. 43). Auch hier wird zusätzlich zu den Tagesaufzeichnungen von kundenspezifischen „Personalfolien“ ausgegangen, die die Grundlage der auf Kundenwunsch hin erstellten Abrechnung (λόγος) bildeten.

[83] Hierauf hat Andreau (1994, 1) selbst kurz hingewiesen.

[84] Diese Kenntnisse waren zweifelsohne im Heer vorhanden. Zur Herstellung der „Tintentäfelchen“ aus Vindolanda vermutet A. K. Bowman ( Life and Letters on the Roman Frontier, London 1994, 15), dass sie überall dort kostengünstig und unproblematisch war, wo Militärtechnik zur Verfügung stand. Siehe auch den Dienst in ChLA I 7, II = Rom.Mil.Rec. 10 = ChLA XLVIII 7, S. 7, Z. 18 (Flavisch): exit ad chartam comfịcị[endam] (!), der bislang überwiegend als eine Abkommandierung zur Papyrusherstellung interpretiert wurde. Jüngst haben K. Sänger-Böhm und P. Sänger (Ad chartam comficiendam. Zu diesem und anderen Sonderdiensten römischer Soldaten in Rom.Mil.Rec. 10, CdÉ 86 [2012] 268–280), dieser Lesung widersprechend, eine alternative Interpretation vorgeschlagen. Ihnen zufolge war der Soldat dazu abkommandiert, „Beschreibmaterial respektive Papyrusblätter zu organisieren“ (ibid. 272). Sie meinen damit in offiziellem Auftrag beschaffen (und nicht, wie das Duden Universalwörterbuch [72011, 1293 s. v. organisieren 3] das Verb in dieser umgangs­sprachlichen Gebrauchsweise definiert, „[auf nicht ganz korrekte Art] beschaffen“). Sie schlagen vor, diesen Dienst in Analogie zu den ebenfalls in Rom.Mil.Rec. 10 erwähnten Diensten exit ad frumentum Neapoli und exit ad frumentum Mercuri zu lesen, die sie als eine „Beschaffung eines Produktes“ (ibid. 272) verstehen. Wenn eine reine Papyrus-Beschaf­fungs­maßnahme gemeint war, so stellt sich allerdings die Frage, warum dieser Dienst dann — in Analogie zu den genannten frumentum-Diensten — nicht auch nur mit „ad chartam“ be­zeichnet wurde. Was im Kontext des militärischen Verwaltungsjargons an lapidarer Klarheit (i.S.v. Abkommandierung zu einer Beschaffungsmaßnahme) für ad frumentum galt, wäre dann wohl ebenso für den charta-Dienst zu erwarten gewesen. Die Tatsache, dass das präzisierende Gerundiv hinzugesetzt wurde, lässt vermuten, dass hier mehr gemeint ist als die bloße Be­schaffung, für die man, wenn das Element der „Beschaffung“ (bzw. des Aufkaufs) hätte eigens hervorgehoben werden sollen, vielleicht eher ad chartam comparandam erwartet hätte (s. a. Rom.Mil.Rec. 47, Col. II 4: missi ad hordeum comparandum; Plin. epist. 10,27: ad frumentum comparandum). Was konkret bei diesem Dienst gemacht wurde, ist nicht zu erkennen. Möglicherweise beaufsichtigte der Soldat die Papyrusproduktion oder überprüfte die Quantität bzw. Qualität des Papyrus, den die eigentlichen Produzenten vielleicht nach (speziellen) Vor­gaben des Heeres herstellten (s. a. Isid. orig. 6,10,4: Die fünfte der sechs von Isidor aufge­zählten Papyrussorten wurde zuerst von dem praefectus Aegypti Cornelius Gallus hergestellt und nach ihm benannt [Corneliana]; da es also verschiedene Sorten gab, liegt der Gedanke nahe, dass es eine für das Heer festlegte oder bevorzugte Sorte gab, deren Qualität vermutlich kontrolliert wurde). Auch ein solcher Dienst ist letztlich eine Beschaffungs­maßnahme und widerspricht nicht der Sänger’schen Schlussbemerkung, dass die genannten „Außenmissionen in den Kontext des Versorgungswesens der frühkaiserzeitlichen Armee gehören“ (ibid. 280).

[85] Woolf 2009, 56. Er spricht wiederholt davon, dass die römischen Aufzeichungs­praktiken „were joined up“ (ibid. 61). Rathbone/Temin (2008, 393–394; s. a. 416) gehen davon aus, dass professionelle Bankiers und ähnliche Finanzdienstleister „used common business and accounting techniques and jargon, in which young boys were trained, although these were used in private accounting too“ – und nicht nur dort, wie das Beispiel des römischen Heeres zeigt. Gemeinsame Dokumentationsprinzipien in öffentlichen und privaten Buch­haltungsunterlagen vermutet auch Minaud (2005, 58). Zum Jargon: Maselli 1986; Nadjo 1989; zur Ausbildung: Hor. ars 325–329; Petron. 58,7.

[86] Woolf 2009, 57.

[87] Etwa HS für Sesterzen (z. B. TPN 56, 58, 59; Rom.Mil.Rec., S. 551 s. v. sestertius); x für denarius (z. B. IDR I, S. 270 s. v. denari; Rom.Mil.Rec., S. 538–539 s. v. denarius, symbol; ChLA X 446 m. Abb.); ∞ für Tausend (z. B. TPN, S. 215–216; s. a. Militärdiplome [RMD], z. B. RMD I 21); Sigle für drachma (z. B. P.Herakl.Bank, S. 335 s. v. (δραχμή); Rom.Mil.Rec., S. 525 s. v. δραχμή; O.Berenike II, S. 116, 6 Measures and money).

[88] K oder Kal(endae) mit (abgekürztem) Monatsnamen, z. B. TPN, S. 184, 206; Rom.Mil.Rec., S. 519 s. v. Kalendae; zahlreiche Beispiele in RMD, z. B. RMD I 17.

[89] Etwa q(ui) s(upra) s(cript-) s(unt): TPN, S. 200 Index Nr. 11; Rom.Mil.Rec., S. 552 s. v. s(upra)s(cript-); FIRA III 89 (160 n. Chr.): fidepromissio für einen Legionär, mit Mehr­fachverweisen; CIL III, S. 930–932 = IDR I 33 (162 n. Chr.): Darlehensvereinbarung; FIRA III 157 (167 n. Chr.): Geldverleihergesellschaft; RIB II.4, 2443.23 (spätes 2./3. Jh. n. Chr.): ver­tragliche Vereinbarung; ChLA X 445 (Mitte 3. Jh. n. Chr.): militärisches Dokument mit Mehr­fachverweisen; s. a. Anm. 96. Die Abkürzung begegnet auch in Inschriften, z. B. CIL III 3538; s. a. quod (quae) infra scriptum (-a) est (sunt): TPN 23, 72, 76, 96; ChLA III 219 = Rom.Mil.Rec. 63 = ChLA XLVIII 219, Col. I 21 mit Komm. in Rom.Mil.Rec. (ca. 100–105
n. Chr.); P.Mich. VII 438 (s. Anm. 47): i(nfra) s(cripti); AE 1921, 38; Rom.Mil.Rec. 99, 2 (Frag. b), Z. 4 (208 n. Chr.); CIL VI 220 (203 n. Chr.): Soldatenliste; ChLA XLV 1320 (ca. 399? n. Chr.): militärisches Empfangsberechtigungsschreiben; sub scripta: s. RMD; ex priore ratione: ChLA X 410, 6866 A, Col. I 27; II 25; 6866 B Frag. A, Col. I 9 (193–196 n. Chr.); Dig. 2,14,47,1: ex ratione mensae (s. Anm. 64); s. a. Anm. 32.

[90] Etwa TPN, S. 172 s. v. accipio; Andreau 1974, 312–338 (Quittungen des Caecilius Iucundus); Rom.Mil.Rec., S. 532 s. v. accepisse; P.Mich. VII 438; P.Cairo J 72083 (s. Anm. 47); weitere Belege bei Meyer 2004, 149 mit Anm. 66–67; Camodeca 2012 (s. Anm. 105); zur formularischen Wendung: N. J. Adams, Bilingualism and the Latin Language, Cambridge 2003, 54–55, 609–610.

[91] TPN 12 (38–44 n. Chr.). Auch in anderen Vereinbarungen zu Finanzgeschäften, die Soldaten über Bankiers abwickelten, sind die Militärangehörigen mit ihrer turma bzw. centuria angegeben (s. Anm. 211). Die Bezeichnungen finden sich ausgeschrieben oder abgekürzt auch auf Ostraka aus (semi)offiziellen und privaten Kontexten: O.Berenike II, S. 116, 4 Official and Military; O.Claud. I–II, s. jeweils Index V; O.Did., S. 445.

[92] Rom.Mil.Rec. 63 (s. Anm. 89); BGU II 969 = Rom.Mil.Rec. 64 = ChLA X 411 (156 n. Chr.).

[93] Stauner 2004, 109. Ein weiteres Strukturierungselement ist der Wechsel zwischen ver­schiedenen Schriftarten, z. B. in ChLA X 410, 6866 A, Col. II: Konsulangaben und Name des jeweiligen Soldaten in Capitalis, die rationes-Einträge hingegen in Kursive; s. a. T.Vindol. II 186 (ca. 105–122 n. Chr.).

[94] TPN 96–97 (3. Juni/9. Juli 42 n. Chr.). Camodeca (TPSulp., S. 205) und Wolf (TPN,
S. 137) sehen darin Fragmente eines codex rationum. Contra: Andreau 1999, 77. Tabulae größe­ren Formats finden sich auch im Archiv des L. Caecilius Iucundus (Camodeca 2011, 190).

[95] Juni-Eintrag: Amarantus Ti. Claudi Caesaris Augusti Ger(m)anici ser(vus) Hya­cinthianus; Juli-Eintrag: Amaranthus.

[96] P.Oxy. LV 3785 = ChLA XLVII 1425 (ca. 250 n. Chr.): Für das Jahr 240 sind in Col. I 2 und 9 beide Konsuln angegeben ( Sabi]no II et Venusto co(n)s(ulibus)), in Col. II 18 hingegen nur Venustus; in Col. II 20 und 22 wird auf die vorausgehende Konsulangabe mit isdem co(n)s(ulibus) referenziert. Rom.Mil.Rec. 64, Col. I 37 u. ö.: eodem cos.; Rom.Mil.Rec. 10, Z. 6 u. ö. (s. Anm. 84): anno eodem; RMD I 3, extr. tabella I 12–13: ex iisdem alis et cohortibus u. ö. in RMD; O.Did. 49 (entsorgt 88–96 n. Chr.): bilingualer Passierschein, dessen lateinischer Text mit s(upra) s(criptos) auf den griechischen referenziert. Die verkürzenden Angaben sind mit Schreibökonomie erklärbar und tun der Verständlichkeit der Informationen keinen Abbruch.

