Amphilochios Papathomas


Ein Mietvertrag über ein Haus
aus dem byzantinischen Hermopolites*

Tafel 4-5



Der hier erstmals edierte Papyrus gehört zu den Beständen der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek (P.Vindob. G 13458). Es handelt sich um ein relativ großes Fragment mittelbrauner Farbe, das die untere rechte Ecke eines byzan­tinischen Mietvertrags überliefert. Bis auf den unteren Rand, der mit einem Freirand (ca. 1,8 cm) erhalten blieb, ist das Blatt an allen Seiten abgebrochen. Oben, wo der Papyrus längs seiner mittleren horizontalen Faltung abgebrochen zu sein scheint, ist der Textverlust umfangreich. Beträchtlich sind die Texteinbußen auch an der linken Seite; dies ergibt sich aus den Textübergängen zwischen den Zeilen, insbesondere aus der relativ sicheren Rekonstruktion der Z. 11, die 39 Buchstaben lang ist. Sehr gering ist dagegen der Textverlust rechts: Wie aus dem vacat am Ende der Z. 7, 9 -11 her­vorgeht, befinden wir uns hier kurz vor dem Ende der Zeilen; möglicherweise brach der Papyrus längs seiner letzten vertikalen Faltung ab. Auf dem Fragment gibt es sieben vertikale und vier horizontale Faltungen. Es ist keine Klebung sichtbar. Die Schrift läuft auf beiden Seiten des Papyrus parallel zu den Fasern. Der Text auf dem Verso steht um 90º quer zur Schrift des Recto.

Wie es des öfteren in der abschließenden Partie byzantinischer Mietverträge der Fall ist, treten auch in unserem Fragment mehrere Personen auf. Insgesamt sind sieben verschiedene Personen und sechs Hände erkennbar: Die 1. Hand (Z. 1-6) ist die eines professionellen Schreibers bzw. Notars, der den Haupttext des Vertrags ver­fasst hat. Die 2. Hand (Z. 7-8) gehört einer Person, die für den ersten Mieter unter­zeichnet hat, da dieser illiterat war; der Name des Unterzeichnenden bleibt uns unbe­kannt, da er im weggebrochenen Teil des Papyrus genannt war. Der erste Mieter ist allem Anschein nach mit dem auf dem Verso des Papyrus erscheinenden Aurelius Zacharias zu identifizieren. Die 3. Hand (Z. 8-9) gehört dem zweiten Mieter Aurelius Theoteknos. Die drei letzten Hände stammen von den drei Zeugen, einem gewissen Aurelius Dorotheos (Z. 9-10), einem Aurelius Kolluthos, Sohn des Anuphios, aus Hermupolis (Z. 10-11), und einem Aurelius Dionysios, Sohn des Gennadios (Z. 11). Alle sechs Hände schreiben in Varianten der byzantinischen Geschäftskursive. Die beiden ersten Hände sind sehr geübt, schreiben ohne Fehler und könnten beruflichen Schreibern gehören. Ohne nennenswerte Fehler schreiben auch die drei Zeugen, deren Handschriften aber nicht so elegant sind. Die dritte Hand, die dem zweiten Mieter (Aurelius Theoteknos) gehört, ist kaum geübt und macht viele grammatische Fehler.

