Lajos Berkes


Die christusliebende Thebais*

Tafel 3



Das Wort φιλόχριστος kommt in den Papyri zuerst im 5. Jahrhundert vor,[1] begegnet uns aber erst im 6.–7. Jh. häufiger. Hochrangige Kleriker tragen das Epitheton,[2] zudem wird es besonders oft zum Attribut für den Kaiser oder für andere bedeutende Personen. [3] Das Wort wird überwiegend in Petitionen verwendet, was durch seinen gehobenen Stil zu erklären ist. Bemerkenswert ist jedoch, dass auch Städte den Titel tragen können: In Ägypten ist φιλόχριστος bis dato für Alexandria und wahr­scheinlich, wie von Nikolaos Gonis gezeigt wurde, Oxyrhynchos belegt.[4] Das Wort taucht als Adjektiv einer unbekannten Stadt (vielleicht auch hier Alexandria)[5] auch in der amtlichen Korrespondenz der früharabischen Verwaltung auf. Es störte die ara­bischen Herrscher Ägyptens offenbar nicht, dass die christlichen Verwalter ihre eigenen religiösen Symbole und Ausdrücke im amtlichen Verkehr benutzten.

In diesem Artikel wird durch die Edition eines Dokumentfragmentes aus dem Jahr 787/788 (I) und eine Neulesung in der Urkunde P.Ryl.Copt. 175 aus dem Jahr 720/721 (II) gezeigt, dass φιλόχριστος auch als Attribut der Provinz Thebais verwen­det werden konnte. Obwohl das Adjektiv für Kleriker, hochrangige Beamte und be­sonders für Mitglieder der kaiserlichen Familie, manchmal sogar für Städte auch in außerägyptischen Quellen zu finden ist, scheint seine Anwendung auf eine Provinz ungewöhnlich zu sein.[6] Vergleichbares ist in einer Rede von Konstantin VII (913–959) zu finden, in der die Ausdrücke τὰ φιλόχριστα ἡμῶν τάγματά τε καὶ θέματα (2, 13) und τὰ τῆς ἀνατολῆς φιλόχριστα καὶ θεοσύλλεκτα ... στρατεύματα (7, 1–2) vorkommen.[7]

Könnte man die Verwendung von φιλόχριστος als Epitheton der Thebais durch ihre Verbundenheit mit dem „christusliebenden“ Kaiser erklären — wie das auch die Paral­lelstellen aus der Rede Konstantins VII nahelegen? In diesem Fall dürfte man an­nehmen, dass die Verwendung des Adjektives aus dem offiziellen Sprachgebrauch stammt. In der Tat stammen die beiden hier vorgelegten Belege aus den Präskripten von Verträgen, welche die Angabe des Errichtungsortes ἐν Ἑρμουπόλει τῆς Θηβαίδος enthalten. [8] Der Umstand, dass bislang nur zwei vereinzelte Belege für das Adjektiv φιλόχριστος in diesem Kontext aus dem 8. Jh. bekannt geworden sind, [9] spricht gegen eine offizielle Verordnung in der byzantinischen Zeit. Das letzte sicher datierbare Dokument (SB XVI 12492, 7–8), in dem der Ausdruck ἐν Ἑρμουπόλει τῆς Θηβαίδος nicht ergänzt vorkommt, stammt aus dem Jahre 638. Wenn man von einer zentralen Vorgabe für die um φιλόχριστος erweiterte Formel ausgehen wollte, hätte diese nach 638 erfolgen müssen. Das würde diese terminologische Änderung in die turbulenten Jahre vor der arabischen Eroberung oder sogar in die islamische Zeit setzen, was äußerst unwahrscheinlich ist. Man wird also eher davon ausgehen, dass es sich um eine Gewohnheit der hermopolitischen Schreiber handelt. Die Benutzung des Adjektives für die Thebais hatte unter der islamischen Herrschaft vielleicht eine ideo­logische Bedeutung. Vergleichbar wäre die Betonung der Königsherrschaft Christi in einigen Invokationen, die nicht vor der sassanidischen Besatzung vorkommen. [10]