[97] Etwa TPN 43, 56, 59 (alle zw. 29 u. 39 n. Chr.); Reg.-Nr. P99.3A (138 n. Chr.; Bagnall et al., Family Papers from Second-Century A.D. Kells, CdÉ 86 [2011] 240–245): Darlehens­vereinbarung. Siehe auch die Quantitätsangaben über Ausgabe bzw. Empfang von Naturalien: eine Mengenangabe in Worten wird sogleich als Zahl wiederholt, in der Regel eingeleitet durch f(iunt) bzw. γίνεται. Diese Doppelangaben dienten wohl der Vermeidung von Missver­ständnissen bzw. als Verfälschungsschutz (R. S. Bagnall, R. Bogaert, Orders for Payment from a Banker’s Archive: Papyri in the Collection of Florida State University, AncSoc 5 [1975] 79–108, hier 95) und finden sich seit dem 3. Jh. v. Chr. in übergreifender Anwendung, sowohl in zivilen als auch militärischen Kontexten, z. B. in: P.Oxy. XXXVI 2772 (10/11 n. Chr.?); P.Mich. IX 571, Z. 23–24 (96 n. Chr.); P.Col. VIII 221 (143 n. Chr.); Rom.Mil.Rec. 78 Nr. 32 (177 oder 209 n. Chr.); 79 (2. Hälfte 2. Jh. n. Chr.); O.Did. 62 (195, 220, 224 oder 237 n. Chr.); O.BuNjem, S. 268 s. v. fiunt (Stauner 2004, 47–51); SB XX 14462 (Mitte 3. Jh. n. Chr.); O.Eleph. 315–316 (4. Jh. n. Chr.) u. ö.; R. S. Bagnall, G. R. Ruffini (Hrsg.), Amheida I. Ostraka from Trimithis. 1: Texts from the 2004–2007 Seasons, New York 2012, Nr. 329 (ca. 350–370 n. Chr.); zahlreiche Beispiele auch in den O.Douch-Bänden, s. jeweils Index Général s. v. γίγνεσθαι sowie in M. S. Funghi et al. (Hrsg.), Ostraca greci bilingui del Petrie Museum of Egyptian Archaeology (O.Petr.Mus.) I–III, Florenz 2012, III, S. 836–837 s. v. γίγνομαι; P.Horak 31–62 (7. Jh. n. Chr.). Abweichungen von dieser Konvention, z. B.: O.Berenike II 139 (66 n. Chr.): nur Gesamtbetrag angegeben; O.Berenike II 144 (ca. 50–75 n. Chr.): Angabe statt in Wort und Zahl zweimal als Zahl; O.Berenike II 156 (ca. 50–75 n. Chr.): Gesamtangabe ist eine Addition zweier Einzelangaben, ebenso in T.Vindol. III 596 (ca. 98–105? n. Chr.; für weitere Beispiele s. T.Vindol. II, S. 400 s. v. fio) und P.Abinn. 43, 73, 79 (alle ca. Mitte 4. Jh. n. Chr.). SPP III 2 145 + CPR XXIV 19 (ca. 546 n. Chr. [s. B. Palme, Flavius Menodorus, Offizier der Leontoclibanarii, in: R. Eberhard et al., … vor dem Papyrus sind alle gleich!, Berlin 2009, 154–162, hier 158–162]): Schuldschein, adressiert an Menodorus, ex primiceriis der Eliteeinheit der Leontoclibanarii, mit dem Schuldbetrag in Wort und Zahl, jedoch ohne das übliche γίνεται.

[98] O.Berenike I, S. 4 und 12; s. a. die zahlreichen Abkürzungen in Gruppe D der Ostraka aus Berenike u. O.Berenike I, S. 6: „The syntax of this group has been difficult to discern because of the extensive abbreviation used by the writer.“

[99] Siehe auch die Anmerkungen zum laxen Kasusgebrauch in den Bankpapyri P.Herakl.Bank, S. 39: Aufgrund der ordinativ differenzierten Disposition der Angaben zu den Ein- und Auszahlungen in den Bankunterlagen bestand „keine Notwendigkeit, den Kasus­gebrauch strikt einheitlich zu gestalten“. – Auch dies ist wiederum ein Hinweis darauf, dass moderne Vorstellungen absoluter Uniformität anachronistisch sind. Wichtig scheint eine prag­matische Eindeutigkeit der Angaben gewesen zu sein; s. a. die Zeitangabe consules futuros in O.BuNjem 76, Z. 8; 77, Z. 6; 78, Z. 6–7; 79, Z. 6 (co(n)s(ulibus) futuris); 80, Z. 8? (alle 259 n. Chr.); hierzu Stauner 2004, 49–50.

[100] Prüf-, Kontroll- bzw. Bearbeitungsstriche zu einzelnen Listeneinträgen: P.Herakl.Bank, passim (2. Jh. v. Chr.); P.Fay 153 (1. Jh. n. Chr.) mit Preisigke (s. Anm. 51) 102; T.Vindol. II 184 (ca. 122–140/145? n. Chr.): Liste (eines Händlers?) mit Soldatennamen, Produkten und Geldbeträgen; P.Masada 723 = ChLA XLVI 1366 (73/74 n. Chr.): Lazarett­dokument; O.Claud. I 83 (ca. 100–120? n. Chr.): Krankenliste; O.Did. 84 (entsorgt 230–240 n. Chr.): „compte de caravane“; ChLA XI 482 (2. Hälfte 3. Jh. n. Chr.): Soldatenliste; O.Douch II 113; IV 457 u. ö. (4./Anfang 5. Jh. n. Chr.): Aufstellung über Verteilung von Weizen bzw. Fleisch); P.Iand. III 39 (5./6. Jh. n. Chr.): „inventarium horrei et ratio acceptorum“; SB XVIII 13752–13759 (Anfang 7. Jh. n. Chr.): Getreidebuchhaltung mit Kontrollzeichen über mehrere Zeilen hinweg. Mittels Durchstreichungen entwertet (Dig. 2,14,47,1: pro cancellato habebitur): SB XX 14394 (23 n. Chr.): Darlehen durch Bankdiagraphe; T.Vindon. 3 (90 n. Chr.): Dar­lehensvereinbarung zwischen Soldaten, mit schrägen Kratzern durchzogen; P.Mich. IX 571
(s. Anm. 97): Verwahrungsvertrag zwischen Soldaten; T.Vindol. III 586 (s. Anm. 50); II 182 (ca. 105–122 n. Chr.): Listen mit Soldatennamen und verschiedenen Produkten; erstere auch mit Geldbeträgen; SB XVIII 13221 (frühes 2. Jh. n. Chr.): Abrechnung einer Bankanweisung; Reg.-Nr. P99.3A (s. Anm. 97); P.Col. X 259 (146 n. Chr.): Darlehensvergabe über Bank; P.Abinn. 68 verso (Mitte 4. Jh. n. Chr.): λόγος (ratio) eines Sackmachers; P.Ness. III 26 (570 n. Chr.): Kreditvereinbarung zwischen römischen Offizieren; zu dieser Form der Entwertung, u. a. von Darlehensvereinbarungen, in einem altbabylonischen Kontext s. Jacquet 2013, 72. Ein Analogon zu diesen Durchstreichungen ist das Überschreiben des Textes mit den drei großen Buchstaben SOL (solutum), die offenbar bedeuten, dass das Geld zurückgezahlt wurde: TPN 39, 49, 50, 51, 60 (alle zw. 42 u. 51 n. Chr.). T.Vindol. II 206 (ca. 98–105 n. Chr.): „account of repayments of interest on a loan“; an dessen Ende steht am Rand in Kapitalschrift: FENI SOLVIT (denarios) / [R]E[LI]CVM DEBET; eine Schuld war also teilweise beglichen worden; P.Qasr Ibrîm (s. Anm. 31) 38: ]SOLV [. Zu Streichungen s. H. Kühnert, Zum Kreditgeschäft in den hellenistischen Papyri Ägyptens bis Diokletian, Diss. Freiburg 1965, 106; H.-A. Rupprecht, Studien zur Quittung im Recht der graeco-ägyptischen Papyri, München 171, 79–80 mit weiteren Beispielen in Anm. 25; Sinn und Zweck der Durchstreichung war, so Rupprecht, die „Unbrauchbarmachung der Urkunde“; sie ist allerdings nur „ein Indiz für die Wirkungslosigkeit der Urkunde, nicht ihre Voraussetzung“ (ibid. 80).

[101] Woolf 2009, 51. Thilo (1980, 187) ist mit Blick auf die Einführung einer Buchführung der Ansicht, dass „jedenfalls diejenigen, die politisch und wirtschaftlich eine führende Position innehatten, auch des Lesens und Schreibens kundig waren“. Hinsichtlich der Verbreitung des geschriebenen Wortes spricht Aubert (2004, 145) u. a. von der Neigung zur Nachahmung („la propension à l’imitation“), v. a. aristokratischer Praktiken, da deren Übernahme Prestige ver­liehen habe.

[102] Cato agr. 2,5; Plaut. Aul. 527 (s. Anm. 67); Trin. 417; TPN 59, Z. 7 (39 n. Chr.). Buch­halterische Fragestellungen, wie sie Cato anführt, finden sich auch bei Seneca, epist. 1,2,6: Quid enim refert, quantum illi in arca, quantum in horreis iaceat, quantum pascat aut feneret, si alieno imminet, si non adquisita sed adquirenda computat?; 10,81,10: sapiens omnia examinabit secum: quantum acceperit, a quo, <quare>, quando, ubi, quemadmodum; dieselben Fragen implizit vorhanden auch in: Gai. inst. 2,196; 2,260; 3,90; 4,48; 4,66; Iust. inst. 3,14 pr.; Aug. civ. 11,30: omnia in mensura, et numero et pondere deposuisti; Dig. 49,16,14 (Paulus; hierzu Stauner 2010, 72–74 mit Anm. 185); 49,16,15 (Papinian); Minaud 2005, 58, 73. Zum Schriftgebrauch bei der Verwaltung eines landwirtschaftlichen Betriebs s. a. J.-J. Aubert, Business Managers in Ancient Rome. A Social and Economic Study of Institores, 200 B.C. – A.D. 250, Leiden et al. 1994, 170–171; id. 2004, v. a. 129–132.

[103] Plaut. Trin. 418: argenti ratio. In diese ratio floss zweifelsohne auch der Geldverleih als eine der Tätigkeiten des pater familias mit ein (Cato agr. pr. 1; Sen. epist. 4,41,7: multum fenerat) sowie wohl auch Einnahmen aus Versteigerungen; Cato agr. 159,2.

[104] T.Vindol. III 586 (s. Anm. 50): Listen über Ausgabe bzw. Eingang von halica und siligo.

[105] Ein Triptychon aus dem bislang umfangreichsten in Herculaneum gefundenen Archiv, das wohl L. Cominius Primus gehörte, einem Mann libertiner Herkunft mit landwirtschaftlich genutztem Güterbesitz, enthält laut Camodeca (2011, 198–199) einen Brief, der anscheinend von landwirtschaftlichen Arbeiten handelt, u. a. von Weinproduktion und diversen Zahlungen. Siehe auch die Neuedition der Tabulae Herculanenses: G. Camodeca, Riedizione delle Tabulae Herculanenses: gli affari fondiari di L. Cominius Primus con P. Comicius Severus, Oebalus 7 (2012) 113–141.

[106] Siehe auch die verschiedenen rationes bzw. λόγοι im Archiv des Abinnaeus: P.Abinn. 69 verso, Z. 88; 78, Col. II 13: (λόγος) κριθῆς; P.Abinn. 70; 78, Col. I 1: λόγος […] σίτου; P.Abinn. 80 recto, Z. 9–11: gesamtheitlicher λόγος über die Lieferung von Weizen, Gerste und Linsen; P.Abinn. 81: Aufstellung über verschiedene Bekleidungsgegenstände; s. a. ratio vestis in T.Vindol. III 608 (ca. 98–122 n. Chr.); P.Abinn. 71: βρέουιον κτην[ῶ]ν; P.Abinn. 72: βρέουιον ὕδατος; u. a.

[107] Die Ausgaben könnten dokumentiert worden sein wie z. B. in der ratio (denariorum) X (T.Vindol. III 582 [ca. 98–105 n. Chr.]), mit detaillierten Angaben über die Verwendung von zehn Denaren zum Einkauf von Geflügel. Struktur und Terminologie (ex eis, reliqui, summa) erinnern an den Stärkebericht T.Vindol. II 154 (s. Anm. 37); zu summa vgl. CIL III 6627, Tabula posterior, Z. 3–6: nach der namentlichen Auflistung dreier Zenturionen wird eine summa (centurionum) angegeben; zu in usus (T.Vindol. III 582, Col. II 1) s. O.BuNjem 75 (254 n. Chr.) und 81 (259 n. Chr.): ad usus militum; SB X 10551 (2. Jh. n. Chr.): λόγος δραχ(μῶν) über Zahlungen an verschiedene Personen. Dokumentation von Einnahmen auf Tagesbasis: T.Vindol. II 178, Z. 1 (ca. 98–105 n. Chr.): reditus castelli.

[108] Cato agr. 2,6: […] uti imperet et ea scripta relinquat. Varro fordert sogar, dass die Arbeitsanweisungen schriftlich erteilt und ausgehängt werden (rust. 1,36: scripta et proposita habere in villa oportet). Siehe auch Harris 1989, 162–163; T.Vindol. III 628 (ca. 98–105 n. Chr.): Der decurio Masclus bittet seinen Vorgesetzten um Anweisungen, die, wie die Bitte um Instruktionen selbst, vermutlich auch schriftlich erteilt wurden. Aufforderung zur schriftlichen Mitteilung von Informationen: T.Vindol. III 645 (ca. 98–105 n. Chr.); T.Vindol. II 343 (ca. 105–122 n. Chr.).

[109] Cato agr. 7,3: rationem cum domino crebro putet. Apul. apol. 87: Überprüfung von Auf­zeichnungen der Gutsverwalter, Schafhirten und Reitknechte durch eine Hausherrin (eam rationibus villiconum et upilionum et equisonum sollertissime subscripsisse); Carlsen 2013, 159.

