Ekkehard Weber


Das römische Bürgerrecht des Apostels Paulus




Eigentlich ist zu diesem Gegenstand bereits alles Nötige und mehr als das gesagt worden[1]. Warum er dennoch hier wieder aufgegriffen wird, hängt damit zusammen, dass gerade in der letzten Zeit durchaus wichtige Arbeiten erschienen sind, die sich mit dieser Frage beschäftigen[2], und vielleicht doch die eine oder andere zusätzliche Überlegung vorgebracht werden kann.

Das erste und eigentliche Problem, das sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die Frage, wie Paulus — oder, genauer, seine Familie, denn er war nach seinem Zeugnis in Apg 22,28 römischer Bürger von Geburt[3] — zum römischen Bürgerrecht gelangt sein könnte. Wie schon seit Schürer wiederholt gesehen worden ist[4], gibt es dafür prinzipiell zwei Möglichkeiten. Die Familie des Paulus könnte römisches Bürgerrecht gehabt haben, weil sie das Bürgerrecht von Tarsos in Kilikien besitzt, und diese Stadt — möglicherweise — römisches Bürgerrecht erhalten hat. Es ist leicht erkennbar, dass diese Annahme gleich mit zwei Unsicherheitsfaktoren belastet ist. Wir haben keine Nachrichten darüber, dass Tarsos als Stadt für seine Bürger insgesamt jemals römisches Bürgerrecht erhalten habe [5], wenn dies auch nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Die Stadt hatte sich während der Bürgerkriegsereignisse des 1. Jh. v. Chr. zunächst treu auf die Seite Caesars gestellt und dann auf die der Triumvirn, gegen Brutus und Cassius, und hatte unter den Repressalien der Letzteren und ihrer Parteigänger schwer zu leiden gehabt. Es wäre also denkbar, dass sie für ihre teuer bezahlte Treue mit dem Bürgerrecht belohnt wurde. Wir wissen, dass Tarsos Steuerfreiheit und ähnliche Vergünstigungen erhalten hat, und tatsächlich lässt sich die Bezeichnung urbs libera (Plinius, nat. 5,92) am ehesten so verstehen. Eine finanzielle Entlastung mochte den Bürgern angesichts ihrer unmittelbaren fiskalischen Probleme und der Schäden aus der Vergangenheit auch weitaus willkommener gewesen sein als ein fernes römisches Bürgerrecht, dessen Wert sie in ihrer Mehrheit damals wohl kaum richtig einzuschätzen vermochten. Nach Appian, b.c. 5,7 machte Antonius Laodikeia und Tarsos frei und erließ ihnen sämtliche Steuern; allerdings setzt Appian an der zitierten Stelle gleichsam im selben Atemzug fort καὶ Ταρσέων τοὺς πεπραμένους ἀπέλυσε (Antonius) τῆς δουλείας διατάγματι. Wenn diese doch während der Kriegshandlungen in Sklaverei verkauften Tarser durch ein Dekret des Antonius iure Quiritium freigelassen worden waren, und dadurch nicht nur eine kriegsbedingte Repressionsmaßnahme der Gegner der Triumvirn bloß rückgängig gemacht wurde, könnten die Betreffenden, da sie auch keine dediticii waren, formal römisches Bürgerrecht erlangt haben. Eine weitere, freilich auch nur recht spekulative Möglichkeit wäre die Annahme, dass die Bürger von Tarsos durch Antonius das römische Bürgerrecht erhalten hätten, der sich auf diese Weise für die erwiesene Gastfreundschaft bei seinem so vielversprechenden Zusammentreffen mit Kleopatra in der ersten Jahreshälfte 41 v. Chr. erkenntlich zeigen wollte, aber auch dafür haben wir keine positiven Zeugnisse.

Kein ausreichendes Argument ist hingegen, dass wir, wie Susanne Pilhofer zu zeigen versucht hat[6] und ihr Vater in seinem zitierten Aufsatz wieder aufnimmt, keine ausreichende Zahl von römischen Bürgern in Tarsos oder ganz Kilikien nachweisen können. Es ist dies ein generelles Problem unserer Quellen. Römische Bürger in lokalen Grabinschriften, die am besten über die Verbreitung des Bürgerrechtes Auskunft geben könnten, sind für uns nur durch ein römisches Namensformular, konkret durch die Verwendung eines römischen oder auch ad hoc gebildeten Gentil­namens nachweisbar[7]. Wir können aber nicht davon ausgehen, dass Bewohner von Tarsos oder überhaupt die Menschen des hellenistischen Ostens in ihrem sozialen Umfeld und auf Grabinschriften stets die ihnen und ihrem Kulturverständnis eigentlich fremden römischen tria nomina geführt hätten. Mit anderen Worten: wir haben keinen Beweis dafür, dass Kilikier (oder Bewohnerinnen und Bewohner einer anderen Gegend des hellenistischen Ostens), die auf ihren Grabinschriften das gewohnte griechische Namensformular verwenden, nämlich Individualnamen und Vatersnamen, so wie sie in ihrer Umgebung bekannt waren, keine römischen Bürger gewesen wären[8]. Auch im 3. Jh., zu einem Zeitpunkt, zu dem durch die Constitutio Antoniniana praktisch alle Reichsbewohner das römische Bürgerrecht erhalten hatten, finden sich in Kilikien noch immer Menschen mit ihrem alten Namensformular[9].

Nehmen wir nun einmal trotz den skizzierten Unsicherheiten an, die Bürger von Tarsos hätten tatsächlich irgendwann zwischen Caesar und Antonius das römische Bürgerrecht erhalten. Bedeutet das aber, dass auch die „Bürger“ der in Tarsos ansässigen jüdischen Diasporagemeinde dieses Bürgerrecht erhalten hätten? Waren sie denn „Bürger von Tarsos“? Die Frage lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten, denn wenn wir für eine Stadt — Alexandria oder auch Antiochia — ausreichende Quellen haben, können wir trotzdem nicht davon ausgehen, dass anderswo — in Kyrene, Caesarea oder eben Tarsos — die Verhältnisse genau gleich geregelt gewesen wären. Das Problem des „passiven“ Wahlrechts in einer hellenistischen Gemeinde als einem wesentlichen Bestandteil des Bürgerrechts lag in der Notwen­digkeit, als Gemeindefunktionär Kulthandlungen, Opfer für die lokalen Gottheiten bis zum Herrscherkult vorzunehmen — ein Gräuel für jeden gläubigen Juden, auch wenn er dies vielleicht nur dem Namen nach sein mochte. Andererseits hatte er die Tempelsteuer nach Jerusalem und damit unter Umständen ins „feindliche Ausland“ abzuführen. Um dieser Schwierigkeit zu entgehen, hatten hellenistische Herrscher bereits sehr früh den jüdischen Gemeinden eine Sonderstellung eingeräumt: sie waren nicht verpflichtet (aber wohl auch nicht berechtigt), am politischen Leben und am Kult der Stadt teilzunehmen, erhielten dafür aber Privilegien vor allem im Bereich des Steuer- und Handelsrechts, die wieder den Neid und die Eifersucht der übrigen Bürger hervorriefen. Das ist jedenfalls eine der Ursachen, die etwa in Alexandria immer wieder zu Schwierigkeiten mit der lokalen Judengemeinde führten. Wie das nun in Tarsos geregelt war, wissen wir nicht[10]. Unabhängig aber davon, ob die Familie des Paulus in Tarsos voll integriert war oder den Teil einer jüdischen Sondergemeinde bildete: wir haben keinen Grund, an seiner Aussage (Apg 21,39) zu zweifeln [11]. Und mit den übrigen Bürgern der Stadt — immer vorausgesetzt, eine solche Verleihung hat tatsächlich stattgefunden — würde auch die Familie des Paulus das römische Bürger­recht erhalten haben. Jude zu sein, war dafür kein Hindernis.