I. Fragment des griechischen Präskriptes eines koptischen Vertrages

Hellbrauner Papyrus, mit schwarzer Tinte gegen den Faserverlauf beschrieben, transversa charta. An allen Seiten unvollständig. Zwei horizontale Faltungen. Im Online-Katalog des Instituts für Papyrologie der Universität Heidelberg (http://zaw-papy.zaw.uni-heidelberg.
de/fmi/xsl/Griechisch/home.xsl) ist zu lesen: „Gehört viell. zu [P.Heid.inv. G] 2739“. Dieses kleine Fragment enthält auf dem Recto Reste eines koptischen Textes, die zu einem Vertrag passen könnten (ein Diakon wird erwähnt). Die Versoseite enthält genauso Reste einer Ab­rechnung wie unser Text. Die Schrift der Vorderseite von G 2739 ist der von G 2735 ähnlich, aber deutlich kleiner. Ferner wird auf der Rückseite von G 2739 das Delta anders geschrieben als in unserem Text. Demgemäß scheint G 2739 das Fragment eines anderen Dokumentes zu sein.

„ ... ... 327 .1 ...1 ... 9 4 ... ... 4 ...“

Die elegante Schrift eines professionellen Schreibers weist die für das 7.–8. Jh. charakteristischen, nach rechts oben gerichteten Häkchen und die Minuskelform des Deltas auf. Auf der Rückseite stehen parallel zur Faserrichtung Reste einer Ab­rechnung, deren Zahlbuchstaben an Abrechnungen arabischer Zeit erinnern.[12] Die Angabe in Z. 3 ] τ̣ῆς φιλοχ(ρίστου) Θηβαίδος † gehört zur Ortsangabe im Präskript eines Vertrages, mit welcher auch der einleitende Teil endet, wie das Kreuz zeigt. Die Erwähnung der Thebais in diesem Kontext ist nur in Papyri aus Hermupolis belegt vgl. z.B. II; P.Bodl. I 41 (604), 5 und P.Würzb. 19 (622), 2. Demgemäß ist in Z. 3 [ἐν Ἑρμουπόλει] τ̣ῆς φιλοχ(ρίστου) Θηβαίδος zu ergänzen. Die Lesung φεν̣τακοσιοστὴ̣ τετάρτη in Z. 2 deutet — trotz des falschen Genus und Casus — auf eine Datierung nach der Dio­kletianischen Ära (vgl. auch II). Das 504. Jahr der Ära fiel auf das Jahr 787/788.[13] Die griechische Schrift des koptischen Vertrages kann mit dem Präskript von P.KRU 91 (Theben, 781) verglichen werden, das in einem vom koptischen Teil deutlich abweichenden Stil geschrieben wurde. [14] Besonders auffallend ist die Ähnlichkeit des Deltas und der Epsilon-Tau-Ligatur in den beiden Texten. Zum sogenannten „graphischen Bilingualismus“ in koptischen Dokumenten vgl. J. Crom­well, Aristophanes Son of Johannes: An Eight-Century Bilingual Scribe? A Study on Graphic Bilingualism, in: A. Papaconstantinou (Hrsg. ), The Multilingual Experience in Egypt, from the Ptolemies to the Abbasids, Burlington 2010, 221–232 und
J. Cromwell, Coptic Texts in the Archive of Flavius Atias, ZPE 184 (2013) 280–288, bes. 284–288.

2 ] ̣φε̣ν̣τακοσιοστή̣: Die ersten Buchstabenreste könnten zu dem vertikalen Strich eines ε oder eines σ gehören. Keiner dieser Buchstaben lässt sich mit den bekannten Formularen der Diokletianischen Ära vereinen, aber es könnte sich um eine grammatikalisch inkorrekte Endung handeln, vgl. unten. Für mögliche Fomulare der Diokletianischen Ära vgl. F. Mitthof, Ein neues Formular für die Diokletianische Ära, Tyche 21 (2006) 169–171. Nach dem klaren φ kommt ein Buchstabe, der am ehesten einem θ ähnlich ist; die Buchstabenkombination φθακοσιοστ scheint jedoch unmöglich zu sein. So wird man die Lesung eines etwas unbeholfenen ε er­wägen: Der Schreiber hat den Buchstaben wohl korrigiert. Am Ende des waagerechten Striches dieses Buchstabens ist ein runder Fleck zu sehen, der als ein dekoratives Element (wie im θ der nächsten Zeile) oder als ein ο oder ν gedeutet werden kann. Über dem zweiten τ in φε̣ν̣τακοσιοστ scheint ein hochgestellter Buchstabe zu sein, vielleicht ein η. So kann man zur Lesung φε̣ν̣τακοσιοστὴ̣ (l. πεντακοσιοστὴ̣) τετάρτη kommen: „fünfhundert­vierte“. Für π > φ (mit Beispielen für πεντακοσίας > φεντακοσίας) vgl. F. T. Gignac, A Grammar of the Greek Papyri of the Roman and Byzantine Periods. Volume I: Phonology (Testi e Documenti per lo Studio dell’Antichità LV), Milano 1976, 90–91. In der Datierung eines Vertragspräskriptes ist diese Ordnungszahl in einer Jahresangabe nach der Dio­kletianischen Ära zu erwarten. Die Formeln fordern allerdings eine Konstruktion im Genitiv, die auf ein vorangehendes ἔτους bezogen ist. Die Verwechslung des Casus und des Genus läßt sich mangelnden Griechisch­kenntnissen des Schreibers zuschreiben, vgl. die häufige grammatikalische und phonetische Ver­wirrung in den griechischen Präskripten der koptischen Rechtsurkunden aus Jeme (P.KRU passim).