Wegen des fragmentarischen Zustandes des Textes bleiben mehrere Details über die Vertragspartner und die Vereinbarung unklar. Dies betrifft vor allem den Namen des Vermieters, das Objekt der Miete, die Anzahl der Mieter, den Ort, an dem das Mietobjekt lag, bzw. den Ort, wo der Vertrag aufgesetzt wurde, sowie die Abfas­sungszeit der Urkunde. Während der Name des Vermieters nicht mehr zu gewinnen ist, kann man bei den anderen Fragen vorankommen. Zum Mietobjekt: Der Formu­lierung der Z. 4: σὺν ταῖς ἐ[φ]ε̣στώσαις αὐτῇ θύραις καὶ κλεισί ist zu entnehmen, dass das griechische Wort für das Mietobjekt ein Femininum ist. Das Vorkommen der Buchstaben ]κ̣ι̣α̣ν̣ (Z. 4) an jener Stelle, an der man die Nennung des Mietobjektes im Akkusativ erwartet, legt nahe, dass es sich um ein Haus (οἰκία) handelte (und hier nicht etwa ein anderes Femininum wie ἔπαυλις o.ä. stand). Zu byzantinischen Mietver­trägen über Häuser sei auf die Monographie von H. Müller, Untersuchungen zur ΜΙΣΘΩΣΙΣ von Gebäuden im Recht der gräko-ägyptischen Papyri (Erlanger Juri­stische Abhand­lungen 33), Köln e.a. 1985 verwiesen. Zur Anzahl der Mieter: Alle drei unter­zeichnenden Zeugen gebrauchen im abschließenden Teil des Vertrags (Z. 9-11) die typische Wendung: μαρτυρῶ τῇ μισθώσει ἀκούσας παρὰ τοῦ θεμένου, die auf einen einzigen Mieter-Aussteller der Urkunde (θέμενος) hinweist. Dies lässt sich allerdings mit der Nennung von zwei verschiedenen Mietern in der vorangehenden Textpartie, nämlich Aurelius Zacharias (Z. 7) und Aurelius Theoteknos (Z. 8-9), kaum vereinbaren. Der Befund ist m.E. am ehesten als gramma­tischer Fehler seitens der Zeugen zu erklären: Sie reproduzieren mechanisch die Formel ἀκούσας παρὰ τοῦ θεμένου in der üblichen Formulierung im Singular, ohne dabei zu bedenken, dass es im vorliegenden Vertrag zwei Mieter gibt und daher der Plural παρὰ τῶν θεμένων anzuwenden wäre. Ausgehend von dieser Überlegung habe ich die Verbalformen des Haupttextes im Plural ergänzt.

Die Angaben, die wir über die Dauer der Miete zur Verfügung haben, sind durch den Verlust größerer Textpartien beeinträchtigt. Der Formulierung der Z. 3-4 („und nach diesem Jahr werden wir Dir dasselbe Haus …, wann auch immer Du willst [?], zurückgeben") ist zu entnehmen, dass das Haus zunächst für ein Jahr vermietet wurde. Der Vermieter war zwar nicht berechtigt, das Mietverhältnis vor Ablauf dieser Zeit zu beenden, danach hatte er aber das Recht, es nach Belieben abzubrechen. Von diesem einen Jahr als Mindestdauer der Miete war wohl auch im verlorenen Text die Rede, wie das Wort αὐτόν im Ausdruck μ]ε̣τὰ τὸν αὐτὸν ἐ̣ν̣ι̣α̣υτόν (Z. 3) zeigt. Dass die beiden Vertragsparteien allerdings sehr wohl mit der Möglichkeit einer lang­jährigen Miete gerechnet haben, ergibt sich aus der Phrase ἑ̣κ̣ά̣σ̣του ἔτους in Z. 5.

Hinsichtlich der Herkunft des Papyrus gibt es keine absolut sicheren Indizien, dennoch ist die Annahme berechtigt, dass der Papyrus aus dem Hermopolites (wohl aus der Gauhauptstadt Hermupolis Magna) stammt. Dafür sprechen a) die Inventar-Nummer des Papyrus: Als Carl Wessely den Bestand der Wiener Papyrussammlung neu signierte, gab er den griechischen Papyri, die seines Erachtens aus dem Hermo­polites stammten, die Signaturen G 13000-15999 [1]; b) die Notiz im handschriftlichen Inventar Wesselys, die „Hermopolis Magna (?)" als Herkunft unseres Textes nennt;
c) die Herkunft des Zeugen Aurelius Kolluthos aus Hermupolis Magna (Z. 10), die ebenfalls darauf hindeutet, dass der Papyrus aus der Hauptstadt des Hermopolites bzw. - weniger wahrscheinlich - aus einem hermopolitischen Dorf stammt. Dass die hermopolitische Herkunft eines Zeugen in einem hermopolitischen Miet- oder Pachtvertrag expressis verbis erwähnt wird, ist keineswegs überraschend; vgl. z.B. BGU XVII 2682, 31-34 (481 n. Chr.) und P.Kramer 15, 21-25 (629/644 n. Chr.[2]).