Ähnlich schwierig ist die Frage nach der sozialen Stellung, die die Familie des Paulus in Tarsos eingenommen haben könnte. Da er in seinen Briefen selbst nichts ausdrücklich darüber sagt, sind die einzigen Anhaltspunkte wieder nur einige wenige Hinweise in der Apg, die zudem, wie es scheint, einer offenbar geradezu gefühlsmä­ßigen Interpretation unterliegen. Hier finden wir Paulus als einfachen Handwerker, Lederarbeiter oder „Zeltmacher“, der während seiner Missionsreisen gelegentlich auch in finanzielle Schwierigkeiten gerät und deshalb — wie in dem bekannten Beispiel in Korinth — gezwungen war, in diesem seinem erlernten Beruf sein Brot zu verdienen[12]. Andererseits war seine Familie aber imstande, ihn zum Studium nach Jerusalem zu schicken, wo er Schüler des großen Gamaliel gewesen sein soll[13]. Eine Schwester war in Jerusalem verheiratet[14]. Zusätzlich verfügte er auch wenigstens über Grundlagen einer griechischen Bildung, die ihm wohl bereits im Rahmen der üblichen Jugenderziehung in Tarsos zuteil geworden sein wird [15]. Es waren also keine kleinen Handwerker, die ihren Kindern kaum Lesen und Schreiben hätten beibringen können; die Familie scheint durchaus vermögend gewesen zu sein und, wie vielfach angenom­men wird, ihr Gewerbe im größeren Stil, gleichsam fabrikmäßig ausgeübt zu haben. Nicht ganz so abwegig scheint mir in diesem Zusammenhang die Vermutung, Paulus sei von seiner Familie enterbt worden, als in dieser seine christliche Missionstätigkeit bekannt wurde[16]. Vielleicht ist „enterbt“ ein zu starkes Wort, aber wenn seine Familie auch nur die finanzielle Unterstützung für seine Reisen eingestellt hat, fänden die gelegentlichen Geldprobleme des Paulus eine einfache Erklärung. In Jerusalem ist es nur ein Neffe, der ihn im Gefängnis besucht (Apg 23,16). Genau so würde noch heute eine Familie agieren, die zwar offiziell jeden Kontakt mit einem unerwünschten Verwandten abgebrochen hat, ihn aber in einem Fall der Not doch nicht allein lassen möchte. Vielleicht hat seine Familie gerade deswegen von dem geplanten Anschlag erfahren, weil die Attentäter von der eingetretenen Entfremdung wussten.

Der zweite denkbare Weg[17], auf dem die Familie des Paulus zum römischen Bürgerrecht gekommen sein könnte, führt über die Kriegsgefangenschaft, Sklaverei und Freilassung durch einen römischen Bürger. Danach müsste ein Vorfahr des Paulus bei irgend einer Militäraktion in Judäa in Gefangenschaft geraten und Sklave eines in und um Tarsos begüterten Römers, vielleicht sogar römischen Senators geworden sein [18]. Er erwies sich, vielleicht auf Grund seiner bisherigen beruflichen Erfahrungen, als besonders nützlich, zog im Rahmen seines peculium ein Zeltmacher­gewerbe auf und wurde mit den üblichen dreißig Jahren freigelassen, worauf er als Freigelassener — und römischer Bürger — das Geschäft nunmehr im eigenen Namen erfolgreich fortführte. Vorher und nachher mochten ihm die Beziehungen der Juden­gemeinde in Tarsos dabei nützlich gewesen sein. Sowohl das römische Bürgerrecht wie auch der relative, auf einem Gewerbebetrieb und nicht auf Grundbesitz basierende Wohlstand der Familie, einer Familie reicher Freigelassener und ihrer Nachkommen, erführe auf diese Weise eine einleuchtende Erklärung. Jedenfalls aber haben wir keinen Grund, Paulus das römische Bürgerrecht nur deshalb abzusprechen, weil wir für die Herkunft desselben keine unmittelbaren Zeugnisse haben[19].

Die erste Gelegenheit[20], bei der Paulus jedenfalls nach dem Autor der Apg auf sein römisches Bürgerrecht verweist, ergibt sich zu Philippi in Makedonien, Apg 16,12–40. Paulus und sein Begleiter Silas (Silvanus?) halten sich bei einer christlich gewordenen, aus Thyateira in der kleinasiatischen Landschaft Lydien (heute Akhısar, TR) stammenden „Purpurhändlerin“ auf [21]. Auf dem Weg zu einer vor der Stadt gelegenen Gebetsstätte — Philippi besitzt offenbar keine Synagoge — stoßen sie auf eine hellseherisch begabte Sklavin — παιδίσκην τινὰ ἔχουσαν πνεῦμα πύθωνα —, die sie beharrlich mit dem Ruf verfolgt „Diese Menschen sind Diener des höchsten Gottes, sie verkünden euch den Weg des Heils“. Obwohl das nicht wirklich kränkend ist, wird es auf die Dauer lästig, und so befiehlt Paulus im Namen Jesu Christi dem ihr innewohnenden Geist, sie zu verlassen[22]. Das geschieht natürlich prompt, doch verlieren die Besitzer dieser Sklavin dadurch ihre lukrative Einnahmequelle — sie scheinen sie als Wahrsagerin in einem Stand an einer der Ausfallsstraßen der Stadt vermarktet zu haben. Sie bemächtigen sich des Apostels und seines Begleiters und schleppen sie auf die Agora ἐπὶ τοὺς ἄρχοντας, also wohl vor die duoviri der colonia, mit der probaten Beschuldigung, dass sie Juden und Unruhestifter seien [23]. Die jetzt στρατηγοί genannten Beamten ordnen öffentliche Stockschläge — ἐκέλευον ῥαβδί­ζειν — und strenge Bewachung im Kerker an. In der Nacht aber ereignet sich — eine typische eingeschobene Wundergeschichte — ein Erdbeben, wodurch auch der Kerker schwer beschädigt wird. Der besorgt herbeieilende Kerkermeister erfährt, dass seine Gefangenen nicht geflohen sind, obwohl ihnen das möglich gewesen wäre, sondern römische Bürger, die man nicht hätte schlagen dürfen. Paulus und Silas bestehen nun darauf, dass die städtischen Behörden sich bei ihnen entschuldigen und sie persönlich freilassen. Das geschieht auch, wenn ihnen auch nahegelegt wird, die Stadt zu verlassen. Demonstrativ tut Paulus dies nicht sofort, sondern verabschiedet sich zunächst ausführlich von seiner Gastgeberin[24].

Mit dieser Geschichte verbindet sich das vielfach angesprochene und auch als Argument gegen sein römisches Bürgerrecht verwendete Problem, warum Paulus sich zunächst scheinbar widerspruchslos hat prügeln und einsperren lassen, und erst dann auf sein Bürgerrecht verweist, als der Gefängnisdirektor ganz überrascht und erleichtert feststellt, dass seine Gäste nicht geflohen sind. Dieses Problem stellt sich aber nur für realitätsfremde Stubengelehrte. Es liegt doch auf der Hand, dass die städtischen Behörden, angesichts der heftig vorgebrachten Beschuldigungen und einer aufgeputschten Menge, die sich aus der Vorgangsweise gegen unbekannte Fremde eine willkommene Unterhaltung verspricht, zunächst keine Fragen stellen (und vermutlich jeden auch nur scheinbaren Widerspruch sofort im Keim ersticken), sondern zuerst nützliche Prügel anordnen und die Delinquenten in den Kerker werfen lassen [25]. Fragen kann man dann immer noch.

Auch die weitere Schilderung in der Apg ist durchaus stimmig. Dass sich die duoviri persönlich entschuldigen kommen, hätte vermutlich nicht einmal einer aus­drücklichen Forderung bedurft, denn eine Beschwerde des Paulus in Rom oder auch nur beim Statthalter hätte sehr unangenehme Folgen nach sich ziehen können[26]. Andererseits ist auch aus diesem Grund ihr Wunsch sehr verständlich, die Fremden, die Unruhe in der Stadt hervorgerufen haben, mögen diese so schnell wie möglich verlassen, und ebenso, dass Paulus es nicht sofort tut, um die Ungerechtigkeit der ihm widerfahrenen Behandlung zu unterstreichen.