3 φιλοχ(ρίστου): Die Abkürzung φιλοχ( ) kommt in griechischen wie in koptischen Dokumenten mehrfach vor, s. z.B. P.Cair.Masp. III 67289 (Herkunft unbekannt, 6. Jh.), v 1; Förster, Wörterbuch (o. Anm. 3) s. v. φιλόχριστος.

Θηβαίδος: Dieser Text enthält meines Wissens die späteste Erwähnung der Thebais. Das bislang späteste griechische Dokument, das die Provinz erwähnt, liegt nach Auskunft der DDbDP (papyri.info) in P.Lond. IV 1332 aus dem Jahre 708 vor (Aphrodito; P.Lond. IV 1333 ist das Duplikat dieses Textes). Unter koptischen Dokumenten konnte ich keinen späteren Beleg finden als unseren Text.

II. P.Ryl.Copt. 175


Dieses Fragment einer koptischen ἐμφυτευτικὴ ὁμολογία aus dem Jahre 720/721

[15]

wurde folgendermaßen publiziert:

Ein Problem stellt die Interpretation der Buchstabenfolge ⲓ[...].ⲣⲓⲥⲧⲟⲩ in Z. 2 dar. In Anm. 4 wird bemerkt: „Before ⲣ possibly ⲭ. A local name?“ Nach der Parallele von P.Heid.inv. G 2735 R, 3 schlage ich anhand der publizierten Abbildung für Z. 2–3 folgende Lesung vor:

Am Anfang des Dokumentes fehlen die Invokation und die Angabe der Dio­kletianischen Ära.

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Zentrum für Altertumswissenschaften, Institut für Papyrologie
Universität Heidelberg
Marstallstaße. 6
69117 Heidelberg, Deutschland
lajos.berkes@zaw.uni-heidelberg.de

Lajos Berkes

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Tafel 2



* Ich danke Andrea Jördens für die Publikationserlaubnis des Heidelberger Papyrus und Jennifer Cromwell und Nikolaos Gonis für ihre wertvollen Hinweise. Die Studie entstand mit Unterstützung des Ungarischen Fonds für Wissenschaftliche Forschung (OTKA, NN 104 456: Classical Antiquity, Byzantium and Humanism. Critical Editions of Latin and Greek Sources with Commentary).

[1] PSI XIV 1425 (Oxyrhynchites [?], 5. Jh.), 2.

[2] PSI XIV 1425, 2; P.Bodl. I 62 (Herkunft unbekannt, 6.–7. Jh.), 1.

[3] Kaiser: P.Cair.Masp. I 67019 (Antinoopolis [?], ca. 548–549), 6 und 22; P.Cair.Masp. I 67009 (Antinoopolis oder Antaiopolis, ca. 567–570), 5; P.Cair.Masp. I 67005 (Antinoopolis, ca. 568), 5; P.Lond. V 1674 (Antinoopolis, 574), 1. Hochrangige Personen: P.Oxy. I 130 (Phakra [Oxyrhynchites], 548–549), 1; P.Cair.Masp. III 67289 (Herkunft unbekannt, 6. Jh.), v 1; P.Oxy. XXVII 2479 (Oxyrhynchos, 6. Jh.), 3; P.Münch. III 79 (Herkunft unbekannt, 6.–7. Jh.), 3. Der Zusammenhang in SB I 4848 (Arsinoites, 4.–7. Jh.), 7 und 9 und SB VI 8994 (Herkunft unbekannt, 6. Jh.), 21 ist unklar. In koptischen Texten wird der Ausdruck auch für Personen verwendet, s. die Belege in H. Förster, Wörterbuch der griechischen Wörter in den koptischen dokumentarischen Texten (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 148), Berlin, New York 2002, s. v. φιλόχριστος.