Sowohl das Schriftbild des Papyrus als auch seine Phraseologie sprechen ein­deutig für eine Datierung ins 6. Jh. n. Chr. Ähnlicher Auffassung war auch Wessely, der in seinem Inventar „aus saec. VIp" vorschlägt. Mit dieser Datierung lässt sich auch der παρὰ κεράτια-Betrag in Z. 1-2 vereinbaren, der eher auf eine Datierung in die erste Hälfte bzw. die Mitte des 6. Jh. n. Chr. hinzuweisen scheint (vgl. auch unten den Komm. zur Stelle mit Literatur).

 

„(1. Hd.) … drei Goldsolidi minus jeweils vier Keratien, nach der öffentlichen Münzwaage derselben Stadt, das macht zusammen 3 Goldsolidi minus 12 Keratien, und diesen Mietzins werden wir Dir (?) … ohne Verzug bezahlen, und nach diesem Jahr werden wir Dir dasselbe Haus mit den dazu gehörigen vorhandenen Türen und Schlüsseln und mit allen dazu gehörigen Utensilien, wann auch immer Du willst (?), zurückgeben, wie wir es übernommen haben. (Ferner werden wir Dir [?]) jedes Jahr vierzig (?) sextarii nach spanischer Art hergestellten Öls ohne Verzug (?) (liefern). Der Mietvertrag ist maßgeblich und garantiert, und auf Befragen haben wir zuge­stimmt. (2. Hd.) ⳨ Ich, der oben genannte Aurelius Zacharias (?), Sohn des NN, Händler, habe die Miete übernommen, wie oben geschrieben steht. ⳨ Ich, Aurelius (?) NN, Sohn des NN, habe für ihn geschrieben, da er nicht schreiben kann. (3. Hd.) ⳨ Ich, Aurelius Theoteknos, Sohn des seligen -ios, habe die Miete übernommen und werde den Mietzins entrichten, wie oben geschrieben steht. (4. Hd.) † Ich, Aurelius Dorotheos, Sohn des NN, Herkunftsangaben (?), bestätige den Mietvertrag als Ohren­zeuge der Aussteller. (5. Hd.) † Ich, Aurelius Kolluthos, Sohn des Anuphios, aus Hermupolis, bestätige den Mietvertrag als Ohrenzeuge der Aussteller. (6. Hd.) † Ich, Aurelius Dionysios, Sohn des Gennadios, bestätige den Mietvertrag als Ohrenzeuge der Aussteller †."

1-2 Die beiden ersten Zeilen sind stark beschädigt. Zu ihrer Rekonstruktion und besonders zur Ergänzung [τριῶν παρὰ κεράτια] | [τέσσερα ἑκάστου ζυγῷ δημ]οσίῳ vgl. etwa BGU XII 2152,9-11 (512 n. Chr.; zum Datum s. BL VIII 52): κ]ατʼ ἔτο[ς χ]ρ̣[υσοῦ] νομισματίων δεσποτικῶν δοκίμων ἀριθμῷ τρ̣ιῶ̣[ν] | παρ̣[ὰ] κ̣εράτια τέ[σσ]α̣[ρα] ἑκάστου δημοσίῳ ζυγῷ τῆς αὐτῆς πόλεως, γίν(ονται) [χρ(υσοῦ)] | νο(μισμάτια) γ π(αρὰ) κερ(άτια) ιβ κτλ. Zu den παρὰ κεράτια-Beträgen in den byzantinischen Urkunden s. die Studie von K. Maresch, Nomisma und Nomismatia. Beiträge zur Geldgeschichte Ägyptens im 6. Jahrhundert n. Chr. (Pap.Col. 21), Opladen 1994, bes. 8-13 und 159-171, wo genau datierte Belege in chronologischer Reihenfolge aufgelistet sind.

1 νομ̣ι̣σ̣μ̣ά̣[των: Nach den beiden ersten Buchstaben gibt es nur noch minimale Tintenreste. Die Ergänzung νομ̣ι̣σ̣μ̣α̣[τίων wäre auch möglich.