[110] Varro rust. 2,10,10: magistrum scripta habere oportet. is enim sine litteris idoneus non est, quod rationes dominicas pecuarias conficere nequiquam recte potest. Zu conficere s. Anm. 62. Zum magister pecoris s. Carlsen 2013, 153–165, zu seinen schreibtechnischen Fähigkeiten 161.

[111] Varro rust. 2,1,23: item ad alios morbos aliae causae et alia signa, in omni pecore quae scripta habere oportet magistrum pecoris; 2,2,20: de sanitate sunt multa; sed ea, ut dixi, in libro scripta magister pecoris habet, et quae opus ad medendum, portat secum; s. a. 2,3,8; 2,7,16; 2,5,18: der Rinderhirte solle die Regeln Magos zur Rinderpflege häufig lesen. Zu Mago s. a. Anm. 136.

[112] T.Vindol. II 154 (s. Anm. 37); P.Masada 723 = ChLA XLVI 1366 (73/74 n. Chr.); Stauner 2010, 38–42.

[113] Varro. rust. 1,22,6: oportet habere scriptam in urbe et rure dominum, vilicum contra ea ruri omnia certo suo quoque loco ad villam {es} seposita. Siehe auch die Inventarlisten aus Vindolanda: T.Vindol. II 194, 196 (beide ca. 98–105 n. Chr.). I.Nikaia (= IK 9) Nr. 192 (= R. Merkelbach, J. Stauber, Steinepigramme aus dem griechischen Osten II, Stuttgart 2001, S. 167 Nr. 09/05/13 Nikaia): Im kaiserzeitlichen Bithynien errichtete der Gutsbesitzer Chrestos seinem verstorbenen, treuen Verwalter Italos (οἰκονόμον πιστόν) ein Grabmal. Nach Merkelbach, Stauber bezieht sich πιστόν „vor allem darauf, dass Italos in Hinsicht auf Geld zuverlässig war“ (ibid.).

[114] Cato agr. 7,1.

[115] Varro rust. 1,5,1; s. a. 2 praef. 5. Die Nützlichkeit von Aufzeichnungen in Geldge­schäften, der Haushaltsführung und der Wissenschaft hatte bereits Aristoteles herausgestellt (Pol. 1338a 15–17).

[116] Siehe Thilo 1980, 187–188.

[117] Dig. 50,15,4 (Ulpian): Anzugeben war u. a., wo genau sich das Landgut befindet und welches die zwei unmittelbaren Nachbarn sind (et in qua civitate et in quo pago sit: et quos duos vicinos proximos habeat), wie viele iugera über die nächsten zehn Jahre bestellt werden, wie viele Weinstöcke die Weingärten umfassen (vinea quot vites habeat), wie viele iugera mit Olivenbäumen bepflanzt sind, wie viele mit Bäumen (olivae quot iugerum et quot arbores habeant); es folgen zahlreiche weitere Detailfragen, etwa nach einer Differenzierung bei den Sklaven bzgl. Herkunft, Alter, Funktion und Fertigkeiten (nationes eorum et aetates et officia et artificia specialiter deferantur). Die von Cato angeführten rationes dürften nicht zuletzt auf diese Art von Zensus-Fragen abgestellt gewesen sein; s. a. Dig. 42,5,15; Cic. Cluent. 82; Minaud 2005, 110–113. D. Rathbone ( The Ancient Economy and Graeco-Roman Egypt, in:
W. Scheidel, S. von Reden [Hrsg.], The Ancient Economy, Edinburgh 2002, 155–169, hier 167) spricht mit Blick auf die römischen Traktate zum Landbau davon, dass diese der Buchhaltung (keeping of accounts) wenige beiläufige Bemerkungen, aber keine Diskussion widmen. Jedoch stehen bei Cato die Dokumentationsaufgaben gleich zu Beginn seines Werkes, noch vor allen konkreten Arbeiten. Man kann also schwerlich davon sprechen, dass er ihnen nur geringe Bedeutung beimisst, und auch Varro kommt wiederholt auf die Bedeutung von Auf­zeich­nungen zu sprechen. Auf die Feststellung, dass die Autoren das Thema Buchhaltung nicht eigens diskutieren, lässt sich mit der Frage erwidern, warum sie dies hätten tun sollen. Die Adressaten dieser Werke sind unter den Angehörigen der Oberschicht zu suchen (s. N. Brock­meyer, Die Villa Rustica als Wirtschaftsform und die Ideologisierung der Landwirtschaft, AncSoc 6 [1975] 213–228, hier 214–215), und diese wussten um buchhalterische Auf­zeichnungstechniken (s. Anm. 101). Eine solche Diskussion wäre also für den antiken Leser überflüssig gewesen. Aus ihrem Fehlen darf keineswegs auf eine geringe Rolle der Buch­haltung geschlossen werden. Zur Vorlage summarischer Aufstellungen im Rahmen des Zensus s. a. E. Posner (Archives in the Ancient World, Cambridge, Mass. 1972, 165), der wohl zu Recht der Auffassung ist, dass „private archives-keeping preceded concern about the pre­servation of public records“.

[118] Siehe Thilo (1980, 319–320), der als einziges erkennbares Prinzip der römischen Buch­führung den ‚chronologischen, detaillierten Bericht und die Auflistung von Rechnungs­posten’ sieht, die als Gedächtnisstütze und Möglichkeit der Kontrolle derjenigen dienten, die mit der Vermögensverwaltung bzw. Geschäftsführung betraut waren. Thilo sieht dieses Prinzip in übergreifender Geltung, sowohl in der Buchführung von Privathaushalten als auch in der Staatsverwaltung, in großen Wirtschaftsunternehmen sowie in den societates publicanorum. Rathbone (1991, 371) zur Buchhaltung des umfänglichen „Appianus estate“: „Clearly one of the main functions of these records of produce was to provide a check against carelessness or dishonesty on the part of the phrontistai, a perfectly rational aim in itself.“

[119] Cic. leg. 3,18,41: quodque addit ‹causas populi teneto›, est senatori necessarium nosse rem publicam — idque late patet: quid habeat militum, quid valeat aerario, quos socios res publica habeat, quos amicos, quos stipendiarios, qua quisque sit lege, condicione, foedere —, tenere consuetudinem decernendi, nosse exempla maiorum. Videtis iam genus hoc omne scien­tiae, diligentiae, memoriae, sine quo paratus esse senator nullo pacto potest; s. a. Cic. de orat. 1,34,159: perdiscendum ius civile, cognoscendae leges, percipienda omnis antiquitas, senatoria consuetudo, disciplina rei p(ublicae), iura sociorum, foedera, pactiones, causa imperii cogno­scenda est; ibid. 1,201; 2,337. C. Moatti, Tradition et Raison chez Cicéron: l’émergence de la rationalité politique à la fin de la République romaine, MEFRA 100.1 (1988) 385–430, hier 425; Cl. Nicolet, Documents fiscaux et géographie dans la Rome ancienne, in: S. Demougin (Hrsg.), La mémoire perdue. A la recherche des archives oubliées, publiques et privées, de la Rome antique, Paris 1994, 149–172, hier 160, 171: Dokumente der publicani als Informationsquelle.

[120] Ps.-Sall. rep. 2,1,3: ut rem publicam domi militiaeque quantumque armis, viris, opulentia posset cognitum habuerim.

[121] Suet. Aug. 101,4: breviarium totius imperii, quantum militum sub signis ubique esset, quantum pecuniae in aerario et fiscis et vectigaliorum residuis; Tac. ann. 1,11,4: opes publicae continebantur, quantum civium sociorumque in armis, quot classes, regna, provinciae, tributa aut vectigalia, et necessitates ac largitiones. quae cuncta sua manu perscripserat Augustus; Cass. Dio 56,33,2; s. a. die Ansprache des Claudius im Senat, in der er als Zweck einer Steuer­schätzung angibt, ut publice notae sint facultates nostrae (CIL XIII 1668, Col. II 40).

[122] Zum vornehmlich fiskalischen Charakter administrativer Dokumente in der Staats­ver­waltung s. Nicolet (s. Anm. 119).

[123] Etwa Cic. Vatin. 34; Balb. 11; Verr. 1,119; Varro ling. 6,86; 6,88.

[124] Cic. Sull. 42: tabulas publicas ut illae tabulae privata tamen custodia more maiorum continerentur. Moatti (s. Anm. 119), 426; Culham 1989, 104–105; Meyer 2004, 22, 27, 28 mit Anm. 35, 29: „state and household, public and private, were not [….] considered distinct“; die mangelnde Differenzierung zwischen öffentlicher und privater Sphäre zeigt sich, so Meyer (ibid. 30), nicht zuletzt bei finanztechnischen Dokumenten (accounts). Siehe auch G. Cencetti, Gli archivi dell’antica Roma nell’età repubblicana, Archivi d’Italia 7 (1940) 7–47; P. Eich, Zur Metamorphose des politischen Systems in der römischen Kaiserzeit. Die Entstehung einer „personalen Bürokratie“ im langen dritten Jahrhundert , Berlin 2005, 61. Zu den in privater Verwahrung befindlichen Archivdokumenten ehemaliger städtischer Magistrate in der Kaiser­zeit s. I.Ephesos 15–16 (s. Anm. 165). Zur Problematik der Differenzierung zwischen privaten und öffentlichen Archiven s. M. Depauw,Reflections on Reconstructing Private and Official Archives, in: M. Faraguna: Archives and Archival Documents in Ancient Societies, Triest 2013, 259–266.

[125] Eich ([s. Anm. 124] 159–160) vermutet, dass es bereits in republikanischer Zeit in großen senatorischen Haushalten Sklaven bzw. Freigelassene mit der (für jene Zeit jedoch quellenmäßig nicht belegten) Bezeichnung a rationibus gab, die die Aufsicht über die Finanzen des pater familias führten. Ihre Existenz postuliert er mit gutem Grund auch für den Haushalt des ersten princeps, der für die Wahrnehmung fiskalischer Aufgaben in seinen Provinzen Prokuratorenstellen einrichtete und diese mit seinen Freigelassenen oder mit Männern aus dem Ritterstand besetzte. Sueton zufolge führte Augustus die Namen der Sklaven und Freige­lassenen auf, von denen man hinsichtlich seiner v. a. fiskalischen Angaben im bre­viarium totius imperii Rechenschaft fordern könne (Suet. Aug. 101,4: ratio exigi). In diesen Bediensteten sieht Eich die „Keimzelle des officium a rationibus“ (ibid. 160). In den Quellen erscheint die Funktion des a rationibus erst unter Augustus’ Nachfolger Tiberius (CIL VI 8409c). Die frühen Prinzipatsjahre waren zweifellos eine Zeit des personellen Experi­mentierens. Erst in dem Maße, wie die von kaiserlichen liberti wahrgenommenen Aufgaben öffentlichen Charakter annahmen, erregte der libertine Status der Amtsträger Anstoß und wurden die Ämter seit neronischer Zeit immer häufiger mit Männern aus dem equester ordo besetzt (Suet. Claud. 28; Tac. ann. 12,53; Plin. epist. 7,29; Plin. nat. 35,199–201: Unter Claudius stiegen mehrere kaiserliche Freigelassene zu Positionen auf, die ihnen nach den gesellschaftlichen Wertvor­stellungen nicht zukamen. Zum Einsatz von kaiserlichen Freige­lassenen bzw. Angehörigen des equester ordo für Verwaltungsaufgaben mit zunehmend öffentlichem Charakter: W. Eck, Die Verwaltung des Römischen Reiches in der Hohen Kaiser­zeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge I, Basel/Berlin 1995, 43–44, 54 u. ö. und II, Basel/Berlin 1997, 150–151 u. ö.; zum gesellschaftlichen Dissens, den Freigelassene in hohen Positionen hervorriefen: F. Millar, The Emperor in the Roman World (31 BC – AD 337), London 1997, 59–60).

[126] Rom.Mil.Rec. 99 (s. Anm. 41); hierzu Stauner 2004, 40, 42–43, 210.

[127] Livius (9,40,16) zufolge sollen schon im Jahre 310 v. Chr. die ersten argentarii auf dem Forum über tabernae verfügt haben, was, so Bogaert (1980, 19), zugleich die Anerkennung ihres Berufs durch den Staat impliziere, obgleich Rom zu jener Zeit noch keine eigene Münz­prägung hatte. Im 2. Jh. v. Chr. gingen Bankiers aus Italien auf Delos ihren Geschäften nach und stellten, so Kay (2014, 212; s. a. 124–125), „trade and auction finance“ bereit. Hierbei könnte es auch zu einem schriftkulturellen Wissenstransfer gekommen sein.