Eine zweite in diesem Zusammenhang immer wieder gestellte Frage ist, wie denn Paulus sein Bürgerrecht nachgewiesen habe, und man begegnet Vorstellungen von einer Papyrusrolle als Auszug aus einem Geburtsregister (in Tarsos?), einem gesiegel­ten Diptychon oder gar Bronzetäfelchen nach dem Muster der bekannten Militär­diplome. Paulus habe in Philippi diese Urkunden nicht bei sich gehabt, sondern sie erst aus dem Gepäck in seiner Unterkunft herbeischaffen müssen, weshalb er nicht gleich auf sein Bürgerrecht habe verweisen können. Alle diese Vorstellungen gehen wieder an der antiken, konkret römischen Realität vorbei. Wer von sich behauptete, römischer Bürger zu sein, hatte vor allen Behörden als ein solcher zu gelten, es sei denn, in einem besonderen Feststellungsverfahren, einer Art quaestio status konnte das Gegenteil nachgewiesen werden[27]. Die Kehrseite waren die schweren Strafen, die für unberechtigte Anmaßung des römischen Bürgerrechtes verhängt wurden [28].

Bemerkenswerter Weise scheint es in der Apg zu diesem Ablauf der Ereignisse eine Parallele zu geben. Bei einer seiner späteren Missionsreisen [29] hielt sich Paulus offenbar längere Zeit in Ephesos auf, wo seine Missionstätigkeit so erfolgreich war, dass die Menschen ihre wertvollen Zauberbücher freiwillig ins Feuer warfen (Apg 19,19; eine Parallele zur wahrsagenden Sklavin in Philippi, die auch wegen Paulus ihre Fähigkeit verliert). Dann kommt es zu der bekannten Affäre mit dem Silber­schmied und Devotionalienhändler Demetrius, der auch um sein Geschäft fürchtet und einen Aufruhr hervorruft, der zu einer stürmischen Sitzung im Theater von Ephesos führt. Paulus wird hier durch Freunde und „einige hohe Beamte der Provinz Asien“[30] daran gehindert, sich selbst dem Volkszorn auszusetzen. Schließlich gelingt es dem γραμματεύς, die Ordnung wieder einigermaßen herzustellen; sollten Demetrius und seine Anhänger Grund zu einer Klage haben, könnten sie diese in gebührender Form vor ein städtisches Gericht oder vor den Prokonsul bringen. Darauf verlässt Paulus Ephesos (Apg 20,1). Von einigen Forschern wird nun mit Recht angenommen, dass vor dieser Abreise eine vielleicht mehrmonatige „Gefangenschaft“ des Paulus in Ephesos liegen könnte, die wir uns freilich nicht in der Form einer strengen Kerkerhaft vorstellen dürfen, sondern als custodia libera, eine Art Haus­arrest, mit der ein (römischer) Bürger und Gemeindefunktionär von Ephesos die Garantie übernahm, dass sich der Beschuldigte dem geplanten Prozess stellen würde [31]. Es liegt auf der Hand, dass Demetrius Paulus nicht so leicht davonkommen lassen wollte, und aus einer späteren Bemerkung erfahren wir, dass diesem auch Schwierigkeiten von Seiten der Juden gemacht worden waren (Apg 20,19 und vorher schon 19,9). Wie in Philippi und anderswo haben aber die städtischen Behörden jetzt das Problem, was sie mit diesem Paulus anfangen sollen. Demetrius will eine Bestra­fung, doch gibt es keinen rechten Grund dafür, in innerjüdische Streitigkeiten wollen sie sich nach dem löblichen Beispiel des Prokonsuls L. Iunius Gallio in Korinth nicht einmischen (Apg 18,12–16), und die bequeme Lösung, ihn zur allgemeinen Befrie­digung öffentlich prügeln zu lassen, verbietet sich, weil er römischer Bürger ist. Bevor also ein Prozess erneut unliebsames Aufsehen verursacht und womöglich den Prokonsul zum Einschreiten veranlasst, verfallen sie nach einigem Zuwarten auf einen noch bequemeren Ausweg: sie legen Paulus nahe, aus Ephesos zu verschwinden und sich nie wieder blicken zu lassen. Das ist der Grund, warum Paulus bei seiner Rück­reise Ephesos so auffällig vermeidet und die „Ältesten“ zu sich nach Milet kommen lässt, Apg 20,17. Damit enthält auch die Ephesos-Episode zumindest impli­zit einen Hinweis auf das Bürgerrecht des Paulus[32].

Die zweite Gelegenheit, bei der nach Philippi in der Apg ausdrücklich auf ein römisches Bürgerrecht des Paulus Bezug genommen wird, ist der zentrale Abschnitt von seiner Festnahme in Jerusalem bis zur Überstellung nach Rom[33]. Bei einem Besuch im Tempel wird Paulus durch Provokateure gezielt beschuldigt, er habe — Tage zuvor — einen seiner heidnischen Begleiter in den Tempel mitgenommen; der entstehende (und zweifellos geschürte) Aufruhr ruft die römische Militärpolizei auf den Plan, die Paulus sehr erfreut festnimmt, weil sie glaubt, einen gesuchten Terroris­ten aus Ägypten erwischt zu haben. Nach einem kurzen Zwischenspiel — Paulus erklärt seine Herkunft aus Tarsos in Kilikien und darf zum Volk sprechen, was aber durch den unvorsichtigen Hinweis auf seine Missionstätigkeit erneut heftige Reak­tionen hervorruft — wird nach dem bewährten Verfahren zunächst auch hier eine Auspeitschung angeordnet. Diesmal gelingt es Paulus aber gerade noch rechtzeitig, auf sein römisches Bürgerrecht aufmerksam zu machen (Apg 22,25). Im Verhör mit dem kommandierenden Tribun kommt es zu der hübschen Szene, in der dieser frei­mütig bekennt, sein Bürgerrecht um viel Geld gekauft zu haben, während Paulus als solcher geboren wurde (Apg 22,27–29). Danach wird Paulus, nicht zuletzt wegen der gegen ihn bekannt gewordenen Attentatspläne, unter schwerer Bedeckung an den Statthalter nach Caesarea überstellt. Im Begleitschreiben weist der Tribun Lysias sowohl auf das Bürgerrecht des Paulus hin wie auf die Tatsache, dass es sich bei den Anklagen gegen ihn um eine innerjüdische Angelegenheit handle, und seine Sicher­heit in Jerusalem nicht garantiert werden könne (Apg 23,26–30)[34].

Die folgenden Ereignisse, Anklage- und Verteidigungsreden sind für unser Anlie­gen nicht unbedingt relevant, mit Ausnahme der Tatsache, dass der Statthalter (M.) Antonius Felix, wie seinerzeit die Behörden in Ephesos, nicht weiß, was er im Fall des Paulus tun soll. Eine nach römischem Recht relevante Anklage liegt trotz den Bemühungen eines — anscheinend römischen — Anwalts nicht vor[35], und einfach beenden kann er das Verfahren auch nicht, weil er in diesem Fall mit heftigen Protesten von Seiten der Juden bis zur Person des Hohenpriesters rechnen muss. Gerade weil Felix in der Vergangenheit teilweise recht brutal gegen Unruhestifter vorgegangen war und vielleicht sogar einen Hohenpriester durch Attentäter hatte umbringen lassen[36], kann er jetzt nicht gleich wieder solche Schwierigkeiten riskieren. Er kann also wieder nur versuchen, Zeit zu gewinnen.

Das ändert sich, als Felix vermutlich 60 n. Chr. durch Porcius Festus als Statthal­ter abgelöst wird[37]. Dieser versucht wenigstens vordergründig, beiden Seiten gerecht zu werden, und bietet Paulus an, den Prozess unter seinem Vorsitz in Jerusalem abzuführen [38]. Paulus aber fürchtet erneut einen Angriff auf sein Leben und entschließt sich zur äußersten Maßnahme, die ihm als römischem Bürger offensteht: Καίσαρα ἐπικαλοῦμαι (Apg 25,11).

Es ist keine Frage, dass diese Appellation an den Kaiser, für die wir hier in der Apg anscheinend den ältesten und deutlichsten Einzelbeleg haben [39], ohne ein römisches Bürgerrecht des Paulus nicht denkbar wäre. Die Gegner eines Bürger­rechtes müssen daher zu Recht verzweifelten Erklärungsmodellen greifen, indem sie die ganze Schilderung ins Reich der Fabel verweisen, eine Romreise des Paulus über­haupt in Frage stellen oder andere Gründe suchen müssen, die den Statthalter zu einer Überstellung nach Rom veranlasst haben könnten [40]. Dadurch aber verliert die ganze Apg, jedenfalls was die Paulus-Erzählung betrifft, denn doch ihre Grundlage. Die eingangs erwähnten Unsicherheiten bezüglich der Herkunft eines Bürgerrechtes des Paulus lassen sich weitaus leichter erklären, als die offenbar auf vorgefassten Meinungen basierenden und eigentlich unbegründeten Versuche, dieses Bürgerrecht in Zweifel zu ziehen.