[4] J. Irmscher, Alexandria. Die christusliebende Stadt, BSAC 19 (1967–1968) 115–122; N. Gonis, Oxyrhynchus, the Christ-Loving City?, ZPE 129 (2000) 182. Papyrologische Belege für Alexandria: P.Oxy. LXIII (Alexandria, 494), 11; P.Paramone 15 (Alexandria, 592–593), 4; CPR XXIII 25 (Alexandria, 641), 11; für Oxyrhynchos: SB VI 8987 (Oxyrhynchos, 644–645), 1 (mit Gonis, op. cit.).

[5] P.Apoll. 69 (Herkunft unbekannt, 2. Hälfte 7. Jh.), 3; Gonis, Oxyrhynchus (o. Anm. 4) 182.

[6] Für Städte s. Gonis, Oxyrhynchus (o. Anm. 4) 182, Anm. 5. Für Personen und die kaiserliche Familie lassen sich Belege in Inschriften und literarischen Werken in großer Zahl finden.

[7] Ediert in: R. Vári, Zum historischen Exzerptenwerke des Konstantinos Porphyro­gennetos, BZ 17 (1908) 75–85, 78–84.

[8] Der Zusatz τῆς Θηβαίδος diente zur Unterscheidung von den unterägyptischen Städten gleichen Namens und kommt in Notarsurkunden des 6.–7. Jh. oft vor, vgl. F. Mitthof im Komm. zu P.Paramone 18, 3 (mit weiterer Literatur).

[9] Prinzipiell könnte man in den folgenden Dokumenten die Ergänzung des Adjektives φιλοχρίστου vor Θηβαίδος in einer Lücke erwägen: CPR XIX 13 (566), 6. Die hermopolitische Provenienz dieses Textes ist durch die Erwähnung der Thebais im Genitiv nicht nur wahrscheinlich, sondern gesichert, vgl. F. Mitthof, Urkundenreferat 2004 (1. Teil), APF 51 (2005) 285–333, 289–290. Die von Mitthof für Z. 6 vorgeschlagene Ergänzung würde platz­mäßig noch die vielleicht abgekürzte Ergänzung von φιλοχρίστου erlauben. P.Lond. V 1875 (Hermupolis, 615–616/630–631; Neuedition in N. Gonis, Two Hermopolite Leases of the Reign of Heraclius, ZPE 145 [2003] 203–206, 205–206), 3; P.Paramone 18 (Hermupolis, 641; zum Text vgl. N. Gonis: P.Paramone 18: Emperors, Conquerors and Vassals, ZPE 173 [2010] 133–135), 3. Es muss betont werden, dass die Ergänzung des Wortes φιλοχρίστου in den genannten Texten bloß eine Möglichkeit ist, da zurzeit beide Beispiele für die „christusliebende Thebais“ aus dem 8. Jh. stammen.

[10] Vgl. N. Gonis, K. A. Worp, P.Bodl. I 77: The King of Kings in Arsinoe under Arab Rule, ZPE 141 (2002) 173–176, 176 (Anm. zu Z. 2; mit weiterer Literatur).

[11] © Institut für Papyrologie, Universität Heidelberg.

[12] Zu Zahlen aus der arabischen Zeit vgl. H. Harrauer, Handbuch der griechischen Paläographie. Textband (Bibliothek des Buchwesens 20), Stuttgart 2010, 68–69.

[13] Zur Diokletianischen Ära s. R. S. Bagnall, K. A. Worp, Chronological Systems of Byzantine Egypt, Leiden, Boston 22004, 63–87.

[14] Ich danke Jennifer Cromwell für eine Einsicht in die Abbildung dieses Papyrus.

[15] Zur Datierung vgl. Bagnall, Worp, Chronological Systems2 (o. Anm. 13) 73.