2 γί(νονται) ὁ̣(μοῦ) scheint mir wahrscheinlicher als γίν̣(ονται). Zum einen wäre die Lesung des ν bei γίν̣(ονται) paläographisch schwierig, zum anderen passt ὁμοῦ („zusammen") gut zur Angabe der Gesamtzahl des παρὰ κεράτια-Betrags (dreimal „minus vier" Keratien pro Solidus macht für den Gesamtbetrag der drei Solidi „minus zwölf" Keratien).

π̣(αρὰ) κ̣ε̣ρ(άτια) ιβ̣//: Anstelle von ιβ̣ könnte man auch ιη̣ in Erwägung ziehen. In diesem Fall hätte man einen Betrag von drei Goldsolidi minus achtzehn Keratien (d.h. dreimal ein Solidus minus sechs Keratien) und sollte dementsprechend zu Beginn der Z. 2 ἕξ anstelle von τέσσερα ergänzen. Diese Lesung scheint allerdings paläographisch weniger wahrscheinlich zu sein.

4 τὴν αὐτὴν οἰ]κ̣ί̣α̣ν̣: An dieser Stelle ist die Nennung des Mietobjektes zu erwarten.

σὺν ταῖς ἐ[φ]ε̣στώσαις αὐτῇ θύραις καὶ κλεισὶ κ̣α̣ὶ̣ [παντὶ δικαίῳ]: Zur Erwähnung der Türen und der Schlüssel bei der Rückgabe des Mietobjektes vgl. z.B. BGU XVII 2684, 16-18 (555 n. Chr.): καὶ ὁπόταν β[ουλ]η̣θῇς ἔχειν παραδώσω | [σοι τὸ τέταρτον μ]έρος ὁλοκλήρου οἰκίας μετὰ παντὸς αὐτοῦ τοῦ δ[ι]καίου σὺν ταῖς ἐπικειμέναις | [θύραις καὶ κλ]εισὶ μικραῖς τρισὶ κτλ. Wie diese Parallele zeigt, können nach der Phrase θύραις καὶ κλεισί verschiedene darauf bezogene Adjektive vorkommen. In unserem Fall weist jedoch κ̣α̣ί̣ deutlich darauf hin, dass die Stelle mit κ̣α̣ὶ̣ [παντὶ δικαίῳ]̣ zu ergänzen ist. Dabei handelt es sich um eine eher seltene Formulierung (häufiger begegnet μετὰ παντὸς δικαίου an dieser Stelle[3]), die allerdings in den byzantinischen Mietverträgen aus Hermupolis nachweisbar ist; vgl. z.B. P.Stras. I 4, 19-21 (551 n. Chr.; s. BL V 128): παραδώσω ὑμῖ̣ν̣ τοῦ̣[τ]ο̣ [τὸ] | α̣ὐτὸ ἥμισυ τέταρτον μέρος τῆς προειρημένης οἰκίας | σ̣ὺ̣ν θύραι{α}ς καὶ κλεισὶ καὶ παντὶ δικαίῳ, ὡς παρεί[λ]η̣φ[α]. Darüber hinaus wäre die Rekonstruktion μετὰ παντὸς δικ]α̣ί̣ο̣υ̣ zu Beginn der vorliegenden Zeile paläographisch problematisch. Zur Klausel καὶ παντὶ δικαίῳ im Sinne von „mit allen dazu gehörigen Utensilien", „mit dem dazu gehörigen Zubehör" in byzantinischen Mietverträgen von Gebäuden s. H. Müller, a.a.O. (Einl.), 163-165.

αὐτῇ: Das Pronomen ist zwar an dieser Stelle ungewöhnlich, aber doch nachweisbar; vgl. etwa SB VIII 9932, 13-14 (598/599 oder 544 n. Chr.; s. BL VIII 357): [- - - παραδώσω σοι τὸ αὐτὸ στάβλον σὺν ἐφεστώσαις] | αὐτῷ θύραις δυσὶ ⟦η⟧ ἐν [μηδενὶ καταβλάψας κτλ.].