Es fehlt auch nicht an Versuchen, Hinweise für oder gegen ein Bürgerrecht in den Briefen des Paulus selbst zu finden. Für ein Bürgerrecht scheint manchen Erklärern Röm 13,1–7 zu sprechen, der den Empfängern die Unterordnung unter die staatliche Gewalt[41] und sogar das redliche Steuerzahlen nahelegt. Doch ist das sicher nicht zwingend, zumal sich dieser Gedanke auch in der bekannten (jedoch späteren) Stelle Mk 12,14–17 findet. Gegen ein Bürgerrecht versucht Peter Pilhofer[42] Phil 3,20 heranzuziehen, mit dem Argument, so könne ein römischer Bürger nicht gegenüber Menschen geschrieben haben, die dieses Bürgerrecht nicht gehabt, seinen Wert aber wohl erkannt hätten[43]. Aber auch das ist bloße Interpretation, ließe sich auch anders verstehen und geht vor allem von der Annahme aus, dass die Adressaten des Briefes an die Christen in Philippi, immerhin Bewohner der colonia Iulia Augusta Philippen­sium[44], allesamt Nichtbürger gewesen wären, was aber doch recht unwahrscheinlich ist [45].

In der von mir eingesehenen Literatur, aber auch in den Gesprächen bin ich wiederholt der überraschenden Vorstellung begegnet, dass Theologen der Schrift eher kritisch gegenüber stünden, während Althistoriker ihren Quellen, auch wenn es sich, wie fast immer, um „Tendenzliteratur“ handelt, so lange glauben, wie sich Abweichendes nicht einigermaßen plausibel nachweisen lässt. Diese Arbeit mag erneut als Beweis dafür dienen — hier stehe ich, und kann nicht anders.

 

- - - - - - - - - - - -- - - - - -- - - - - -- - - - - -- - - - - -- - - - -

Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde,
Epigraphik und Papyrologie
Universität Wien
Universitätsring 1
A-1010 Wien
ekkehard.weber@univie.ac.at

Ekkehard Weber

- - - - - - - - - - - -- - - - - -- - - - - -- - - - - -- - - - - -- - - - - -

 



[1] Es ist daher weder möglich noch sinnvoll, die gesamte, sehr umfangreiche Literatur auch nur der letzten Jahrzehnte dazu anzuführen. Dabei stehen alle wesentlichen Argumente, die für oder gegen ein Bürgerrecht des Paulus sprechen, eigentlich schon bei Schürer (E. Schürer, Geschichtedes jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi 3, Leipzig 1909, 121–134; vgl. die englische Ausgabe The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ, revised and edited by G. Vermes, F. Millar and M. Goodman, Edinburgh 1972–1987, 126–137); an jüngeren Arbeiten ist, neben den gleich in der nächsten Fußnote angeführten, vor allem zu nennen das grundlegende und materialreiche Buch von H. Omerzu, Der Prozess des Paulus. Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung zur Apostelgeschichte, Berlin, New York 2002. Wichtig in unserem Zusammenhang auch K. Haacker, Zum Werdegang des Apostels Paulus: Biographische Daten, ANRW II 26.2/2 (1995) 815–938 und 1924–1933; J. Taylor, The Roman Empire in the Acts of the Apostles, ebd. 26.3/3 (1996) 2463–2500, sowie (für viele andere) der Kommentar zur Apostelgeschichte von C. K. Barrett, The Acts of the Apostles 1–2, Edinburgh 1994 und 1998. Von den neueren monographischen Darstellungen soll angeführt werden O. Wischmeyer (Hrsg.), Paulus. Leben — Umwelt — Werk — Briefe, Tübingen, Basel 2006. Ältere Literatur findet sich in den genannten und noch zu nennenden Arbeiten. Nichts für unser Anliegen findet sich bei R. Hoppe, K. Köhler (Hrsg.), Das Paulusbild der Apostel­geschichte, Stuttgart 2009, und R. P. Seesengood, Paul, A Brief History, Oxford 2010. Auch wenn der Eindruck entsteht, dass sich Befürworterinnen und Befürworter — die genderkon­forme Formulierung erscheint mir jedenfalls seit dem Buch von Omerzu geradezu als Notwen­digkeit — und Gegner(innen?) eines Bürgerrechtes für den Apostel Paulus in etwa die Waage halten, so hat es doch den Anschein, als würden in der neueren Theologie — und nicht nur in dieser, vgl. K. L. Noethlichs, Der Jude Paulus — ein Tarser und Römer?, in: R. von Haehling (Hrsg.), Rom und das himmlische Jerusalem. Die frühen Christen zwischen Anpassung und Ablehnung, Darmstadt 2000, 53–84 — die kritischen Stimmen überwiegen; siehe dazu gleich auch die nächste Anm.

[2] Die letzte mir bekannt gewordene Arbeit und damit der unmittelbare Anlass für meine Überlegungen ist P. Pilhofer,Einer der 5984072? Zum römischen Bürgerrecht des Paulus, in dem von ihm herausgegebenen Sammelband: Neues aus der Welt der frühen Christen, Stuttgart 2011, 63–75, der sich gegen ein römisches Bürgerrecht des Paulus ausspricht (der originelle Titel bezieht sich darauf, dass bei der Volkszählung unter Claudius 48 n. Chr. eben diese Zahl an römischen Bürgern festgestellt worden war, Tac. ann. 11,25,5). Nicht unterschätzt werden sollte auch der Einfluss von Ekkehard (und/oder?) Wolfgang Stegemann, DNP 9 (2000) 435 („eher unwahrscheinlich“) als Aussage des derzeit maßgeblichen Fachlexikons; Wolfgang Stegemann hat sich auch sonst mehrfach ablehnend geäußert. Positiv dagegen noch K. Wegenast, KlP 4 (1979) 563 und E. Fascher, RE Suppl. 8 (1956) 434, allerdings ohne Diskussion der möglichen Probleme; nur mit Hinweis auf die Angaben in der Apg http://de.wikipedia.org/wiki/Paulus_von_Tarsus (12.1.2012). Peter Pilhofer (Erlangen) danke ich für seine wiederholte Diskussionsbereitschaft auf E-Mail-Basis (gleichsam wechselseitige „Bekehrungsversuche“ angesichts unserer unterschiedlichen Auffassungen), Martin Stowasser und Markus Öhler (Wien) für nützliche Gespräche, Richard Gamauf wie so oft für gute Ratschläge und Philipp Scheibelreiter (beide ebenfalls Wien) auch für seine Hilfe bei der Literaturbeschaffung — und nicht zuletzt dem prüfenden peer für seine zusätzlichen Hinweise.

[3] Ἐγὼ δὲ καὶ γεγέννημαι; diese Aussage des Paulus lässt sich auch aus dem gegebenen Zusammenhang nicht anders verstehen.

[4] Vgl. z.B. auch Noethlichs (wie Anm. 1) 64–68 mit weiterer Literatur.

[5] Die informativste Darstellung noch immer von W. Ruge, RE 4A (1932) 2413–2439.

[6] S. Pilhofer, Romanisierung in Kilikien? Das Zeugnis der Inschriften, München 2006.