[128] Bogaert 1980, 13; Zitat: ibid. 18.

[129] Geens (s. Anm. 42) 146; s. a. P.Fuad. Univ. I App. I 3–4 (246–222; 229?): Amtseid eines ägyptischen Gehilfen gegenüber Kleitarchos, einem Mitarbeiter des Bankiers Asklepiades; der Gehilfe verpflichtete sich dazu, alle Zahlungen korrekt und ordnungsgemäß auszuführen.

[130] So waren etwa die seit dem 3. Jh. v. Chr. in hellenistischen Bankunterlagen belegten, doppelten Quantitätsangaben in Wort und Zahl auch im römischen Kontext bis in die Spät­antike in Gebrauch (s. Anm. 97). Siehe auch Culham (1989, 112), der annimmt, die Römer seien „familiar with the archival practices of the Hellenistic cities“ gewesen; ebenso hätten sie die Steueraufzeichnungen und ähnliche Dokumentationen der hellenistischen Monarchien gekannt (ibid. 114). Die Idee einer zentralen Staatsbank nach ptolemaischem Vorbild könnte Pate bei dem Vorschlag gestanden haben, den Cassius Dio dem Maecenas in seiner berühmten Rede in den Mund legt und der die Einrichtung einer Bank zum Inhalt hat, die zu einem moderaten Zinsfuß Kredite vergeben solle, um dadurch sowohl den Wohlstand der Bevölke­rung als auch die Staatseinnahmen zu mehren (Cass. Dio 52,28,3–4). Kay (2014, 15) spricht davon, dass während und nach dem Zweiten Punischen Krieg „new technologies“ aus den hellenistischen Königreichen übernommen worden seien, und hält es für denkbar, dass Rom bei der Ausbeutung der Provinzen durch „Hellenistic methods of taxation“ beeinflusst worden sei.

[131] A. Jördens, Statthalterliche Verwaltung in der römischen Kaiserzeit. Studien zum praefectus Aegypti, Stuttgart 2009, 101.

[132] J. Briscoe, The Second Punic War, CAH VIII (21989) 44–80, hier 74–75; P. Erdkamp (Army and Society, in: N. Rosenstein, R. Morstein-Marx [Hrsg.], A Companion to the Roman Republic, Malden, Mass. 2007, 278–296, hier 288) spricht von einem „shift from ad hoc to structural means“. Zur Steigerung der logistischen Anforderungen während des Zweiten Punischen Krieges s. P. Erdkamp, Manpower and Food Supply in the First and Second Punic Wars, in: D. Hoyos (Hrsg.), A Companion to the Punic Wars, Malden, Mass. 2011, 58–76.

[133] Publicani : etwa Liv. 23,48–49; 27,10; 34,6; 44,16; Pol. 6,17; E. Badian, Zöllner und Sünder. Unternehmer im Dienst der römischen Republik, Darmstadt 1997; Hollander 2007, passim; Kay 2014, 11–12. Von den publicani nimmt Hollander auch an, dass sie, um die Gefahren zu vermeiden, die der Transport von Münzgeld zwischen Rom und den Provinzen mit sich brachte, ausgiebig von dem finanztechnischen Instrument derpermutationes Gebrauch machten, die sozusagen einen bargeldlosen Geldtransfer von A nach B ermöglichten (ibid. 42–43). Familia publicanorum: Cic. Manil. 6,16; Geschäftsbücher: Cic. Verr. 2,74,182; Beweis­mittel: z. B. Cic. Verr. 1,23; 1,60 (156) u. ö.

[134] Pol. 6,39,12–15: In jedem konsularischen (und wohl auch prätorischen, pro­kon­sularischen und proprätorischen) Truppenverband mit mehreren Tausend Mann gab es einen quaestor, der als Kassenverwalter und Quartiermeister an die Soldaten nach Rängen gestaffelt den Sold auszahlte, Proviant zumaß und die Ausrüstung bereitstellte, die vom Sold abgezogen wurde. Am Ende seiner Amtsführung war er in Rom rechenschaftspflichtig (z. B. Cic. Verr. 1,14; 1,36; 1,39 u. ö.).

[135] S. Diederich, Römische Agrarhandbücher zwischen Fachwissenschaft, Literatur und Ideologie, Berlin et al. 2007, 12; zu Catos Rezeption griechischen und karthagischen Ge­dankenguts ibid. 15–22.

[136] Zur Rezeption Magos bei Varro s. Anm. 111. Nach W. Suerbaum (Die archaische Literatur von den Anfängen bis Sullas Tod, München 2002, 577–578) vertrat Mago zwar den­selben „ökonomischen Standpunkt“ wie Cato, sein Werk war aber jenem Catos „in stoff­licher Hinsicht […] und wohl auch im wissenschaftlich-technischen Anspruch überlegen“; s. a. Carlsen 2013, 238–239. Kay (2014, 15) vermutet auch schon für das in Catos De agri cultura beschriebene Villensystem griechische und karthagische Vorbilder.

[137] Dig. 2,13,10,1 (Gaius): Ideo autem argentarios tantum neque alios ullos absimiles eis edere rationes cogit, quia officium eorum atque ministerium publicam habet causam et haec principalis eorum opera est, ut actus sui rationes diligenter conficiant. Krampe übersetzt rationes diligenter conficiant mit „die Abrechnungen in ihren Geschäftsbüchern sorgfältig vornehmen“. Problematisch ist der als Übersetzung von rationes im Deutschen sehr oft ver­wendete Begriff „Abrechnung“, da dieser das Erstellen einer Schlussrechnung bzw. eine (finale) Rechenschaftslegung über Einnahmen und Ausgaben meint (Duden Universal­wörterbuch 72011, 93 s. v. Abrechnung 2a). Darum geht es aber hier nicht; vielmehr wird darauf abgehoben, dass die wichtigste Aufgabe der argentarii darin bestand, „die Aufzeich­nungen (rationes) über ihre Geschäfte sorgfältig zu führen“ (Bürge 1987, 510); dies ist ihre „incombenza primaria“ (Scevola [s. Anm. 6] 232). Es geht also um die generelle Pflicht zu einer ordentlichen Anfertigung und Führung der Geschäftsunterlagen — und nicht nur um die Erstellung abschließender, rechenschaftslegender Dokumente. Auf Seiten des Militärs rühmt Vegetius (mil. 2,19,2) das hohe Maß an Sorgfalt (maiore […] diligentia) u. a. bei der täglichen Dokumentation im Finanzbereich der Legion (legionis ratio […] pecuniae). Zum Begriff der ratio s. Minaud (2005, 158): „le mot ratio peut donc aussi bien désigner un compte, en tant que procédure de calcul et non pas le résultat de ce calcul, qu’évoquer la comptabilité dans son ensemble“; Maselli 1986, 105.

[138] Dig. 16,3,8; Bürge 1987, 480 mit Anm. 62.

[139] Dig. 42,5,24,2; Churruca 1991, 307 mit Anm. 32; zur fides bzw. utilitas publica der Bankiers: Andreau 1994, 15–17; id. 2006, 212.

[140] Bürge 1987, 471; s. a. Churruca 1991, 307–308.

[141] Die Gewissenhaftigkeit desjenigen, der etwas in Verwahrung nimmt, wird besonders von Ulpian (Dig. 16,3,1) herausgestellt. Folglich wird auch die Treuwidrigkeit (perfidia) im Interesse des Gemeinwohls (publica utilitas) bestraft (Dig. 16,3,4). So ließ Galba während seiner Statthalterschaft in Hispania einem nummularius beide Hände abschlagen und auf seinem Geschäftstisch annageln, weil er Gelder veruntreut hatte ( non ex fide versanti pecunias, Suet. Galba 9,1).

[142] Zum Zusammenhang von inhaltlicher und äußerer Form von tabulae einerseits und fides andererseits s. Meyer 2004, 5: „fides […] migrated onto the tablet“; ibid. 221: „bankers’ tabulae embodied publica fides“. Petrucci (1991, 25) spricht vom „interesse pubblico“ bzgl. der Tätigkeit der argentarii. Den Zusammenhang zwischen fides und archivierten Dokumenten thematisiert auch Siculus Flaccus mit Blick auf Unklarheiten bei der Auf- und Zuteilung von Feldern und die klärende Konsultation des sanctuarium bzw. tabularium principis (quales­cumque enim formae fuerint, si ambigatur de earum fide, ad sanctuarium principis rever­tendum erit [grom., ed. C. Thulin, Corpus Agrimensorum Romanorum I, Leipzig 1913, 119]); zum tabularium principis s. F. Coarelli, Palatium. Il Palatino dalle origini all’impero, Rom 2012, 533–538.

[143] Siehe Anm. 11.

[144] Frauen war es verboten, eine argentaria mensa zu betreiben (Dig. 2,13,12 [Callistratus]). Sie durften sich aber als Geldverleiherinnen betätigen (TPN 49 [43 n. Chr.]).

[145] Dig. 2,13,9,2 (s. Anm. 62). Petrucci (32010, 197–198) bezieht die den Bankiers entgegengebrachte fides sowohl auf die Sicherheit des ihnen anvertrauten Geldes als auch auf die Korrektheit ihrer Dokumentation. Siehe auch die Herleitung des griechischen τραπεζίτης bei Isokrates or. 17,2: πιστοὶ διὰ τὴν τέχνην — „zuverlässig wegen ihres Berufes“ (Bogaert 1980, 15). Die den Bankiers entgegengebrachte πίστις basiere, so Bogaert weiter, nicht auf deren Reichtum oder persönlichen Qualitäten, sondern auf deren technischen Kenntnissen. Über diese habe sich „das Vertrauen, das sie als Wechsler und Münzprüfer genossen, […] auf ihre anderen Geschäfte übertragen“ (ibid. 16). Im griechischen Bereich, so A. Eich (Die politische Ökonomie des antiken Griechenland (6.–3. Jahrhundert v. Chr.), Köln et al. 2006, 452), musste sich ein Bankier „unbedingtes Vertrauen vor allem der Oberschicht nicht nur seines Bankstandortes, sondern möglichst überregional erarbeiten“, denn „sie waren unbedingt darauf angewiesen, daß ihnen der Ruf der Verläßlichkeit anhaftete“. Von ihr hing nach S. C. Humphreys ( Social Relations on Stage: Witnesses in Classical Athens, in: E. Carawan [Hrsg.], Oxford Readings in Classical Studies. The Attic Orators, Oxford 2007, 140–213, hier, 164) der Geschäftserfolg eines Bankiers in großem Maße ab. Ein weiterer Aspekt von fides ist das Ver­trauen in die Verschwiegenheit bzw. Diskretion der Bankiers; diese wurde schon von athenischen Bankiers gefordert: Isokr. or. 17,7–10; 19; Cohen 1992, 206–207; A. Eich (ibid. 452) bezeichnet die Diskretion als Teil der Verlässlichkeit eines Bankiers. Dennoch genoss dieses Metier ein ambivalentes Ansehen: Bürge 1987, 478 mit Anm. 52; Andreau 2006, 212; Carlà/Marcone 2011, 101.