5 ὡς παρειλήφαμεν: Denkbar wären auch die Ergänzungen ὡς εἰλήφαμεν bzw. ὡς παρελάβομεν.

Die ersten erhaltenen Buchstaben der Zeile sind zu verblasst, um mit Sicherheit enziffert zu werden; am ehesten lese ich ̣ ̣ ̣δ̣ω̣ ̣ ̣ . Da an dieser Stelle eine Verbform wie etwa ἀπο-δώσομεν bzw. παρέξομεν zu erwarten ist, wäre eine Rekonstruktion wie καὶ] ἀ̣π̣ο̣δ̣ώ̣σ̣ω̣
(l. -ομεν) zu erwägen.

σπανοῦ ἐλαίου: Zu σπανὸν ἔλαιον, ἔλαιον σπανόν und σπανέλαιον s. die Bemerkungen von R. Ast in P.Jena II 37, Einl. (bes. 149-150); J. Kramer, Die Bedeutung von σπανέλαιον, ZPE 81 (1990) 261-264; K. A. Worp in P.Vindob.Worp 11, Komm. zu Z. 2 (S. 112-114); H. Cadell, P.Sorb. I 62, Komm. zu Z. 1 (S. 152), und J. Arce, Σπανία, σπανός - σπανή - σπανόν on Papyri, ZPE 61 (1985) 30-32 (zu ἔλαιον σπανόν bes. 30-31). Belege für σπανὸν ἔλαιον zitiert K. Worp (a.a.O.); Ergänzungen zu dieser Liste bietet R. Ast (a.a.O., S. 149, Anm. 407). Bei der Deutung des Terminus schließe ich mich der Interpretation von J. Kramer an, dass σπανός eine gekürzte Form von Ἱσπανός ist und mit dem ägyptischen Dorf Σπανία, dem Adjektiv σπάνιος („selten") und dem Farbadjektiv σπανός („dunkel, grünlich-schwarz") nichts zu tun hat. Ferner bin ich der Meinung, dass H. Cadell (a.a.O, bes. 152) und J. Kramer (a.a.O., bes. 262-263) zu Recht betonen, dass σπανός keine Herkunftsangabe, sondern eine Qualitätsbezeichnung ist und σπανὸν ἔλαιον einfach die Bedeutung „nach spanischer Art hergestelltes Öl" hat (so auch R. Ast, a.a.O.). Schließlich schlägt J. Kramer überzeugend vor, dass ἔλαιον σπανόν ein „aus grünen Oliven gewonnenes herbes Öl" war (ähnlich auch R. Ast, der σπανὸν ἔλαιον in P.Jena II 37, 11 [6. Jh. n. Chr.?] mit „bitter oil" übersetzt).

Öl ist in den Papyri der byzantinischen und früharabischen Zeit des öfteren als Zahlungs­mittel nachweisbar; s. etwa F. Morelli, Olio e retribuzioni nell'Egitto tardo (V-VIII d.C.), Firenze 1996, bes. 5 und 9-122. Hier handelt es sich offensichtlich um eine Sondergabe des Mieters; zu derartigen Sonderleistungen s. J. Herrmann, Studien zur Bodenpacht im Recht der graeco-aegyptischen Papyri (Münchener Beiträge 41), München 1958, 118-122 und K. A. Worp, Deliveries for ϲυνήθεια in Byzantine Papyri, in: P.Thomas, S. 51-68. Eine Parallele für die Gabe von ἔλαιον σπανόν in einem solchen Kontext bietet der Pachtvertrag über Rebenland BGU XVII 2682, 24-25 (481 n. Chr.).

ξέστας: Zum ξέστης (lat. sextarius), der 0,539 Liter entspricht, s. N. Kruit, K. A. Worp, Metrological notes on measures and containers of liquids in Graeco-Roman and Byzantine Egypt, APF 45 (1999) 96-127, bes. 111-117. Ältere Literatur wird unter anderem in meinem Kommentar zu P.Heid. VII 402, 2 zitiert.