[7] Dass selbst die Verwendung der tria nomina keinen hundertprozentigen Beweis für ein römisches Bürgerrecht seines Trägers darstellt, lasse ich hier beiseite. Es scheint mir dies eher ein Problem der modernen Forschung als des antiken Namensrechts zu sein: nicht jeder Römer, den wir im Besitz eines beliebigen Gegenstandes antreffen, hat diesen gestohlen. Gerade die wenigen Fälle, in denen wir den abusiven Gebrauch eines römischen (oder römisch wirkenden) Gentilnamens nachweisen können, zeigen, dass wir im Regelfall relativ zuversichtlich von einem Bürgerrecht ausgehen können. Die Flottensoldaten in Italien mögen ein Sonderfall sein; aufschlussreich dazu z.B. BGU II 423 = W.Chr. 480; B. Palme, Die classis praetoria Misenen­sis in den Papyri, in: P. Amann, M. Pedrazzi, H. Taeuber (Hrsg.), Italo-Tusco-Romana (Fest­schrift für Luciana Aigner-Foresti), Wien 2006, 285–287 (der Flottensoldat Apion, Sohn des Epimachos aus Philadelphia in Ägypten fügt einem Brief an seinen Vater das Postscriptum hinzu: Ἔσ[τ]ι̣[ν] μου ὄνομα Ἀντῶνις Μάξιμος). In unserem Zusammenhang noch deutlicher CIL X 3377 = ILS 2839 = Pilhofer (Anm. 6) 167f.Q 44: L. Antonius Leo qui et Neon Zoili f. natio(ne) Cilix.

[8] Das gilt natürlich nicht für Soldaten, die in einem anderen Umfeld sozialisiert worden sind, auch wenn sie nach Beendigung ihrer Dienstzeit wieder in ihre Heimat zurückkehren (eine Liste bei Pilhofer 244–247, Tabelle 2); aufschlussreich hier L. Aurelius Taruttienus Demetrius, Tribun der legio IIII Scythica, ὁ πρότερον χρηματίσας Δημήτριος Δημητρίου (Pilhofer 149–151 Q 31, Ende 2. Jh.). Obwohl im Besitz des römischen Bürgerrechts und sogar römischer Ritter, gibt er in seinem heimatlichen Umfeld zusätzlich sein altes Namensformular an. Nur dieses nennt noch im 3. Jh. (!) Toues, Sohn des Nineis, ein prominenter Bürger und Funktionär der Stadt Laertes in Pamphylien (Pilhofer 147f. Q 29, 3. Jh.). Andererseits lässt sich zeigen, dass es Kilikier mit römischem Bürgerrecht gibt, die keineswegs einer elitären Ober­schicht angehörten (Pilhofer 148f. Q 48): ein Flötenspieler aus Tarsos, selbst wenn er ein gefeierter Solist gewesen sein sollte, gehörte damals sicher nicht der Oberschicht an (er war angesichts der fehlenden Filiation sogar mit ziemlicher Sicherheit Freigelassener). Womit wir glücklich beim nächsten Problem, dem der sozialen Stellung der Familie des Paulus, angelangt wären. Dazu gleich im Anschluss.

[9] Z.B. der schon genannte Toues aus Laertes (Pilhofer 147f. Q 29). Natürlich liegt hier die Gefahr von Zirkelschlüssen besonders nahe: Inschriften, die keine tria nomina aufweisen, werden unbesehen in die Zeit vor 212 n. Chr. gesetzt; Inschriften mit diesen (und gar der Nennung von Aurelii) ebenso zuversichtlich in die Zeit danach.

[10] Seleukos Nikator hatte Juden in allen von ihm gegründeten Städten angesiedelt und ihnen das lokale Bürgerrecht zugestanden; für Tarsos diesbezüglich kritisch Ruge (Anm. 5) 2421. Dio Chrysostomus, or. 34,21–23 überliefert uns die seltsame Nachricht, dass bestimmte Textilarbeiter, λινουργοί, in Tarsos nicht das volle Bürgerrecht gehabt hätten (obwohl dieses für 500 Drachmen zu haben wäre), was für die Profession der Familie des Paulus nicht unwichtig ist. Alexandria und Kyrene mochten wegen der Größe der dortigen Judengemeinden eine Sonderstellung einnehmen; andererseits kann ich mir nicht vorstellen, dass in dem vom Landesfürsten Herodes gegründeten Caesarea die Bürger des eigenen Landes diskriminiert gewesen sein sollten; vgl. Monika Bernett, Herodes und die Stadt in Judäa, in: L.-M. Günther (Hrsg.), Herodes und Rom, Stuttgart 2007, 47–57 (zu unserem Problem 47–49) und Günther selbst, Herodes, Caesar (Augustus) und Caesarea, ebd. 79–89 (88f.). Zu Antiochia vgl. bes. Ios. ant. Iud. 12,119. Vielfach mochte die Stellung der Juden in den einzelnen Städten eine Frage ihrer Anzahl sein; einzelne jüdische Bürger oder kleine Gruppen fielen vielleicht nicht besonders auf, auch wenn sie gewisse Ausnahmeregelungen für sich in Anspruch nahmen. Dass jüdische Jugendliche an den Übungen im Gymnasium teilnahmen, wissen wir aus dem origi­nellen Umstand, dass angesichts der dort vorgeschriebenen Nacktheit ihre Beschneidung auffiel und zu Spott Anlass gab, 1 Makk 1,14f. und Ios. ant. Iud. 12,241. Es gab sogar eigene Opera­tionen, mit denen man die Beschneidung unkenntlich zu machen versuchte.

[11] Ἐγὼ ἄνθρωπος μέν εἶμι Ἰουδαῖος Ταρσεὺς τῆς Κιλικίας οὐκ ἀσήμου πόλεως πολίτης. In einigen Handschriften der Apg (der „westlichen“ Gruppe) fehlt allerdings dieser ausdrück­liche Hinweis (οὐκ — πολίτης); dazu Noethlichs (Anm. 1) 66 mit Anm. 43, doch müssen alle Erklärungsversuche für dieses Fehlen (oder Gründe für eine nachträgliche Einfügung) zwangsläufig Spekulation bleiben. Skeptisch bezüglich eines tarsischen (Voll-)Bürgerrechts auch Omerzu (Anm. 1) 36 und Fußnote 92 mit der Angabe weiterer Literatur. Kann über die genaue Bedeutung von πολίτης an dieser Stelle vielleicht noch diskutiert werden, ist das municeps des lateinischen Textes eigentlich eindeutig.

[12] Wenn auch bei den wohlwollenden Judenchristen Aquila und Priscilla, die durch das Edikt des Claudius (Suet. Claud. 25,4) aus Rom vertrieben worden waren, Apg 18,2f. Diese Stelle ist für Paulus als Handwerker das wichtigste Zeugnis, doch finden sich auch in seinen Briefen gelegentlich Hinweise, dass er arbeite, um den Gemeinden nicht zur Last zu fallen, 1 Thess 2,9; 1 Kor 4,12 (vgl. dort auch 9,15 und Apg 20,34). Auch andere Bemerkungen deutet W. Stegemann, Zwei sozialgeschichtliche Anfragen an unser Paulusbild, in: Der evangelische Erzieher 37, 1985, 480–490 und War der Apostel Paulus römischer Bürger?, in: ZNW 78 (1987) 200–229 (vgl. auch Stegemann, Anm. 1, 435f.) auf eine Herkunft aus der Unterschicht, doch sollten Begriffe wie κόπος und Verwandtes im gegebenen Zusammenhang nicht über­bewertet werden, und anscheinend gab es eine pharisäische Tradition, dass auch Rabbiner ein Handwerk lernen sollten. Allgemein von Geldproblemen des Paulus spricht Noethlichs (Anm. 1) 58. Wenn Paulus andererseits anbietet, für einen finanziellen Schaden einzustehen, den der Sklave Onesimus verursacht hat (Phm 19), ist das wieder kein Beweis für ein etwa vorhandenes Vermögen. Er konnte zuversichtlich davon ausgehen, dass Philemon diese Forderung nicht wirklich an ihn richten würde.

[13] Apg 22,3. Es muss nicht darauf hingewiesen werden, dass auch diese Angaben, wie fast alle in der Apg, von kritischen Forschern bezweifelt werden.

[14] Apg 23,16 mit der Erwähnung eines offenbar bereits erwachsenen oder wenigstens halbwüchsigen Neffen.

[15] Zum allgemein hohen Bildungsniveau in Tarsos vgl. Strabon, 14,13. Es fehlt aber wieder nicht an Stimmen, die Paulus nicht nur Hebräisch- oder Aramäischkenntnisse (gegen Apg 21,40), sondern jegliche höhere Bildung absprechen („es finden sich keinerlei Spuren griechischer Bildung“, Noethlichs — wie Anm. 1 — 58). Anders jedoch Stegemann (Anm. 1) 435. Ist denn seine Tätigkeit und sein literarisches Werk ohne wenigstens Grundkenntnisse der Rhetorik, der (vor allem stoischen) Philosophie und, bei einem als Pharisäer ausgebildeten Menschen, der Tora denkbar?