[146] Auf seine fydes (!) und veritas, die „einem Bankier und chargé d’affaires ganz besonders zukommen“ (H. Gummerus, Die römische Industrie. Wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen, Klio 14 [1915] 129–189, hier 147) verweist explizit der argentarius Praecilius aus Cirta in der Versinschrift seines aufwändigen Grabmonuments (CIL VIII 7156; vor 260–300 n. Chr.); zur Grabanlage s. Ad. H. Al. Delamare (Hrsg.), Exploration scientifique de l’Algerie. Archéologie, Paris 1850, Taf. 139–144; St. Gsell, Les monuments antiques de l’Algérie II, Paris 1901, 54; M. Chabassière, Note sur le tombeau de Praecilius à Constantine, BCTH 1902, 174–176. Nach Andreau (1987, 108; s. a. 287) ist es nicht sicher, dass sich die fides auf die beruflichen Aktivitäten des Praecilius bezog und nicht eher auf eine allgemeine, charakterliche Eigenschaft. Praecilius hat den Hinweis auf seine fides eingerahmt durch die vorausgehende Angabe seines Berufs (argentariam exibui artem) und die nachfolgende, rhetorische Frage, wem gegenüber er denn kein Mitgefühl gezeigt habe. Beides, beruflich vorausgesetzte fides und fides als charakterliche Eigenschaft, sollen hier wohl zum Ausdruck kommen und Praecilius als einen besonders vertrauenswürdigen Bankier präsentieren, der seine Kunden nicht übervorteilte. Ähnliches wird von dem athenischen Bankier Pasion berichtet, der aus Mitleid dem Timotheos wiederholt Kredit gewährte (Demosth. or. 49,17; 49,23). Neben professionellen Finanzdienstleistern hoben auch Handel- bzw. Gewerbetreibende und sonstige Geschäftsleute, die von Berufs wegen mit Geld hantierten, ihre Vertrauenswürdigkeit und Redlichkeit gegenüber Kunden und Freunden hervor: So betont der Ziegenfellverkäufer
L. Nerusius Mithres, seine rara fides […] laudata est semper ubique; zudem sei erin cunctis simplex contractibus omnibus aequus (CIL IX 4796); der Geschäftsmann L. Statius Onesimus bezeichnet sich selbst alshomo super omnes fidelissimus (CIL VI 9663), und der Legions­veteran und Kreidehändler Vitalinus Felix spricht von sich als homo sapientissimus et fidelissimus (CIL XIII 1906). Das Herausstellen der eigenen fides geschah wohl auch deshalb, um auf diese Weise Vorurteilen entgegenzutreten, die insbesondere in wirtschaftlich schwie­rigen, von Geldentwertung geprägten Zeiten besonders virulent waren (s. Caliri [s. Anm. 215] mit weiteren Belegen, S. 1558–1559).

[147] Feldzeichenträger gab es in den Einheiten aller Truppengattungen. Zu den signa s. jetzt K. Töpfer, Signa Militaria. Die römischen Feldzeichen in der Republik und im Prinzipat (RGZM 91), Mainz 2011, mit einer Zusammenstellung von signiferi in den verschiedenen Truppengattungen, S. 434–447.

[148] Veg. mil. 2,20,7: haec ratio apud signiferos […] servabatur. et ideo signiferi non solum fideles sed etiam litterati homines eligebantur, qui et servare deposita et scirent singulis reddere rationem; s. Stauner 2010, 65.

[149] Zum signifer und seinen Aufgaben zuletzt Zehetner 2011.

[150] Veg. mil. 2,19,1: notarum peritia, calculandi computandique usus. Wer signifer werden wollte, „would have to be of an exceptionally good character and also well educated“ (R. W. Davies, Service in the Roman Army, hrsg. v. D. Breeze u. V. A. Maxfield, Edinburgh 1989, 6).

[151] Argentarii: Andreau 1987, 604 mit Anm. 302; noch im 6. Jh. fungierten bei einer Testa­mentserstellung und ‑eröffnung in Ravenna mehrere argentarii sowie ein Seidenfabrikant (olosiricoprata) und ein Fellhändler (gunnarius) als Zeugen (P.Ital. I 4+5, B VI 5–10 = ChLA XVII 653, Col. VI 5–10 [552–575 n. Chr.]); Bogaert 1980, 19. Signiferi: T.Vindon. 3 (s. Anm. 100): signifer als Zeuge einer Darlehensvereinbarung; P.Col. VIII 221 = ChLA XLVII 1448 (143 n. Chr.): signifer als Zeuge der Auszahlung der Hinterlassenschaften eines verstorbenen Soldaten; FIRA III 47 = CPL 221 (142 n. Chr.): zwei signiferi als Zeugen einer Testa­ments­errichtung; CIL III 4324: Einsetzung von signiferi als (Mit-)Erben (die den Nachlass regelten und die Bestattung besorgten); 4326; 8124: der ex-signifer bringt die innige Verbundenheit mit dem Toten zum Ausdruck: contirunculo et contubernali pientissimo; 11218; 14935; CIL VI 3317 = Denkm (= M. P. Speidel, Die Denkmäler der Kaiserreiter. Equites Singulares Augusti, Köln 1994) 586; 3177 = Denkm 83; 3197 = Denkm 115; 3218 = Denkm 329; 3222 = Denkm 201; 3304 = Denkm 86; CIL V 3375; P.Mich. VIII 466 (107 n. Chr.): Ein Soldat übergibt ver­trauensvoll Briefe für seinen Vater an einen signifer; P.Mich.inv. 256 = SB XVI 13030 (205 n. Chr.): signifer als Kreditgeber. Ein Grund, warum einige Soldaten bisweilen signiferi als Mit(erben) bedachten, könnte auch darin zu sehen sein, dass sie Probleme bei der Auszahlung ihrer Ersparnisse an die Erben vermeiden wollten, so wie sich Soldaten bei ihren Vorgesetzten mitunter Diensterleichterungen oder Urlaub erkauften (s. Anm. 206). Ein bedachter signifer könnte motivierter gewesen sein, den Auszahlungsvorgang unbürokratisch und schnell abzuwickeln.

[152] Dig. 2,13,1,3. Zu römischen Archiven s. Culham 1989 (republikanische Zeit); Woolf 2009, 63.

[153] Dig. 2,13,6 pr. Andreau (1996, 434) nimmt eine weitergehende Differenzierung der Archivierungsorte vor: Die argentarii hätten ihre Geschäftsunterlagen teils im städtischen Geschäftslokal, teils in ihrer Stadtwohnung aufbewahrt. In der villa seien die ältesten, weil am weitesten vom städtischen Geschäftslokal entfernten Dokumente aufbewahrt worden. Rath­bone/Temin (2008, 404) übersetzen villa mit „private house“, wo Bankiers Geschäftsunterlagen und Geld aufbewahrt hätten. Wenn mit villa tatsächlich ein Landhaus gemeint ist, so spricht der Umstand, dass die Rechtsgelehrten davon ausgingen, dass argentarii ein solches zur Verfügung stand, für ein gewisses Vermögen zumindest einiger dieser Finanzdienstleister; s.a. die groß­zügige Hausanlage vor den Toren Pompejis, in der Geschäftsunterlagen der Gaii Sulpicii gefunden wurden und die ihnen gehört haben könnte, so K. Jaschke (Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des antiken Puteoli, Rahden/Westf. 2010, 185–186). Rationes lagern auch bei Apuleius (met. 8,22,3) in einem horreum. Teilweise verwahrte man Unterlagen auch in einer λάρναξ/arca (App. civ. 4,44) oder in einem tabularium (Dig. 32,92 pr.), was Bürge (1987, 517) mit ihrem unhandlichen Äußeren erklärt. Bzgl. horreum als Archiv sei auf die von Tarruntenus Paternus erwähnten horreorum librarii (Dig. 50,6,7) hingewiesen: Möglicherweise lagerten Archivdokumente der Truppen auch in militärischen horrea, so dass besagte librarii auch als Archivare fungiert haben könnten. Zur Zuordnung von Aufgaben im Sinne fester Zustän­dig­keiten im militärischen Kontext s. Anm. 202.

[154] Möglicherweise wurden Räumlichkeiten zur Lagerung der Dokumente lediglich ange­mietet (so Churruca 1991, 307); Anmietung eines Lageraums in einem Speichergebäude: TPN 87 (40 n. Chr.).

[155] Dig. 2,13,4,4–5 (Ulpian); Dig. 5,1,19,1–2 (Ulpian).

[156] Dig. 2,13,6,1 (Ulpian); Andreau 1994, 13; id. 1996, 432–433; Petrucci 32010, 196.

[157] P. Gröschler, Die pompejanischen und herkulanensischen Urkunden als Erkenntnis­quelle für das römische Recht, in: M. Avenarius (Hrsg.), Hermeneutik der Quellen­texte des Römischen Rechts, Baden-Baden 2008, 44–65, hier 53–54. Die Frage, ob die Sulpicii Geldver­leiher (faeneratores) oder Bankiers (argentarii) waren, ist in der Forschung strittig: Als argentarii im engeren Sinne sieht sie etwa Camodeca (TPSulp., S. 24 mit Anm. 56), als faeneratores hingegen sehen sie Andreau (1999, 76) und Verboven (2003, 442–443; 2008, 220–221).

[158] TPN, S. 25–26.

[159] Siehe auch die Geschäftsaufzeichnungen des Nikanor (O.Bodl.), der mit Familienange­hörigen in Koptos ein Transportunternehmen betrieb. Die Unterlagen decken einen Zeitraum von 56 Jahren (6–62 n. Chr.) ab. Hierzu A. Fuks, Notes on the Archive of Nikanor, JJurPap 5 (1951) 207–216; Posner (s. Anm. 117) 159.

[160] Andreau 1974; id. 1996, 433–435. Die Dokumente handeln größtenteils von Geschäfts­vorgängen aus den fünfziger Jahren; ein Täfelchen stammt aus dem Jahre 14 n. Chr., ein weiteres aus dem Jahre 27 n. Chr.

[161] Andreau 1996, 434. Auf langfristig archivierte Dokumente griffen wohl auch die Bankiers zurück, über die Herodes Atticus Legate seines Vaters an athenische Bürger auszahlen ließ. Mit Hilfe solcher Schriftstücke wurde eine Gegenrechnung eröffnet und auf Schulden verwiesen, die die Väter und Großväter von Empfangsberechtigten beim Vater des Herodes hatten, so dass manch einer nur ein verringertes oder sogar kein Legat erhielt. Allerdings ist ungewiss, ob die Bankiers diese Dokumente archiviert hatten, oder ob Herodes sie anlässlich der Auszahlung bereitstellte (Philostr. soph. 2,549).

[162] So Gröschler 1997, 26–27; dort auch Beispiele für Palimpseste (Anm. 52); dieselbe Vermutung äußert Meyer 2004, 126–127. In der Casa del Bicentenario in Herculaneum wurden ca. 150 tabulae unterschiedlichen Formats gefunden, die teils beschrieben, teils unbeschrieben waren (Camodeca 2011, 199). Auch die Tatsache, dass die Geschäftsdokumente der Gaii Sulpicii einige mit SOL überschriebene Täfelchen enthielten (s. Anm. 100), könnte auf eine Aufbewahrung zur Wiederverwendung hindeuten. Zur Löschung von Texten und Wieder­ver­wendung der Schriftträger in einem altbabylonischen Kontext s. Jacquet 2013, 72.

[163] Dig. 50,15,4 (Ulpian; s. Anm. 117); Minaud 2005, 106.

[164] Minaud 2005, 109.

[165] Dig. 50,8,10: Calculi erroris retractatio etiam post decennii aut vicennii tempora admittetur; Minaud 2005, 113–114; I.Ephesos (= IK 11,1) 15–16: Kaiserliche Anweisungen an den λογιστής/curator rei publicae zur Überprüfung der Abrechnungen (λογισμοί) städtischer Beamter. Auch die Unterlagen verstorbener Amtsträger waren zu überprüfen, sofern der Betroffene das Amt vor mehr als zehn Jahren bekleidet hatte, aber erst innerhalb der letzten zehn Jahre verstorben war. In diesem Falle waren die Erben rechenschaftspflichtig; sie mussten also die Abrechnungen ihres verstorbenen Verwandten über viele Jahre hinweg aufbewahren, um gegebenenfalls einem eingesetzten curator Rede und Antwort geben zu können. Zum curator rei publicae zuletzt M. Adak, K. Stauner, Eine Honoratiorenfamilie aus Nikomedeia, Gephyra 10 (2013) 146–154.

[166] Rom.Mil.Rec. 87 (103 n. Chr.): Verweis auf Archivdokument (authenticam epistulam in tabulario cohortis esse). Auf der Grundlage archivierter Personalunterlagen erfolgte die Entlassung aus dem Heer. Die Listen der nach Rom zu meldenden Auxiliarsoldaten, die nach Absolvierung ihrer 25-jährigen Dienstzeit für die Verleihung von civitas und conubium in Frage kamen, wurden im Büro des jeweiligen Provinzstatthalters erstellt. Hierzu W. Eck,
A. Pangerl (Ein Diplom für die Truppen Judäas aus dem Jahr 87 und die Frage nach der Gleich­förmigkeit römischer Militäradministration, SCI 31 [2012] 53–64), die in den Anträgen zur Privilegierung von Soldaten aus den Provinzen Syria und Iudaea auf unterschiedliche Formulie­rungen quina et vicena stipendia bzw. quina et vicena plurave stipendia verweisen und dahinter truppen- bzw. officia-spezifische Eigenheiten vermuten. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass es übergreifende, identische, administrative Verfahrensweisen selbst in hochstandardisierten Organisationen wie dem römischen Heer in der Antike nicht geben konnte. Umso mehr muss dies für das administrative Prozedere der argentarii gelten (s. Kap. 5). Aktualisierung von Archivunterlagen: P.Dur. 56 = Rom.Mil.Rec. 99 = ChLA VI 311 = ChLA LXVIII 311 (ca. 208 n. Chr.): Tilgung des Namens Getas nach seiner damnatio memo­riae (Frag. a, Z. 9); zur damnatio memoriae Getas s. F. Krüpe, Die Damnatio memoriae. Über die Vernichtung von Erinnerung. Eine Fallstudie zu Publius Septimius Geta (189–211 n. Chr.), Gutenberg 2011. Zur Überprüfung von Truppendokumentationen s. Stauner 2010, 70–75.