τεσσα̣[ράκοντα (?)]: Die Möglichkeit, dass die Zeile und der Satz mit dem Wort τεσσαράκοντα enden, scheint mir nicht nur wegen des vorhandenen Platzes, sondern auch aus inhaltlichen Gründen die wahrscheinlichste: Eine Vereinbarung für die Lieferung einer runden Zahl von sextarii, wie etwa vierzig, liegt näher als eine Vereinbarung für die Lieferung einer unrunden Zahl (41, 42 usw.). Die Ergänzung τέσσα̣[ρας ist ebenso möglich, doch scheint die Zahl 4 für eine Jahresabgabe zu wenig.

6 ὡμολο̣γ̣ή̣σ̣α̣[μεν]: Vertretbar wäre auch die Lesung ὡμολ(ογήσαμεν) †̣, danach gibt es aber noch Tintenspuren, die wohl als Schrift zu deuten sind.

7 πρ]α̣γ̣μ̣α̣τ̣ευτής: Zu den πραγματευταί vgl. N. Gonis, Some πραγματευταί with False Identities, ZPE 132 (2000) 187-188.

8 Αὐρίλιος Θεώτεκνος: Zum Namen s. D. Roques, Θεότεκνος 'fils de Dieu', REG 111 (1998) 735-756. Θεότεκνος ist kein Allerweltsname, aber auch nicht selten. Soweit ich sehe, stammen alle Papyrusbelege aus der Zeit zwischen dem 3. und dem 6. Jh. n. Chr., wobei der früheste Beleg PSI IX 1067, 25-26 (236 n. Chr.) ist: [Ξάν(?)]θιππος Θεοτέκνου Ἀθηνα̣[ιε]ὺς [ὁ καὶ] | [Σα]λ̣αμίνιος κτλ. Der späteste genau datierte Beleg ist SB V 8028 (= ChLA X 464) (550 n. Chr.; BL XI 202), Z. 8-9: … χορηγῆσαι τοῖς προδηλωθεῖσιν εὐκαθοσιώτοις Νουμίδαις] Ἰουστι[ν]ιανοῖς διὰ Θεοτέκνου τοῦ καθοσιωμένου αὐτῶν | [ὀπτίωνος κτλ.] und 16-17: … διὰ Θεοτ[έ]κνου κ̣α̣θο̣[σιωμέ]νο[υ] | αὐτῶν ὀ[πτ]ίωνος̣. Die Belege für den Namen Theoteknos werden von B. Kramer in der Einleitung zu P.Köln VI 281 aufgelistet (s. bes. S. 252-253 mit Anm. 9). Zu den dort verzeichneten Zeugnissen sind folgende hinzuzufügen: SB XXIV 16000, 521 (nach 298 n. Chr.): Θεοτέκνου ἀδελ(φοῦ) κτλ.; P.Abinn. 24 (Mitte 4. Jh. n. Chr.), Z. 1-2: κυρίῳ μ[ου πατρὶ Ἀβιννέῳ] | Θ[εότεκνος] und Z. 22-24: ⟦τῷ δεσπότῃ μου⟧ πατρὶ | Θεότεκνος | κυρίῳ μου πατρὶ X Θεότεκνος; P.Bour. 19 (484/499 n. Chr.)[4], Z. 8: Θεοτέκνο]υ̣ Ἐ̣λπ̣ι̣δ̣ί̣ο̣υ̣;
Z. 17 mit Komm. zur Stelle: καὶ Θεότεκνως (l. -ος) und Z. 41-42: Αὐρήλιος | [Θεότε]κ̣νος Ἐλπ̣ι̣δίου; P.Thomas 28, 25 mit Komm. zur Stelle (ca. 514-535 n. Chr.; zur Datierung
s. HGV): Φλά(ουιος) Θεότεκνος Ψαίου ἀποπραιπόσ(ιτος) κτλ.; SB XX 14669 (Anfang 524
n. Chr.?), Z. 122: Εὐδοξία ἀδε(λ)φ(ὴ) Θεοτέκνου κό[μ(ετος) κτλ.]; Z. 146: Εὐδοξία ἀδελφ(ὴ) Θεοτέκ̣νου κόμ(ετος) und Z. 161: Εὐδοξία ἀδελφ(ὴ) Θεοτέκνου κόμ(ετος); P.Lond. V 1663 (549 n. Chr.; s. BL XI 120), Z. 11: [… διὰ Θεοτ]έκνου το[ῦ] καθοσιωμένου αὐτῶν ὀπτίονος und Z. 19: διὰ Θεοτέκνου τοῦ καθοσιωμένου αὐτῶν ὀπτίονος sowie der oben zitierte SB V 8028 (= ChLA X 464), 8 und 16 (550 n. Chr.). Für einen elektronischen Katalog mit Belegen für diesen Namen sei auf Trismegistos People verwiesen: http://www.trismegistos.org/
nam/detail.php?record=9524
und http://www.trismegistos.org/ref/ref_list.php?namvar_id =9987.