[16] Diese These („eine Enterbung ist nicht ausgeschlossen“) bei R. Riesner, Die Frühzeit des Apostels Paulus, Tübingen 1994, 131 mit Anm. 16; dagegen Omerzu (Anm. 1) 47 Anm. 146.

[17] Einen dritten möglichen Weg, nämlich durch schlichten Kauf des Bürgerrechtes bzw. Bestechung von Subalternbeamten in Rom, die über entsprechende Möglichkeiten verfügten — vgl. Cassius Dio 60,17,6 (unter Claudius) — möchte ich mit Omerzu (Anm. 1) 36 ausschließen. Das würde bedeuten, dass der Vater des Paulus (oder Großvater, jedenfalls aber schon vor der Geburt des Paulus) und damit noch unter Augustus, wie das aus chronologischen Gründen erforderlich wäre, nicht nur über Geld und die entsprechenden Beziehungen nach Rom verfügt, sondern auch ein besonderes Interesse daran gehabt hätte, dieses Bürgerrecht überhaupt zu erlangen. Das halte ich für recht unwahrscheinlich, und die hübsche Szene Apg 22,28, in der das gekaufte Bürgerrecht des Tribunen (Ti.) Claudius Lysias (der Name findet sich erst 23,26) dem „römischen Bürger von Geburt“ Paulus gegenüber gestellt wird, würde dadurch deutlich entwertet — es sei denn, Lukas (oder wer immer der Autor der Apg gewesen sein mag) hätte einen solchen Ursprung des paulinischen Bürgerrechtes nicht mehr gekannt.

[18] Immerhin könnte sogar Augustus als Nachfolger und Erbe des Amyntas über Grundbesitz im „rauen Kilikien“ verfügt haben; S. Mratschek-Halfmann, Divites et prae­potentes, Stuttgart 1993, 259f. Bemerkenswerter Weise haben Hieronymus und Photius eine alte Tradition bewahrt, nach der die Familie des Paulus aus Gischala (Giš-Ḥalab) in Galiläa stammte und von dort durch kriegerische Ereignisse nach Kilikien verschleppt wurde; die Einzelheiten lassen sich jedoch nicht immer mit der Überlieferung der Apg in Übereins­timmung bringen. Quellenzitate und nähere Angaben bei Omerzu (Anm. 1) 37–39. Der Zeitpunkt, zu dem diese Verschleppung stattgefunden haben müsste, lässt sich nicht leicht bestimmen; eine Möglichkeit wäre unter Pompeius 63 v. Chr., womit die geschilderten Ereignisse bereits den Großvater des Paulus betroffen haben müssten. Warum es unwahr­scheinlich sein soll, dass die Familie des Paulus „mehr als ein halbes Jahrhundert in der Diaspora gelebt hätte“, Omerzu 38 mit Anm. 105, vermag ich nicht zu erkennen. Zu spät wären jedenfalls die Ereignisse unter Quinctilius Varus 4 v. Chr., wie gelegentlich vermutet wurde. Das würde zwar zu den Angaben bei Hieronymus und Photius passen, doch wäre Paulus dann kaum ein „römischer Bürger von Geburt“ (es sei denn, sein Vater hätte nur wenige Jahre nach seiner Gefangennahme die Freiheit erlangt, was vielleicht weniger wahrscheinlich, aber nicht unmöglich ist). Auch Omerzu 47 sieht eine Freilassung als die wahrscheinlichste Form eines Bürgerrechtserwerbs durch die Familie des Paulus an.

[19] Ich kann mich des Verdachtes nicht erwehren, dass hier noch immer die Vorstellung eine Rolle spielt, dass Paulus als „Handwerker“ einer Unterschicht zugerechnet werden müsse, die nicht so früh zum römischen Bürgerrecht gelangt sein könnte — was jedenfalls in dieser generellen Form auch nicht zutrifft, wie wir inzwischen wissen. Gerade die Hinweise des Paulus, dass er sogar als Handwerker arbeite, um den Gemeinden nicht zur Last zu fallen — vgl. bes. 1 Thess 2,9; siehe hier auch Anm. 12 — könnten darauf hindeuten, dass er nach seinem Selbstverständnis eigentlich Kreisen angehört, die dies nicht notwendig haben sollten.

[20] In der Literatur findet sich gelegentlich die verwunderte Frage, warum Paulus nicht schon früher — etwa in Lystra, wo er fast gesteinigt worden wäre, Apg 14,19 — auf sein römisches Bürgerrecht aufmerksam gemacht habe, um solchen Bestrafungen zu entgehen. Die Situation ist aber eine grundlegend andere: in Lystra sind es offensichtlich aufgehetzte Juden, die ihn lynchen wollen, und gegenüber Synagogenvorstehern und lokalen, nichtrömischen Behörden wäre eine Berufung auf sein Bürgerrecht nicht nur sinnlos gewesen, sondern hätte vielleicht sogar zusätzliche Aggressionen hervorgerufen.

[21] Die Parallele zum Gewerbe des Paulus bzw. seiner Familie ist nicht zu übersehen. Auch Lydia (Name!) ist offenbar eine Freigelassene und Chefin eines größeren Handelsbetriebes. Dass sie mit echtem Purpur zu tun hatte, ist nicht unbedingt notwendig, da auch andere rote Farbstoffe untechnisch als Purpur bezeichnet werden konnten; von den Bleietiketten aus einem Walker- und Färberbetrieb in Noricum weisen mehrere die Buchstabenfolge pur(pura?) auf; E. Römer-Martijnse, Römerzeitliche Bleietiketten aus Kalsdorf, Steiermark, Wien 1990 Nr. 14 und öfters. Krapp („Türkisch Rot“) wurde noch im 19. Jh. gerade in Westkleinasien kultiviert; Taylor (Anm. 1) 2448f. Einen pu]rpurari[us in Philippi nennt CIL III 664 = P.Pilhofer, Philippi 2: Katalog der Inschriften, Tübingen 2009, Nr. 646; die (unvollständige und verschol­lene?) Inschrift Pilhofer Nr. 697 mit der Nennung eines ausgerechnet aus Thyatira stammenden Purpurfärbers ist fast zu schön, um wahr zu sein (und wurde offenbar schon von Louis Robert bezweifelt).

[22] Wodurch die Szene gleichsam zu einem Kommentar von Mk 1,27 wird.

[23] Zu den Ereignissen in Philippi vgl. jetzt F. Tamburi, Paolo di Tarso e le comunità locali delle province romani, in: D. Mantovani, L. Pellecchi (Hrsg.), Eparcheia, autonomia e civitas Romana. Studi sulla giuristizione criminale dei governatori di Provincia, Pavia 2010, 133–169 (bes. 144–157). Sie sieht in den ἄρχοντες, ähnlich wie schon früher im Fall einzelner Gemeinden in Kleinasien, die Vorsteher der lokalen Judengemeinde, vor denen dieser Vorwurf wegen des sensiblen Verhältnisses zu den römischen Behörden besonders brisant sein musste, doch ist dies aus einer Reihe von Gründen wenig wahrscheinlich — ἄρχοντες ist hier doch eher als allgemeiner Begriff für die „Obrigkeit“ zu verstehen. Die Beschwerdeführer, keine Juden, beschränken sich auf diese allgemeinen und „publikumswirksamen“ Vorwürfe. Es fällt auf, dass sie keine Schadenersatzklage vorbringen, die unter Umständen möglich gewesen wäre. Allerdings stellt die Anwendung eines „Zauberspruchs“ — und als solcher müsste die Beschwörung durch Paulus wohl gewertet werden — auch nicht das volle Tatbild einer „körperlichen Einwirkung“ nach der lex Aquilia dar, und das Argument einer wahrsagenden Sklavin, deren Fähigkeiten beeinträchtigt worden waren, konnte sich durchaus als zweischnei­dig erweisen. Zu den gesetzlichen Maßnahmen gegen Wahrsager und Astrologen in der Kaiser­zeit vgl. J. Hille, Die Strafbarkeit der Mantik von der Antike zum frühen Mittelalter (Disser­tation Frankfurt am Main 1979) 54–71. Ein energisches, aber erwartungsgemäß wirkungsloses SC unter Claudius knapp nach den hier geschilderten Ereignissen, durch das die mathematici aus Italien vertrieben werden sollten, erwähnt Tac. ann. 12,52,2.