[167] Zu den curatores s. H. Cuvigny (Hrsg.), La route de Myos Hormos, L’armée romaine dans le désert Oriental d’Égypte. Praesidia du désert de Bérenice I–II (IFAO 48/1&2), Kairo 2003, 313–320; zur Dokumentationstätigkeit auf diesen Posten s. Stauner 2010, 67–70.

[168] Stauner 2010, 59–60. Der Papyrus zeigt den Genitiv (stipendi(i)), den Zehetner (2011, 126 mit Anm. 238) mit Blick auf Rom.Mil.Rec. 68 ablehnt. Er hält stipendi für eine Abkürzung „in längerer Form“. Allerdings enthält P.Masada 722 mehrere Einträge, bei denen die Schreiber Wörter im Neutrum-Singular (-ium) voll ausgeschrieben haben (Z. 7, 14, 15). Nichts spricht dagegen, dass sie dies nicht auch bei stipendium (Z. 4 u. 11) getan hätten, wäre denn ein Akku­sativ intendiert worden, was aber offensichtlich nicht der Fall war.

[169] Dig. 15,1,49,2 (Pomponius; s. Anm. 42).

[170] Von zahlreichen Täfelchen aus Vindolanda wird angenommen, dass sie anlässlich des Abmarschs der Truppe (cohors VIIII Batavorum) aussortiert wurden und verbrannt werden sollten, was die Witterungsbedingungen glücklicherweise verhinderten (R. Birley, Vindolanda. A Roman Frontier Fort on Hadrian’s Wall, Stroud 2009, 63–65).

[171] Siehe Ch. W. Hedrick (Ancient History. Monuments and Documents, Malden, Mass. 2006, 103), der die Aufbewahrung von Papyrus-Dokumenten in einzelnen Haushalten in Karanis mit deren Zweckdienlichkeit bzw. sentimentalem Wert für die Hausbewohner erklärt. Zum Archiv des L. Caecilius Iucundus s. a. M. Beard, Pompeii. The Life of a Roman Town, London 2008, 178.

[172] Cic. Verr. 2,74,182: Cicero berichtet, dass scheidende Vorsteher (magistri) der Publi­ka­nengesellschaften für gewöhnlich eine Abschrift der Bücher haben wollten (tabulas haberent consuetudinem esse), wenn sie sie ihren Nachfolgern übergaben.

[173] LSJ, S. 966 s. v. κοιλαίνω.

[174] Die Gleichsetzung mit dem fiscus Caesaris vermutet Zehetner 2011, 112.

[175] P.Mich. VIII 466 (s. Anm. 151): Der miles Iulius Apollinarius bittet den Statthalter um einen Posten als librarius im Statthalterbüro und erhält als Antwort: τόπος οὐ σχολάζ[ι] (Z. 28); Stauner 2004, 16, 123.

[176] P.Hamb. inv. 455 (3. Jh.?): …τὸν κράτισ/τον ἡγεμόνα γεγραφηκέναι / τῷ ἐπάρχῳ ἡμῶν ὡς περὶ τῶν / σημεαφόρων τὸν κοιλάναν/τα ἀπὸ δηποσίτων ἢ ἀπὸ λό/γου Καίσαρος θεναι τὸν τόπον, / τὸν δὲ μὴ κοιλάναντα μέ/νειν ἐν τοῖς ἰδίοις τόποις κτλ. (zitiert nach der vorläufigen Lesung bei Zehetner 2011, 105). Eine Edition des Papyrus wird von Fritz Mitthof und dem Verfasser vorbereitet.

[177] Zehetner 2011, 106.

[178] Möglicherweise spielten hierbei die beiden Dokumente opinio und ratio eine Rolle (s. Anm. 56).

[179] Mitthof 2001, 274. Anforderung von Sold für Karteileichen: A. Demandt,Die Spät­antike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian 284–565 n. Chr., München 2007, 324; P. Heather, The Fall of the Roman Empire, London 2005, 101–102. Hiervon gibt Themistios ein eindrückliches Bild, or. 8,115d–116a: „Und keiner der als Soldat Einge­schriebenen ist heute betrügerischerweise in die Liste eingetragen“ (καὶ νῦν οὐδεὶς τῶν στρατεύεσθαι λεγομένων ψευδῶς τοὔνομα ἐπιγέγραπται). […] „Bisher war in den Heerlisten bloß eine Liste eindrucksvoller Bezeichnungen“ (καὶ τέως μὲν ὀνομάτων ἦν σεμνῶν ἀριθμὸς ἐν τοῖς καταλόγοις), „nun aber ist der Hoplit in der Tat Hoplit […]“; s. a. or. 10,136b (Übers.
H. Leppin, W. Portmann, Themistios. Staatsreden. Übersetzung, Einführung und Erläuterungen von Hartmut Leppin und Werner Portmann, Stuttgart 1998). Zur Korruptionsthematik in der spätrömischen Heeresversorgung s. Mitthof 2001, 273–288.

[180] Veg. mil. 2,20,1: apud signa […] servaretur; H. v. Petrikovits, Die Innenbauten römischer Legionslager während der Prinzipatszeit, Opladen 1975, 73.

[181] Pasion war selbst vormals Sklave, erlangte das athenische Bürgerrecht und erwarb An­sehen und Reichtum; s. P. Cartledge, The Political Economy of Greek Slavery, in: P. Cartledge et al. (Hrsg.), Money, Labour and Land. Approaches to the economies of ancient Greece, London/New York 2002, 156–166, hier 164.

[182] Demosth. or. 45,71–72. Harris (1989, 143) zählt zu den Lese- und Schreibfähigen in hellenistischer Zeit vor allem staatliche Amtsträger, Sekretäre, Bankiers und Steuereintreiber. Auf ähnliche Weise, nämlich durch Erlernen des Einmaleins, schaffte auch Trimalchio den Aufstieg zum dispensator (Petron. 29,4).

[183] Litteras scrire war nach Modestinus Voraussetzung für einen Geschäftsmann (Dig. 27,1,6,19). Aus zahlreichen Quellen ist allerdings auch das Phänomen der sog. second-hand literacy belegt, dass also eine des Lesens und Schreibens kundige Person eine Schreibtätigkeit für eine(n) Illiterate(n) übernimmt: P. Annius Seleucus, der in TPN 87 (40 n. Chr.) als Ver­walter eines Speichergebäudes der Domitia Lepida, der Tante Kaiser Neros, auftritt, war ein solcher Illiterater (negaret se litteras scire), für den sein Sklave Nardus schrieb. Sein Beispiel zeigt, dass für die Ausübung einer administrativen Tätigkeit, die sogar die Abfassung ver­traglicher Vereinbarungen beinhaltete, nicht zwangsläufig persönliche Literalität er­forderlich war. Es musste dann allerdings jemand zur Verfügung stehen, der die Aufgabe verlässlich übernahm. Der literate Sklave fungierte sozusagen als der verlängerte Arm des illiteraten Herrn.

[184] Demosth. or. 49,5; s. a. 49,59.

[185] So berichtet Apollodoros, dass Timotheos sich an Pasion mit der Bitte um ein Darlehen über 1351 Drachmen und 2 Obolen wandte und Anweisung gab, diesen Betrag an seinen Ver­walter Antimachos auszuzahlen. Tatsächlich ausgehändigt worden sei die Summe von Phormion, dem Vorsteher der Bank, aber an Autonomos, den Sekretär des Antimachos. In den Bankaufzeichnungen, so Apollodoros, wurde Timotheos als Schuldner eingetragen und in einem Kommentar (ὑπόμνημα) hinzugefügt, dass Timotheos die Anweisung zur Auszahlung an Antimachos erteilte und dieser wiederum den Autonomos zur Bank sandte, um den Betrag in Empfang zu nehmen (Demosth. or. 49,6–8; s. a. 49,30; 49,59–60). Das ὑπόμνημα umfasste also den Schuldner (ὀφείλων), den Verwendungszweck (χρεία), den Namen des Empfängers (τὸ ὄνομα τοῦ λαβόντος) und das Datum (χρόνος) der Auszahlung.

[186] Demosth. or. 49,5: οἱ γὰρ τραπεζῖται εἰώθασιν ὑπομνήματα γράφεσθαι ὧν τε διδόασιν χρημάτων καὶ εἰς ὅ τι καὶ ὧν ἄν τις τιθῆται, ἵν᾿ ᾖ αὐτοῖς γνώριμα τά τε ληφθέντα καὶ τὰ τεθέντα πρὸς τοὺς λογισμούς. J. Hasebroek, Zum griechischen Bankwesen der klassischen Zeit, Hermes 55 (1920) 113–173, hier 119; Cohen 1992, 124 mit Anm. 55. Für den Bereich römischer argentarii vermuten Rathbone/Temin (2008, 401), „that the clients’ accounts did not contain much detail of the reasons for the credits and debits recorded there“. Aufgrund Apollodors Ausführungen folgerte Thomas (2009, 17), die bankspezifische Schriftlichkeit sei „quite un­familiar to most Athenians“ gewesen. Ähnlich argumentiert M. Finley ( Land and Credit in Ancient Athens, 500–200 B. C. The Horos-Inscriptions, New York 1973, 22): Apollodors Erklä­rung sei „intelligible only if written agreements were not the rule“. Dieser Schluss ist nicht zwingend, denn man wird wohl davon ausgehen dürfen, dass bei Apollodors Gerichtsrede auch Rhetorik mit im Spiel war. Er könnte also auch das, was möglicherweise vielen bekannt war, zur Steigerung des Effekts besonders hervorgehoben haben.

[187] CIL VIII 7156 (s. Anm. 146).

[188] Demosth. or. 52,4; s. Bogaert 1968, 378 mit Anm. 434; Cohen 1992, 16 mit Anm. 65 sowie die Wachstafel mit Multiplikations- und Schreibübungen bei S. F. Bonner, Education in Ancient Rome. From the elder Cato to the younger Pliny, London 1977, 176 Abb. 21; s. a. Anm. 197.

[189] Thomas 2009, 18 u. ö.

[190] Thomas 2009, 25. Zu Recht bemerkt Cohen (1992, 83) mit Blick auf Phormion (Demosth. or. 45,72): „his sole education was ‚learning the lettered accounts’ at the bank where he slaved“.

[191] Siehe Anm. 18 und die von Gellius erwähnten consueti modi für einen Zahlungs­nach­weis in Anm. 11.

[192] Verboven 2003, 430. W. V. Harris (The Late Republic, in: W. Scheidel et al. [Hrsg.], The Cambridge Economic History of the Greco-Roman World, Cambridge 2007, 511–539, hier 513) spricht vom „spread of Greek financial sophistication to Rome and Italy“. Rathbone/
Temin (2008, 400) vermuten einen „influence of Greek banking practices on Rome“, und Kay (2014, 114; s. a. 14) spricht davon, dass die „banking techniques of the Roman argentarii were inspired by or inherited from those of the Greek trapezitai“ und dass die römischen Bankiers dieselben Funktionen ausübten wie die griechischen.

[193] Demosth. or. 36,1; 45,30: Apollodoros macht sich über Phormions Griechisch lustig.

[194] Noch besser war es, einen im Haus geborenen Sklaven auszubilden, da dieser dann sehr gute Griechisch-Kenntnisse vorweisen konnte (Plat. Men. 82b). D. Charpin (Reading and Writing in Babylon, Cambridge, Mass./London 2010, 51) erwähnt einen Geschäftsmann aus neubabylonischer Zeit, der einen Säugling adoptierte, ihn aufzog und ihm das Lesen beibrachte.

[195] C. Sulpicius Cinnamus erscheint zunächst an der Seite seines Patrons, C. Sulpicius Faustus, und erst später als alleiniger Finanzdienstleister. Ähnlich wie Phormion dürfte auch er als ehemaliger Sklave das Finanzgeschäft von seinem Herrn erlernt haben. Siehe auch TPN, S. 26–28; J. Andreau, R. Descat, The Slave in Greece and Rome, Madison, Wisc. 2011, 79–80.