9 Zu Beginn der Zeile stand der Vatersname des Aurelius Theoteknos, der im Genitiv wohl auf -ίου endete (vgl. Z. 12).

καὶ ἀποδώσο (l. -ω) τὸ ὐνενίκειν (l. ἐνοίκιον) ὡς πρ(όκειται): Eigenartigerweise ist die vorliegende Formulierung bislang nur im Oxyrhynchites sehr gut nachweisbar und im Arsinoites einige Male bezeugt, aber im Hermopolites überhaupt nicht vertreten; vgl. z.B. SB XVI 12583, 24-26 (Oxyrhynchos; 500 n. Chr.): (2. Hd.) [Αὐρήλιος] Ἄ[πα] Νάκιος υἱὸς Φιλοξένου [ὁ] προκείμενος πεποίη|[μαι τὴν μίσ]θωσιν τῆς αὐτῆς μι[κ]ρ̣ᾶς οἰκείας μετὰ παντὸς | [αὐτῆς δ]ικαίου καὶ ἀποδώσω τὸ ἐνοίκιον κτλ.; PSI V 466, 23-26 (Oxyrhynchos; 518 n. Chr.): Αὐρηλία … πεποίημαι | ταύτην τὴν μίσθωσιν καὶ | ἀποδώ[σω] τὸ ἐνοίκ[ιον] ἐν̣ιαυσίως κτλ.; P.Rein. II 108, 15-17 (1. Hälfte 6. Jh. n. Chr. [5]): Αὐρήλιος Φιλόξενος υἱὸς Ἰωάννου | [ὁ προγεγρα]μμένος πεποίημαι τὴν μίσθωσιν καὶ ἀπο|[δώσω τὸ ἐν]οίκιον ἡμέριον κτλ.; CPR X 28, 8-9 (Arsinoiton Polis; 6. Jh. n. Chr.): † Αὐρήλιος Φῖβ υἱὸς Εὐλο̣γί̣(ου) | [μεμίσθωμαι καὶ ἀ]ποδώσω τὸ ἐνοίκιον ἐπικεί(μενον) ὁς πρ(όκειται); CPR X 30, 4-6 (Arsinoiton Polis; 6. Jh. n. Chr.): [Αὐρήλι]ος Σαμβ̣ᾶς υἱὸς Ἰω̣[- - -] σιτομέτρης [μεμίσθωμαι ὡς πρόκ(ειται)] | [- - - τ]ὼν προγεγραμμένων̣ [τ]ώπον καὶ ἀπο|[δώσω τὸ ἐνοίκ]ι̣ον ὡς πρόκε<ι>ται. Das Vorkommen des Ausdrucks in unserem Text ist wohl als stilistischer Einfluss aus der oxyrhynchitischen und arsinoitischen Praxis zu erklären, denn für eine Lokalisierung des Papyrus im Oxyrhynchites gibt es keinen anderen Anhaltspunkt. Die Stilmischung könnte damit zusammenhängen, dass der vorliegende Vertrag nicht von einem Notar verfasst wurde (jedenfalls zeichnet am Ende des Textes kein Notar für seine Abfassung verantwortlich; vgl. unten den Komm. zu Z. 11).

ἀποδώσο: Auf den ersten Blick glaubt man ἀποδώσα zu lesen. Was als der rechte Teil eines α aussieht, ist aber keine Schrift, sondern ein roter Fleck, der sich unter dem Mikroskop ganz deutlich von der schwarzen Tinte des Papyrus unterscheidet.