[24] Apg 16,11–40; dazu ausführlich Omerzu (Anm. 1) 111–166. Nicht ganz verstehen kann ich ihre Aussage 160 „Wahrscheinlicher (als dass die Behörden in Philippi sich über das Bürgerrecht des Paulus bewusst hinweggesetzt hätten, meine Einfügung) ist jedoch, dass Paulus in Philippi von sich aus darauf verzichtet hat, sein Bürgerrecht geltend zu machen; ganz sicher hat er es jedenfalls nicht erst im nachhinein beansprucht“. Die Darstellung der Apg ist hier weitaus schlüssiger.

[25] Das Gegenbeispiel ist Jerusalem, wo Paulus die Gelegenheit bekommt, sich sogar gegenüber seinen Anklägern zu rechtfertigen, und prompt erhöht das den Aufruhr nur noch, Apg 21,39–22,22. Auf mögliche dramaturgische Parallelen der Situation in Philippi zum Passionsbericht — Paulus lässt sich prügeln, weil auch Christus gegeißelt worden ist — ist schon hingewiesen worden, allerdings scheinen mir die Verhältnisse doch deutlich anders zu sein. Richtig ist aber, dass auch Pilatus Jesus geißeln lässt, nur um die Menge zu beruhigen, obwohl er keine Schuld an ihm gefunden hat, (am deutlichsten) Lk 23,20–22. Auch die Behör­den in Philippi wollen Paulus und seinen Begleiter freilassen, noch bevor sie von seinem Bürgerrecht erfahren haben. Wir können also davon ausgehen, dass Durchprügeln von römischen Behörden relativ freizügig angeordnet wurde, und sei es auch nur, um die eigene Autorität zu unterstreichen; vgl. auch Taylor (Anm. 1) 2454. Auf Parallelen in der späteren orientalischen Rechtsprechung (oder anderswo) hinzuweisen, versage ich mir.

[26] Es konnte eine Anklage (und Verurteilung) nach der lex Iulia de vi publica erfolgen: lege Iulia de vi publica damnatur, qui aliqua potestate praeditus civem Romanum ... necaverit necarive iusserit torserit verberaverit inve publica vincula duci iusserit , Paulus, sent. 5,26,1 (= FIRA II, Florenz 1940, 412); vgl. Ulpian Dig. 48,6,7. Der genaue Wortlaut scheint sich nur auf Fälle vorangegangener Appellation zu beziehen, doch galt das Gesetz in den Fällen magistra­tischer coercitio für Folter, Prügel- und Gefängnisstrafen ganz allgemein, Mommsen, StrR 663, um so mehr, wenn vorher keine Gelegenheit zu einer Appellation gegeben war. Für Nicht­bürger traf das selbstverständlich nicht zu. Wer allerdings am Bürgerrecht des Paulus zweifelt, wird zwangsläufig auch an dieser Entschuldigungstour der Oberbeamten zweifeln müssen. Es ist dies nur ein Beispiel dafür, wie durch eine Kritik gerade am Bürgerrecht charakteristische Aussagen der Apg ihre Grundlage verlieren.

[27] Es ist dies eine Sonderform des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, dass eine Behauptung — etwa auch im Bezug auf das Eigentumsrecht an einer Sache im Rahmen der rei vindicatio — auch vor dem Prätor so lange zu gelten hatte, wie der Beklagte diese Aussage nicht bestritt. Reste davon sind auch heute im Strafprozessrecht noch erhalten, nach dem ein Beschuldigter so lange als unschuldig zu gelten hat, wie seine Schuld nicht nachgewiesen ist. Im anglo-amerikanischen Prozessrecht geht das so weit, dass umgekehrt ein Geständnis den Prozess überhaupt unnötig macht: vgl. confessus pro iudicato habetur, Dig. 42,2,1 und öfters. Die bekannten Militärdiplome, die Auxiliarsoldaten nach Absolvierung einer bestimmten Dienstzeit (möglicherweise nur auf Verlangen) ausgestellt wurden und deren Bürgerrecht und conubium bezeugen, bestätigen nur dieses Prinzip: sie waren als Nachweis des Bürgerrechts in der alten Heimat der Soldaten, aber wohl auch in der Stationierungsprovinz notwendig, wo man sie noch als Nichtbürger kannte, und ihr Bürgerrecht unter Umständen bestritten werden konnte. Allge­mein zum Problem von (meist nicht vorhandenen) Personalstandsunterlagen J. F. Gardner, Proofs of Status in the Roman World, BICS 33 (1986) 1–14. Es fällt auf, dass römische Juristen und Kaiser sich teilweise sehr ausführlich mit der Frage Sklave/Freigelassener/Freier (Freige­borener) befassen, weitaus weniger aber mit der Frage Bürger/Nichtbürger.

[28] Peregrinae condicionis homines vetuit (Claudius) usurpare Romana nomina dumtaxat gentilicia. Civitatem Romanam usurpantes in campo Esquilino securi percussit ; Suet., Claud. 25,3.

[29] Nach der Überlieferung in der Apg ist es die dritte, doch ist bekanntlich die Chrono­logie der Reisen des Paulus recht unsicher und muss hier auch nicht geklärt werden.

[30] So die Einheitsübersetzung; τινὲς τῶν Ἀσιαρχῶν im giechischen Originaltext (19,31), was das Problem aufwirft, welche Funktionäre unter diesen „Asiarchen“ zu verstehen sein sollten; dazu Barrett (Anm. 1) 930. Ob es sich aber wirklich um die hochrangigen Vertreter der Provinz gehandelt hat, die diesen Titel trugen, oder allgemein um höhere Funktionäre der römischen Provinzialverwaltung (sogar der Statthalter ließe sich darunter verstehen) — man kann mit Recht fragen, wie Paulus zu dieser näheren Beziehung („Freundschaft“) gekommen sein will. War es nicht vielleicht doch sein römisches Bürgerrecht, das diese Herren zu ihrer Warnung veranlasste?

[31] Nach Apg 19,10 dauerte der Aufenthalt des Paulus in Ephesos zwei Jahre. Ich kann hier nicht auf die verschiedenen Überlegungen eingehen, die für eine solche Internierung in Ephesos sprechen; das stärkste Argument scheint mir in der Geschichte um Onesimus, den Sklaven des Philemon zu liegen, der mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit aus Kolossai kommend (vgl. Kol 4,9) Schutz bei Paulus sucht, und als Flüchtling ohne Hilfsmittel kaum nach Caesarea in Palästina (mehr als 1500 km) und schon gar nicht nach Rom gelangt sein kann, wie das von manchen Erklärern frohgemut angenommen wird. Kolossai ist hingegen von Ephesos etwa 210 km entfernt, also einen Fußmarsch von nur wenigen Tagen. Der Besuch des Onesimus und der ihm für seine Rückkehr ausgestellte Begleitbrief zeigen auch, dass die Haft nicht allzu streng gewesen sein kann. Paulus kann Besuche empfangen, er lehrt „täglich im Lehrsaal des Tyrannus“ (Apg 19,9; doch mag sich das auf die Zeit davor beziehen), und einige Mitarbeiter teilen mit ihm diese „Gefangenschaft“. Schwierigkeiten in der Provinz Asia erwähnt Paulus auch 2 Kor 1,8.

[32] Zu den Ereignisse in Ephesos wieder Tamburi (Anm. 23) 160–167.

[33] Apg 21,27–26,32; Omerzu (Anm. 1) 309–501.

[34] Zur Frage, ob es sich bei diesem Begleitschreiben um ein echtes Aktenstück handeln könnte, zu Recht kritisch Omerzu (Anm. 1) 407–413; zu diesbezüglich positiven Vermutungen ebd. Anm. 536f. Auch von inhaltlichen Überlegungen abgesehen entspricht es einfach antikem literarischem comment, dass Reden und Briefe nach den Vorstellungen des Autors stilisiert werden.