[196] So war z. B. zu berücksichtigen, ob es sich bei dem jeweiligen Kunden um einen römischen Bürger oder um einen Peregrinen handelte; s. Gai. inst. 3,92–93.

[197] Petron. 46,7. Juristische Phraseologie, Arithmetik und Kenntnisse von Maßen und Gewichten wurden bereits in der Schreiberausbildung in altbabylonischer Zeit vermittelt (Charpin [s. Anm. 194] 37, 40); ein Schüler verkündete stolz: „I can manage in the Sumerian language, writing, archiving, bookkeeping, computations“ (ibid. 45).

[198] Y. Le Bohec, Les „discentes“ de la IIIème Légion Auguste, L’Africa Romana 4 (1987) 235–252, hier 251 mit Anm. 111. Sprachlich gesehen ist die Sache eindeutig: discentes sind die Lernenden, nicht die Lehrenden, docentes, aber es sind wiederum nicht Gegensätze, sondern nur die zwei sich ergänzenden Rollen; docere ist das Kausativum von discere. Ein Blick in die modernen Sprachen zeigt, dass Normalverb und Kausativum oft durcheinander gehen: lernen und lehren, hing und hängte, to lay und to lie werden verwechselt. Bei einer Grabinschrift, die einem discenti suo bene merenti gewidmet wird, würde man eine solche Verwechslung ver­muten und wohl eher erwarten, dass dies ein Schüler seinem Lehrer auf den Grabstein schreibt als umgekehrt. Wenn der Dedikant allerdings ein magister ist, müssen wiederum Zweifel kommen (CIL III 14730). Möglicherweise liegt bei den militärischen discentes eine solche Verwechslung vor, und es handelt sich z. B. beim discens aquilifer weniger um einen angehen­den als um einen „gelernten“ Adlerträger. Das Präsens-Aktiv-Partizip wäre demnach in der Militärterminologie sozusagen eine erstarrte Verbform. Da es kein Perfekt-Aktiv-Partizip gab, musste vielleicht dafür das Präsens-Aktiv-Partizip eintreten, vergleichbar im Deutschen dem „gelernten/studierten …“. Genau genommen gibt es dieses Perfekt-Passiv-Partizip gar nicht, aber diese Form tritt eben für ein hier gebrauchtes Perfekt-Aktiv-Partizip ein. Die Existenz von discentes im Heer zeigt, dass es militärische Spezialausbildungen gab, unab­hängig von der Frage, ob in den discentes nun Lernende oder Lehrende zu sehen sind. Ich danke meinem ehe­maligen Latein-Lehrer, Herrn Dr. Wolfgang Waltezki, für die anregende Diskussion zum Thema.

[199] A. v. Domaszewski, Die Religion des Römischen Heeres, Trier 1895, 16 Anm. 69; Le Bohec (s. Anm. 198); zuletzt bei Töpfer (s. Anm. 147) 447. In ausgeschriebener Form sind belegt: discens armat(urae) (AE 1989, 482); discens aquiliferu(m) (CIL VIII 2988); discentes capsario[rum] (CIL VIII 2553); discens libratorum (AE 1942/43, 93).

[200] Speidels Einwand und Gegenvorschlag für eine Auflösung zu d(upli) s(tipendi) ist deshalb durchaus berechtigt (AE 1895, 204: duplis stipend[iis]). In der Datenbank von Clauss – Slaby (http://www.manfredclauss.de/) findet sich allerdings auch für die Lesung d(upli) s(tipendi) kein Beleg (15.5.2014).

[201] Zur dokumentationsintensiven Kassenverwaltung s. Stauner 2010, 56–65; zu librarii in den verschiedenen Legions-officia s. Stauner 2004, 172; zu deren Ausbildung: id., 132–140. Siehe die Diagramme zur Karriere-Struktur in den verschiedenen Truppengattungen bei D. J. Breeze, The organisation of the career structure of the immunes and principales of the Roman army, in: D. J. Breeze, B. Dobson, Roman Officers and Frontiers (Mavors 10), Stuttgart 1993, 11–58, hier 17, 23, 34, 47.

[202] Stauner 2004, 68. Bei den librarii depositorum sowie bei den anderen von Paternus er­wähnten Bezeichnungen handelt es sich „um Funktionsbezeichnungen und nicht um Titel“ (ibid. 70). Diese librarii bildeten aber deshalb noch lange keinen „speziellen ‚Besoldungsstab‘“ (Zehetner 2011, 137). Da die Verantwortung für die Soldatengelder bei den signiferi lag, werden diese wohl auch jene librarii beaufsichtigt (bzw. deren schreibtechnische Ergebnisse kontrolliert) haben, die (möglicherweise nur temporär, z. B. bei der Soldauszahlung) Schreib­aufgaben im Verantwortungsbereich der signiferi erfüllten. Zur gebotenen Zurückhaltung bei der Zuordnung von Verantwortlichkeiten an bestimmte Chargen s. Stauner 2010, 77–78.

[203] Grabinschriften von signiferi zeigen, dass sie zuerst in verschiedenen Bereichen der Truppenverwaltung einschlägige Kenntnisse erwarben, bevor ihnen mit den Feldzeichen auch die Soldatengelder anvertraut wurden. So diente etwa Ulpius Amandianus zunächst als librarius und als custos armorum, bevor er zum signifer aufstieg (CIL III 11135); eine ähnliche Laufbahn absolvierte C. Iulius Dexter (CIL VIII 2094); s. Stauner 2010, 78 mit Anm. 200.

[204] O.Did. 187 (entsorgt ca. 115–120 n. Chr.); O.Krok. 47, Col. I 1–2 (109 n. Chr.): Bericht eines signifer (möglicherweise als curator praesidii); O.Dios inv. 1473: signifer im praesidium Iovis. Zum curator praesidii s. Cuvigny (s. Anm. 167) II 313–320. Weitere Einsätze von signiferi: als Einkäufer waffentechnischer Materialien, s. Stauner 2010, 51 mit Anm. 77, 77–78; als agentes cura(m) macelli: CIL VIII 18224; einige wenige ehemalige signiferi bzw. aquiliferi sind als curatores veteranorum belegt; als solche hatten sie wohl administrative Aufgaben (CIL V 3375; 5832; L. J. F Keppie, Vexilia Veteranorum, PBSR 41 [1973] 8–17, hier 10). Zudem waren die signiferi vermutlich „kanonischer Teil“ der Fahnenwache, nicht zuletzt „wegen ihrer Funktion in der Verwaltung der bei den Fahnen gelagerten Gelder“ (O. Stoll, Die Fahnenwache in der römischen Armee, ZPE 108 [1995] 107–118, hier 117).

[205] Aurelius Moca erhielt nach seiner Versetzung in eine Legion vermutlich direkt einen Posten als signifer. Er hatte allerdings zuvor mehrere Jahre in der cohors Claudia miliarense(!) gedient und war dort zum beneficiarius tribuni aufgestiegen. Als solcher muss er mit diversen schreib- und vielleicht auch mit finanztechnischen Aufgaben betraut gewesen sein und sich dabei offensichtlich so bewährt haben, dass er den vakanten signifer-Posten vermutlich in der restituierten legio III Au(gusta) erhielt (CIL V 898 = CBI 887; ca. 253 n. Chr.). Zu finanz­technischen Aufgaben von beneficiarii s. J. Ott, Die Beneficiarier. Untersuchungen zu ihrer Stellung innerhalb der Rangordnung des römischen Heeres und zu ihrer Funktion, Stutt­gart 1995, 129–149; J. Nelis-Clément, Les beneficiarii: militaires et administrateurs au service de l’empire (Ier s. a.C.–VIe s. p.C.), Paris 2000, s. Index S. 504 s. v. Finances.

[206] Wierschowski 1984, 20. Zu Kapitalgeschäften von Soldaten s. Palme (s. Anm. 47) 24: „Alle Einzelurkunden [der von Soldaten getätigten Geschäfte, Anm. d. Verf.] entziehen sich letztlich aber einer exakten Bewertung, da ungewiss bleibt, wie viele solche Geschäfte ein Soldat gleichzeitig betrieben hat, ob hier ein bescheidener Nebenerwerb oder ein umtriebiges Unternehmertum greifbar wird“; Beispiele für Soldaten als Kreditgeber in spätrömischer Zeit: P.Abinn. 37 (Mitte 4. Jh. n. Chr.); P.Vindob. 26574 (502 n. Chr.) = Palme (ibid.) 109 Nr. 49; P.Vindob. G 2138 (531 n. Chr.) = Palme (ibid.) 109 Nr. 50. Aus verschiedenen Quellen­gattungen ist zumindest bekannt, dass Soldaten einen Teil ihres Geldes dafür verwendeten, Dinge des täglichen Bedarfs (z. B. T.Vindol. II 184 [ca. 122–140/5? n. Chr.]), zum Teil auch waffentechnische Ausrüstung (T.Vindol. IV.1 861 [ca. 105–122 n. Chr.]), einzukaufen oder sich Gefälligkeiten von Vorgesetzten zu erkaufen: So bittet in einem Ostrakon aus Krokodilô ein Soldat einen gewissen Proculus, den er als seinen κύριος anspricht, ihn bei seinem Wunsch nach Versetzung zu unterstützen, und verspricht ihm (Proculus), etwaige Auslagen zu ersetzen (O.Krok. 95 [ca. 108–115 n. Chr.]). Dass ohne Geld, d. h. Bestechung, auch ein Emp­fehlungs­schreiben nichts nützt, beklagt Terentianus: hic a[ut]em sene (!) aer[e] / [ni]hil fiet neque epistulae com/mandaticiae nihil val<eb>unt nesi (!) / si qui sibi aiutaveret (!) (P.Mich. VIII 468, Col. II 38–41 [frühes 2. Jh. n. Chr.]); s. a. Tac. ann. 1,17.

[207] Als nach der Revolte des Saturninus Kaiser Domitian den Soldaten verbot, mehr als 1000 Sesterzen pro Mann bei der Truppenkasse zu hinterlegen (Suet. Dom. 7,3), mussten Soldaten mit höheren Ersparnissen „nach Ausweichmöglichkeiten suchen. Neben privaten Verstecken“, so Wierschowski (1984, 20), bot „sich das Verleihen oder Deponieren bei Freunden und Kameraden an“. Private Verwahrung: P.Mich. IX 571 (s. Anm. 97): Vertragliche Vereinbarung zweier Legionäre über Deponierung und jederzeitige Aushändigungsmöglichkeit eines hinterlegten Geldbetrags. Zu einem späteren Zeitpunkt ließ sich ein weiterer Legionär (möglicherweise ein Erbe oder Kreditgeber des Deponenten), einen Teilbetrag aus dem Depot vom Depositar auszahlen. Dieser nahm dieselbe Funktion wie ein argentarius wahr, und das hinterlegte Geld war von der vertraglichen Vereinbarung her sozusagen ein geschlossenes Depot. O.Did. 135 (entsorgt ca. 220–250 n. Chr.): Verwahrungsvereinbarung zwischen zwei Soldaten der cohors I Flavia Cilicium equitata.

[208] Dig. 16,3,7,2 (Ulpian): […] faenore apud nummularios vel cum nummulariis vel per ipsos exercebant.

[209] Bei dem Soldaten handelt es sich nicht um einen centurio (so Verboven 2008, 221–222), vielmehr steht das invertierte C für centuria. Firmus diente also in der centuria des Marcus … Firmus.

[210] TPN 12 (29. Aug.); TPN 27 (27. Aug.; beide Täfelchen 38–44 n. Chr. [TPN, S. 40, 56]). Zur cohors XIII urbana s. H. Freis, Die Cohortes Urbanae, Köln/Graz 1967, 11, 29; die Einheit war in den Jahren 42–47 n. Chr. von Lyon nach Rom verlegt worden.