9-11 Es ist nicht völlig auszuschließen, dass der in der vorliegenden Edition zu Beginn der Z. 10 ergänzte Vatersname des Aurelius Dorotheos schon am Ende der Z. 9 und das zu Beginn der Z. 11 ergänzte Wort μαρτυρῶ schon am Ende der Z. 10 gestanden sind. In einem solchen Fall sollte man annehmen, dass am Ende der Z. 9 und 10 kein vacat existiert, sondern einfach die Schrift dort verblasst ist.

11 Bemerkenswert ist das Fehlen einer Notarsunterschrift am Ende des Dokuments, da die große Mehrheit der hermopolitanischen Mietverträge aus der Abfassungszeit unseres Papyrus mit einer solchen endet; vgl. z.B. BGU XI 2202, 28 (565 n. Chr.); BGU XIX 2823, 29 (568-569 n. Chr.) und BGU XIX 2824, 11 (6./7. Jh. n. Chr.). Fälle wie der vorliegende sind jedoch ebenfalls bezeugt; vgl. etwa BGU XVII 2684 (555 n. Chr.) und SB XXIV 15923 (spätes 6. / frühes 7. Jh. n. Chr.).

12-13 Man könnte an eine Rekonstruktion wie die folgende denken: [† Μίσθωσις Θεοτέκνου, υἱοῦ τοῦ μακαρίου - - -] ̣ίου, καὶ Ζαχαρίας (l. Ζαχαρίου) | [Angaben zum Vater im Gen. †] („† Mietvertrag des Theoteknos, Sohn des seligen -ios, und des Zacharias, Sohn des NN (?) †"), wobei die Verwendung des falschen Casus beim Namen des zweiten Mieters (Ζαχαρίας anstelle von Ζαχαρίου) auf die Möglichkeit hinweist, dass auch der Name des ersten Mieters im falschen Casus gestanden sein könnte, etwa Θεότεκνος (l. Θεοτέκνου), υἱὸς (l. υἱοῦ) τοῦ μακαρίου κτλ.]. Neben dieser Ergänzungsmöglichkeit kommen allerdings verschiedene andere ebenfalls in Betracht: Anstelle des Genitivs beim Namen des Mieters ist z.B. auch die Konstruktion εἰς + Akkusativ nachweisbar, und zwischen μίσθωσις und Θεοτέκνου könnte das Wort οἰκίας und/oder weitere Wörter wie etwa (γεναμένη) ὑπό oder (γεναμένη) παρά gestanden sein. Schließlich wird in den Parallelen nach dem Namen des Mieters zuweilen auch seine Herkunft angegeben. Eine solche Angabe könnte am Ende der Z. 13 gestanden sein.

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Institut für Klassische Philologie
Philosophische Fakultät
Universität Athen
Panepistimiopolis Zographu
15784 Athen, Griechenland
papath@phil.uoa.gr

Amphilochios Papathomas

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Tafel 4


Tafel 5



* Der vorliegende Aufsatz ist im Rahmen des Forschungsprojektes Κείμενα και ερμηνεία der Universität Athen (ELKE, Projekt-Nr. KA 70-11-118) entstanden.

[1] Hierzu s. H. Loebenstein, Vom „Papyrus Erzherzog Rainer" zur Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek. 100 Jahre Sammeln, Bewahren, Edieren , P.Rain.Cent.,
S. 3-39 (bes. S. 21).

[2] Zur Datierung s. D. Hagedorn, Zur Datierung von P.Kramer 15, ZPE 170 (2009) 156.

[3] Vgl. etwa BGU XVII 2684, 17 (555 n. Chr.): … μετὰ παντὸς αὐτοῦ τοῦ δ[ι]καίου κτλ.

[4] Neuedition des Papyrus von J. Gascou, Un cautionnement adressé au gouverneur mili­taire et préfet Augustal d'Égypte (réédition de P. Bour. 19), CE 80 (2005) 251-269.

[5] Zur Datierung s. L. Capron et al., Corrigenda aux P.Reinach II, ZPE 150 (2004) 207-213 (bes. 211-213).