[35] Wirklich rechtsrelevant ist nur der Vorwurf der Tempelschändung und allenfalls der seditio/στάσις, doch ließ sich beides durch Zeugenaussagen offensichtlich nicht erhärten, zumal der „Aufruhr“ ja auch nicht von Paulus, sondern von seinen Gegnern verursacht wurde. Auch die Tempelschändung selbst wäre bestenfalls nur die Beihilfe zu einer solchen, doch hören wir auch nichts davon, dass es irgendwelche Maßnahmen gegen den (vorgeblich) eigentlichen Übeltäter, den Ephesier Trophimus gegeben habe — abgesehen davon, dass sich dieser wohl unverzüglich aus Jerusalem entfernt haben wird. Die einleitende captatio benevolentiae des Tertullus an die Adresse des Statthalters, „tiefen Frieden genießen wir durch dich“ (Apg 24,2 in der Einheitsübersetzung) muss (oder müsste, wenn die Rede in dieser Form wirklich gehalten worden wäre) in den Ohren der teilnehmenden Juden und der späteren Leser im Raum von Judäa angesichts des wiederholten harten Durchgreifens gerade dieses Statthalters (Belege gleich in der nächsten Anm.) wie bittere Ironie geklungen haben.

[36] Ios. ant. Iud. 20,162–172 und 177f.; bell. 2,252–263 und 270; an der zweiten Stelle schreibt Josephus allerdings nichts mehr davon, dass Felix den Mord am Hohenpriester Jonathan veranlasst habe.

[37] Zur Person und dieser Datierung PIR2 6 (1998) 367 P 858 (nach H.-G. Pflaum, Les carrières procuratoriennes équestres sous le Haut-Empire romain 3, Paris 1961, 1082) und W. Eck, DNP 10 (2001) 163.

[38] Apg 25,9. Es ist eigentlich nicht recht vorstellbar, dass der Statthalter diese Entschei­dung Paulus überlässt, wie das die Stelle andeutet. Wie auch dessen folgende Reaktion zeigt, dürfte sich Festus zur Prozessführung in Jerusalem bereits entschieden haben θέλων τοῖς Ἰουδαίοις χάριν καταθέσθαι.

[39] Wobei wir nicht außer Acht lassen dürfen, dass hier gar keine Appellation im engeren Sinn, sondern eine Anrufung des Kaisers vor einem Urteil, ja sogar vor dem eigentlichen Prozessverfahren vorliegt. Zu diesem ganzen Problemkreis ausführlich Omerzu (Anm. 1) 83–109 mit der älteren Literatur; zur reformatorischen Appellation vgl. aber bereits J. M. Kelly, Princeps Iudex. Eine Untersuchung zur Entwicklung und zu den Grundlagen der kaiserlichen Gerichtsbarkeit, Weimar 1957, 70–78 (Strafrecht). Als bloße „richiesta del soccorso“ und nicht als formale Appellation interpretiert diese Vorgangsweise des Paulus M. Ravizza,«Καίσαρα ἐπικαλοῦμαι». L’appello di Paolo di Tarso all’imperatore, in: D. Mantovani, L. Pellecchi (Hrsg.), Eparcheia, autonomia e civitas Romana. Studi sulla giuristizione criminale dei gover­natori di Provincia, Pavia 2010, 113–131. Omerzu hat versucht, den Unterschied zwischen Appellation und dem alten Provokationsrecht herauszuarbeiten, der selbst klassischen und nachklassischen Juristen nicht mehr ganz klar gewesen zu sein scheint. Zusätzlich sollte aber noch darauf verwiesen werden, dass in der römischen Kaiserzeit diese Appellation eine völlig neue Dimension erhalten hat. Es ist nicht — oder nicht nur — die tribunicia potestas des Kaisers, die das alte ius auxilii ferendi der Volkstribunen auf seine Person übertragen hat, sondern für den Bereich der sogenannten kaiserlichen Provinzen sein imperium proconsulare, das die Gerichtshoheit in Kapitalprozessen und das ius gladii gegenüber römischen Bürgern (nur diesen!) jedenfalls theoretisch ausschließlich ihm vorbehält und eigentlich auch nicht auf seine Legaten oder sonstige Statthalter übertragbar ist. Bedarf es dazu um die Mitte des 1. Jh. wie im Fall des Paulus noch einer ausdrücklichen (und nicht widerrufbaren, vgl. Apg 26,32) Appellation, ist dies fünfzig Jahre später gar nicht mehr notwendig: fuerunt alii similis amentiae (nämlich Christen), quos, quia cives Romani erant, adnotavi in urbem remittendos, Plin. ep. 10,96,4; eine unverdächtige Stelle, deren Bedeutung für die Frage des Bürgerrechtes des Paulus und seiner Appellation bisher nicht ausreichend beachtet worden ist.

[40] Dazu wieder Omerzu (Anm. 1) 48. Besonders beliebt ist hier der Fall des jüdischen Aufrührers Eleazar ben Dinai, der von Felix festgenommen und nach Rom überstellt worden war; Ios. ant. Iud. 20,161. Es gibt aber einen nicht unwesentlichen Unterschied. Die Aburtei­lung und Hinrichtung eines jüdischen „Widerstandskämpfers“ in Judäa hätte durchaus zu neuen Unruhen führen können, die durch dessen Transport nach Rom vermieden wurden, anders als im Fall des Paulus, bei dem die jüdischen Behörden sogar verlangten, dass ihm in Jerusalem der Prozess gemacht werde. Und dass ein Paulus, der als jüdischer Aufrührer zur Aburteilung nach Rom überstellt worden wäre, dort dann jahrelang praktisch unbehelligt hätte leben können (Apg 28,16–31), müsste auch erst erklärt werden.

[41] Mit Recht hat P. Pilhofer, Das neue Testament und seine Welt, Tübingen 2010, 255 auf den auffallenden Umstand hingewiesen, dass diese Worte (an die Christen in Rom!) unter Nero geschrieben worden sind, was nur am Anfang von dessen Regierungszeit (im quinquennium Neronis, Aur. Vict., Caes. 5,2) und jedenfalls nur vor den Christenverfolgungen denkbar ist.

[42] Pilhofer (Anm. 2) 73–75 mit Hinweis auf die ausführlichere Darstellung in P. Pilhofer, Philippi 1: Die erste christliche Gemeinde Europas, Tübingen 1995, 127–134.

[43] Ἡμῶν γὰρ τὸ πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς ὑπάρχει. Sowohl die spätantike lateinische Übersetzung — „nostra autem conversatio in caelis est“ — als auch (wie so oft) die moderne deutsche Einheitsübersetzung „unsere Heimat aber ist im Himmel“ verwischen die prägnante Aussage der Stelle. Das Problem beginnt schon mit der konkreten Bedeutung von πολίτευμα; das Wort kann zwar durchaus „Bürgerrecht“ bedeuten, meint aber nach damaligem Verständnis hier eher die politische Organisationsform, die (Sonder-)Gemeinde, in der Menschen gemein­samer Herkunft organisiert sein konnten — die Übersetzung „Heimat“ ist demnach vielleicht gar nicht so unrichtig.

[44] Der Name in dieser Form einigermaßen vollständig belegt z.B. durch AE 1939, 183 = Pilhofer (Anm. 21) Nr. 436. Auch CIL III 660 = Pilhofer Nr. 4 könnte (abgesehen von dem sonst nicht belegten victrix und anderer Unsicherheiten) mit der üblichen Reihenfolge der Beinamen ... colo[niae Iuliae August]ae vict[ricis Philipp]ensium ... gelesen werden — falls sich diese Inschrift tatsächlich auf Philippi bezieht.

[45] Kein Hinweis auf ein römisches Bürgerrecht ist, um auch das hier noch anzuführen, sein lateinisches Cognomen Paul(l)us, auch wenn wir für den Wechsel von Schaul/Σαούλ zu Paulus (anscheinend erst ab dem Beginn der Heidenmission) wieder nur Vermutungen anführen können; Omerzu (Anm 1) 39–42 (Paullus als Pränomen hingegen ist außerordentlich selten und als Sonderform auf den patrizischen Hochadel beschränkt, O. Salomies, Die römischen Vornamen, Helsinki 1987, 320–332).