[211] P.Hamb. I 1 (57 n. Chr.): Ein Reiter der ala Augusta gewährt einem Veteranen ein Dar­lehen, das über eine Bank ausgezahlt und teils in bar, teils über die Bank wieder zurückgezahlt wurde. BGU III 741 = MChr. 244 = FIRA III 119 (143/4 n. Chr.): Ein actuarius cohortis ge­währt einem Matrosen über eine τράπεζα ein Darlehen; Wierschowski 1984, 22–24, 34 mit Anm. 155; R. Bogaert, Les banques à Alexandrie aux époques gréco-romaine et byzantine, AncSoc 23 (1992) 31–42, hier 38. BGU XIII 2343 (ca. 168 n. Chr.): Über eine Bank-Diagraphé wird eine Anzahlung von 1400 Drachmen durch eine Priesterin von Soknupaiou Nesos an einen Soldaten der legio II Traiana bestätigt. In BGU I 240 (+ BL I, S. 30 mit III, S. 9) bestätigt der Legionär den Empfang des Geldes; Bogaert 2000, 219–220. BGU I 156 = W.Chr. 175 (201 n. Chr.): Zahlungsanweisung eines Legionärs an Bankiers; Bogaert ibid. 32; id. 2000, 220 Anm. 269. CPR 17 B 13, Z. 16–21 (217–218 n. Chr.): Darlehensvertrag mit Beteiligung eines eques alae.

[212] T.Vindol. II 181 (ca. 105–122 n. Chr.): möglicherweise die Liste eines zivilen Händlers.

[213] P.Grenf. II 51 (143 n. Chr.); Bogaert 2000, 231–232 mit Anm. 303. P.Cair.Isid. 54 (314 n. Chr.): Bankiers, die öffentliche Gelder verwalten, waren indirekt in die Bereitstellung von Bekleidungsgegenständen für das Heer involviert; Mitthof 2001, 148. P.Tebt. I 121, Z. 46 (94 oder 61 v. Chr.): in spätptolemaischer Zeit diente ein Soldat (μάχιμος) einem Bankier vermut­lich als Begleitschutz für den Transport von Steuergeldern; F. A. J. Hoogendijk, The Practice of Taxation in Three Late Ptolemaic Papyri, in: T. Gagos (Hrsg.), Proceedings of the Twenty-Fifth International Congress of Papyrology, Ann Arbor July 29 – August 4, 2007, Ann Arbor 2010, 313–321, hier 320. Möglicherweise wurden auch in römischer Zeit Soldaten in Ägypten für derlei finanztechnische Aufgaben Trapeziten temporär zugewiesen; vgl. Plin. epist. 10,27–28. P.Mich. XV 742 (6. Jh. n. Chr.): Liste mit Zahlungen, von denen mindestens eine auf An­weisung eines Garnisonskommandanten über einen κολλεκτάριος (collectarius) erfolgte, einem Finanzdienstleister, der seit dem 4. Jh. in Erscheinung tritt und zumindest in Ägypten neben dem Münzwechsel auch typische Bankdienstleistungen anbot; R. Bogaert, Les κολλεκτάριοι dans les papyrus, CdÉ 60 (1985) 5–16, hier 10; zum spätrömischen Bankwesen s. M. F. Hendy, Studies in the Byzantine Monetary Economy c. 300–1450, Cambridge 1985, 242–251.

[214] Andreau 1987, 327. Rathbone/Temin (2008, 404; s. a. 406, 417) sprechen für Rom und Italien im 1.–2. Jh. n. Chr. von einer „ubiquity of banks“ — mit über 1000 Banken; ebenso Verboven (2009, 7; s. a. 18, 26): argentarii/trapezitai „were ubiquitous throughout the empire“; ähnlich auch Hollander 2007, 55. v. Reden (2010, 121) vermutet dabei ein „banking system either by the co-operation of different banks, or by the outreach of one firm“.

[215] CIL VIII 3305 (2./3. Jh. n. Chr.); s. die ausführliche Interpretation von E. Mancini, Su un nummularius di Lambaesis (CIL VIII, 3305), L’Africa Romana 18 (2010) 1543–1552; 7156: zum Mausoleum s. Anm. 146. Die Interpretationsprobleme dieser Inschrift sind ausführlich vorgestellt von E. Caliri, Argentarii e nummularii nell’Africa romana, L’Africa Romana 18 (2010) 1553–1563; Cirta war nicht, wie Andreau (1987, 325) schreibt, „le lieu de résidence du légat de légion“; vielmehr fungierte der Legionsstandort Lambaesis auch als Statthaltersitz,
s. R. Haensch, Capita provinciarum. Statthaltersitze und Provinzialverwaltung in der römischen Kaiserzeit, Mainz 1997, 193 Anm. 49.

[216] BCTH 1900, CLI (1. Jh. n. Chr.): ] / et fili[i - - -] / Iun(ius?) Amaio [- - -] / milites CAI[ - - -] / Theseus lib(ertus) arg[entarius? - - -] / lib(ertus) not(arius), Lucius IA[- - -] / Victoricus not(arius) Bo[- - -] / [H]yacinthus paed(agogus) PA[- - -]. Die Beziehung der milites zu dem libertinen arg(entarius?) Theseus bleibt offen. Der Kontakt war aber eng genug, um einen epigraphischen Niederschlag zu hinterlassen. Zu Caesarea als Flottenstützpunkt s. J. Spaul, Classes Imperii Romani. An epigraphic examination of the men of the Imperial Roman Navy, Andover 2002, 50. BCTH 1930/31, 230–231 Nr. 5 (1. Jh. n. Chr.): ]to argentar(io?) / h(ic) s(itus) est, a(nnorum) XX / [mo]numentum sodales / [f]ecerunt. Für den Bankier? errichten sodales das Grabmonument. Zu beiden Inschriften s. Andreau 1987, 290–291. Caliri ([s. Anm. 215] 1554) will mit der communis opinio und entgegen Andreau in den sodales Mitglieder eines collegium von argentarii in Caesarea sehen.

[217] P.Mich. III 161 = ChLA V 294 (2. Jh. n. Chr.); Wierschowski 1984, 34 Anm. 155; Adams (s. Anm. 90) 610. Aus Myos Hormos ist ebenfalls ein Matrose als Kreditgeber bekannt: Er diente auf der Hippokampos, einem Post- oder Depeschenschiff (tesseraria) im Roten Meer, und gewährte am 25. März 93 n. Chr. einem gewissen Ammonios für fünf Monate ein Darlehen über 200 Drachmen, zu einem exorbitanten Zinssatz von 4% pro Monat (W. Van Rengen, The Written Material from the Graeco-Roman Period, in: D. Peacock, L. Blue [Hrsg.], Myos Hormos — Quseir al-Qadim. Roman and Islamic Port on the Red Sea, Oxford 2011, 335–338).

[218] Bonn: CIL XIII 8104 (1. Jh. n. Chr.): argentarius Sulla Remus, abgebildet mit zwei Papyrusrollen; Gummerus (s. Anm. 146) 147; Abb. bei Andreau 1987, Taf. 5; L. Wier­schowski, Fremde in Gallien — „Gallier“ in der Fremde. Die epigraphisch bezeugte Mobilität in, von und nach Gallien vom 1. bis 3. Jh. n. Chr., Stuttgart 2001, 406 Nr. 574; K. Verboven ( Good for Business. The Roman Army and the Emergence of a ‘Business Class’ in the Northwestern Provinces of the Roman Empire (1st Century BCE–3rd Century CE) , in: L. de Blois, E. Lo Cascio [Hrsg.], The Impact of the Roman Army (200 BC – AD 476). Economic, Social, Political, Religious and Cultural Aspects. Proceedings of the Sixth Workshop of the International Network Impact of Empire (Roman Empire, 200 B.C. – A.D. 476), Capri, March 29 – April 2, 2005, Leiden/Boston 2007, 295–313, hier 310 mit Anm. 72) sieht Sulla R. „in close proximity to the legions“. Köln: CIL XIII 8353 (2./3. Jh. n. Chr.); AE 1926, 19 (209 n. Chr.); AE 1927, 67 (2. Jh./1. Hälfte 3. Jh. n. Chr.). Mainz: CIL XIII 7247 (1. Jh. n. Chr.). Aus Lyon, dem Standort einer cohors urbana und im 3. Jh. n. Chr. von Vexillationen, sind ebenfalls Bankiers bekannt: CIL XIII 1963 (115–140 n. Chr.); 1986 (240–310 n. Chr.). Zu den Inschrif­ten finden sich bei Andreau 1987 zahlreiche Einträge, s. Index, S. 770–777. Auch auf einem Täfelchen aus Vindolanda werden argentarii erwähnt, jedoch scheint es sich dabei um Silber­schmiede zu handeln (T.Vindol. III 656 [ca. 98–105 n. Chr.]).

[219] Siehe die Übersicht bei Andreau 1987, 320 Taf. 31.

[220] Siehe Anm. 155.

[221] Siehe Anm. 5–6.

[222] Siehe Anm. 145. Mit der sozialen Stellung professioneller Finanzdienstleister befasst sich Andreau 1987, 359–438; id. 1999, 46–48.

[223] Der Verweis auf dieses Metier diente sogar als politische Invektive: So frotzelte Marcus Antonius über Gaius Caesar, dass dessen Großvater argentarius gewesen sei, und auch der Caesar-Mörder Cassius stichelte gegen den nachmaligen Augustus, er sei der Enkel eines Bäckers und sogar Geldmaklers, der beim Backen das Brot mit Händen formte, die noch schmutzig vom Aufpreis beim Geldwechseln waren (Suet. Aug. 4,2: manibus collybo de­coloratis). Diese Verunglimpfungen von und durch Aristokraten dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Berufsstand selbst diese Sicht nicht unbedingt teilte. Die wortreiche Versinschrift des argentarius Praecilius aus Cirta kündet vom Stolz auf seine ehrliche und korrekte Berufstätigkeit (s. Anm. 215).

[224] CIL VI 1859–1860: Der kaiserliche Freigelassene Ti. Claudius Secundus Philippianus betätigte sich als coactor; er war auch accensus und scriba librarius; Andreau 1987, 367–368.

[225] Andreau 1987, 377; id. 1999, 48 mit Anm. 67, jeweils mit Belegen.

[226] Keine der 100 Inschriften, die in der Datenbank von Clauss – Slaby (s. Anm. 200) zum Suchbegriff „argentarius“ angezeigt werden (12.5.2014), enthält eine Angabe zu einem Militär­angehörigen (mit Ausnahme der unsicheren, in Anm. 216 genannten). Lediglich in CIL III 1652 = IMS II 93 wird ein optio legionis möglicherweise als Erbe (h(eres)) eines fa(ber) arg(entarius) erwähnt, in dem allerdings kein Finanzdienstleister zu sehen ist (Andreau 1987, 677–678). Dasselbe negative Ergebnis gilt für die 19 Inschriften zum nummularius und die 35 Inschriften zum coactor.

[227] Keine der 428 Inschriften, die in der Datenbank von Clauss – Slaby zum Suchbegriff „signifer“ angezeigt werden (12.5.2014), enthält eine Angabe zu einem (coactor) argentarius oder nummularius. Allerdings wird auf einem Grabstein in Dalmatien ein signifer zusammen mit (?s)einem lib(ertus) IIIIIIvir Aug(ustalis) genannt, ohne dass sich dem Fragment Näheres entnehmen ließe (ILJug III 2093), und in Dakien errichtete der Freigelassene C. Domitius Nicostratus, Aug(ustalis) [c]ol(oniae) Sept(imiae) D(robetensium), seinem Patron, einem ehe­maligen signifer, das Grabmal (AE 2005, 1303).

[228] Etwa CIL III 389, 4298, 7334; VIII 4874; IX 1617; XII 367; IMS I 16.

[229] Andreau 1999, 47. Wenn Alföldy ([s. Anm. 4] 164) davon spricht, dass es „unter den Rittern viele Großhändler, Großunternehmer und Bankiers“ gab, wobei er auf Cornelius Senecio verweist (Sen. epist. 101,1–2), so sind damit wohl nicht professionelle argentarii, sondern vielmehr faeneratores gemeint (s. Anm. 10).

[230] Suet. Vesp. 1,2; Maselli 1986, 48; Andreau 1987, 158–161 u. ö.; id. 1999, 48; Carlà/Marcone 2011, 106.

[231] Vereinzelt wurde in Randbemerkungen auf Ähnlichkeiten in den Verfahrensweisen bei der Löschung von Texten, der Wiederverwendung von Schreibtafeln und der Ausbildung von Schreibern in alt- bzw. neubabylonischer Zeit hingewiesen. Diese wenigen Andeutungen lassen vermuten, dass die in dieser Untersuchung aufgezeigten Phänomene wohl in einem zeitlich wie kulturell noch weiter gespannten Rahmen einzuordnen sind. Zu grundlegenden, skripturalen Kontinuitäten innerhalb des griechisch-römischen Kulturraums und darüber hinaus s. R. S. Bagnall, Everyday Writing in the Graeco-Roman East, Berkeley et al. 2011, v. a. Kap. 5; s. a. die Buchbesprechung des Vfs. in Gephyra 9 (2012) 156–159.